Epilog

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Vorsichtig schlich ich durch die Gänge von Hogwarts. Zwar hatte die Nachtruhe noch nicht angefangen, doch trotzdem wollte ich es vermeiden, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Das Schuljahr würde heute Abend mit einem Festessen zu Ende gehen. Noch immer gingen die Theorien um, über die Ereignisse der Nacht von Sirius Flucht. In den meisten von ihnen war ich die Böse der Geschichte. Diejenige, die dafür gesorgt hatte, dass ein Mörder erneut entkommen war.
Malfoys anfängliche Euphorie über Remus Rauswurf war der Wut über Seidenschnabels entkommen gewichen. Er war überzeugt, Hagrid sei es irgendwie gelungen, den Hippogreif in Sicherheit zu bringen, und er schien außer sich vor Zorn, dass ein Wildhüter ihm und seinem Vater ein Schnippchen geschlagen hatte. Es war aber auch wirklich unter seiner Würde, nicht zu bekommen, was er wollte. Vor allem wenn ein einfacher Wildhüter dafür verantwortlich zu sein schien.

Liebevoll strich ich über die Zeichnung, die ich meinen Vater geschenkt hatte. Als wir in der Nacht die Hütte verlassen hatten, war sie hier stehen geblieben. Damals hatte es mich überhaupt nicht gestört, doch jetzt bedauerte ich es sehr. Mein Vater hatte sich sehr über das Bild meiner Mutter gefreut. Er sagte, abends wenn er ins Bett ging, würde er es gerne ansehen. Dann wäre es ein wenig so, als würden sie wieder gemeinsam in einem Bett schlafen.
Hinter mir räusperte sich jemand. Erschrocken fuhr ich herum. Potter stand hinter mir. Er sah mich verunsichert an.
„Störe ich dich gerade?", wurde ich gefragt.
„Ich bin hier, um alleine zu sein. Also geh, Potter", meinte ich gereizt.
„Willst du mich nicht endlich bei meinem Vornamen nennen? Wir wären fast Geschwister geworden."
„Dann heißt es halt, geh, Harry. Deine Freunde warten bestimmt auf dich."
„Sie wissen, wo ich bin. Ich habe auf der Karte gesehen, dass du hierher gekommen bist."
„Und dann dachtest du, du kommst mich besuchen?", fragte ich genervt. Ich hatte mir wirklich sehr viel Mühe gegeben, unauffällig her zu kommen. Auch wenn die Hütte alt und verstaubt war, fühlte ich mich hier sehr wohl. Außerdem konnte man ohne das Getuschel um ein herum in Ruhe nachdenken.
„Seitdem wir uns in Lupins Büro gesehen haben, gehst du mir immer aus dem Weg."
„Nein, ich gehe allen Menschen hier aus dem Weg."
„Wegen dem, was geredet wird?"
„Ist dir vielleicht noch nicht aufgefallen, aber ich rede nur sehr ungern mit Menschen. Vor allem nicht über meine Probleme." Harry und ich schwiegen uns kurz an, bevor mein Fastbruder erneut das Wort erhob.
„Hast du denn deine Prüfungen bestanden?" Ich nickte leicht.
„Mir wurden alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, würde Adina jetzt behaupten. Und sie hat Recht. Ich habe wesentlich bessere Noten, als ich in den normalen Prüfungen gekriegt hätte."
„Du hast bestanden. Das ist doch gut. Ich habe auch bestanden. Sogar in Zaubertränke, obwohl ich sicher war, dort durchzufallen."
„Das ist gut für dich."
Erneutes unsicheres Schweigen. Keiner von uns schien zu wissen, was wir zu dem anderen sagen sollten. Das letzte Schuljahr über hatten wir kaum miteinander geredet. Harry war mir meistens mit Misstrauen begegnet, ich hatte ihn nur als Person gesehen, die nicht umgebracht werden durfte. Als meine Mission, mehr nicht.
„Das Festessen müsste bald losgehen. Wir sollten zurückgehen."
„Ich esse später in der Küche."
„Aber das Festessen-"
„Ich bin dort nicht erwünscht. Das ist schon in Ordnung. Morgen holt mich Marlon am Bahnhof ab und dann reisen wir."
„Wirst du nach Hogwarts zurückkehren? Am Ende der Ferien?" Ich biss auf meiner Unterlippe herum. Bisher hatte ich noch niemanden meine Entscheidung diesbezüglich mitgeteilt.
„Außerhalb dieser Mauern muss ich etwas Wichtiges erledigen. Falls wieder ein Mörder herkommt, dann werde ich dir wieder den Arsch retten."
„Wissen es schon deine Freunde?"
„Sie ahnen es, aber ich hatte lange noch nicht endgültig entschieden. Marlon meint, ich kann mich bis zu Beginn des nächsten Schuljahres so oft umentscheiden, wie ich will."
„Und jetzt ist deine Entscheidung endgültig?"
„Ich denke, ja."

Aus der großen Halle drang das Gelächter und die Stimmen der Schüler. Dort schienen alle Spaß zu haben. Glücklich zu sein. Für einen Abend schienen alle trüben Gedanken wie fortgeblasen zu sein. Niemand dachte mehr an geflohene Mörder oder an freilaufende Hippogreifen. Alle freuten sich über das leckere Essen und das Ende des Schuljahres. Verständlicherweise. Auch ich war froh, morgen in den Hogwartsexpress steigen zu können und all das hier hinter mir lassen. Ich freute mich darauf, mit Marlon nach meiner kleinen Schwester und Peter Pettigrew zu suchen. Bald würde meine Familie bestimmt wieder richtig vereint sein.
Ich kam an den kleinen Raum an, den Dumbledore extra eingerichtet hatte, damit ich meine Wutanfälle weder an Wänden noch an Schülern ausließ. Die letzten Tage hatte ich hier die meiste Zeit verbracht. Hier oder in der heulenden Hütte. Die meiste Zeit war ich alleine, nur hin und wieder, hatte ich Gesellschaft von Adina, Jamie oder Blaise, wenn ich mal wieder einen der drei nicht abschütteln konnte.
Zu meiner Überraschung war der kleine Raum nicht leer. Offensichtlich war ich nicht die einzige Person, die es vorgezogen hatte, nicht zum Festessen zu gehen.
„Blaise, was machst du hier?"
„Auf dich warten."
„Warum? Das Essen hat begonnen." Ich stellte mein mitgebrachtes Abendessen ab, bevor ich mich wieder an meinen Klassenkameraden wandte.
„Na ja, ich dachte, ein wenig Gesellschaft würde dir ganz guttun. Wenn du demnächst bei Marlon wohnst, hast du wohl ganz viel davon. Du solltest anfangen, dich daran zu gewöhnen, anstelle wieder allen Menschen aus dem Weg zu gehen."
„Du weißt, warum ich momentan lieber alleine bin."
„Nein, ich weiß, warum du Pansy vermeidest. Oder andere Schüler, die meinen, du hättest Sirius bei seiner Flucht geholfen. Ich weiß auch, Draco gehst du aus dem Weg, weil er über Seidenschnabel und Professor Lupin redet. Ich weiß aber nicht, warum Adina, Jamie und ich gemieden werden."
Ich seufzte leise. Ihre Gesellschaft machte es nun einmal nicht leichter, darüber nachzudenken, dieses Schloss zu verlassen. Erst wieder zurückzukehren, wenn eine neue Gefahr für die anderen Nymphen und Harry eintraf. Ich war mir sicher, sie würde kommen, doch solange sie nicht hier war, konnte ich mich noch auf die Suche nach meiner kleinen Schwester und das Beweisen von Sirius Unschuld konzentrieren.
„Du wirst zum nächsten Schuljahr nicht zurückkommen. Deshalb gehst du uns aus dem Weg, oder?" Ich nickte langsam.
„Ich – Pettigrew ist irgendwo dort draußen. Wenn ich –"
„Primrose, wir wissen beide, dass es nicht Pettigrew ist, wegen dem du gehen willst. Es sind die Gerüchte. Aber sie werden im nächsten Schuljahr alle wieder vergessen."
„Und Neue werden ganz schnell hochkommen. Blaise, ich werde mich nicht umentscheiden. Mein Platz ist fürs erste außerhalb dieser Mauern."
„Ich werde dich vermissen."
„Wir können uns Briefe schreiben. Und ich komme euch an Hogsmeadewochenenden mal besuchen. Und in den Ferien. Ich bin schließlich nicht aus der Welt. Nur nicht mehr hier. Normalerweise würde ich noch sagen, ich rufe euch mal an, aber bis auf Jamie weiß von euch keiner, was das bedeutet."
„Wenn es um deine Muggel geht, stehst du alleine. Ich mache weiterhin einen großen Bogen um sie."
„Das darfst du. Nur nicht um Marlon. Er ist schließlich jetzt mein Sorgeberechtigter."

Hexagramm - SchlangenbrutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt