Kapitel 37

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Vorsichtig tastete ich nach Marlon. Meistens lagen wir zusammengekuschelt im Bett. Doch jetzt fehlte er. Stattdessen ertastete ich irgendetwas Großes und Flauschiges. Ein leises Bellen war zu hören, welches definitiv nicht zu dem kleinen Bärchen passte. Ich machte vorsichtig meine Augen auf. Mein Babysitter lag nicht mit mir im Bett. Er befand sich nicht einmal hier im Raum. Allerdings lag Antiope bei mir. Der kleine, braune Welpe wedelte glücklich mit ihrem Schwanz und sah ich mich mit seinen viel zu kleinen Augen freundlich an.
„Antiope, was machst du denn hier?" Das kleine Fellknäuel stand von seinem Platz auf. Es kam zu mir herübergetrapst und kuschelte sich an mich. Mein Hals schnürte sich zu. Einerseits freute ich mich, das Tier mal wieder zu sehen. Mit ihm zu kuscheln und dabei zuzusehen, wie die Schlappohren immer wieder um ihn herumflogen, wenn der Kopf bewegt wurde. Doch auf der anderen Seite war da noch der Grund, warum der kleine Welpe bei mir im Bett sein konnte. Lupin war hier. Anders konnte ich es mir nicht erklären.
Natürlich hatte ich den Lehrer sehen wollen, doch eigentlich hatte ich gehofft, vorher noch in Ruhe mit Marlon reden zu können. Mir noch einmal Mut zureden lassen. Doch jetzt war er hier, ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte und für immer konnte ich mich kaum hier verstecken. Also schluckte ich schwer, bevor ich langsam aufstand. Im Laufen griff nach meinem Messer. Die Gravur bohrte sich mal wieder in meine Hand. Ein Gefühl der Sicherheit machte sich in mir breit. Ich war nicht wehrlos, würde es nie wieder sein. Ares war bei mir, ich hatte meine Waffe, was sollte schon passieren?

Vorsichtig öffnete ich die Schlafzimmertür. Am Esstisch saßen Remus und Marlon zusammen. Sie schienen gerade in ein Gespräch vertieft zu sein. Kaum hatte ich einen Schritt in den Raum gemacht, drehte sich mein Babysitter schon zu mir.
„Welpe, du bist wach. Hast du gut geschlafen?" Ich brachte ein unsicheres Nicken zustande.
„Hab ich." Etwas unsicher sah ich zwischen den beiden Männern am Tisch hin und her. War es zu spät mich im Schlafzimmer zu verstecken oder aus dem Fenster zu klettern? Die Flucht war doch eine wirklich kluge Idee. Vor allem wusste ich dann, was ich machen musste. Hier hatte ich keine Ahnung, was als nächster Schritt passieren sollte.
Marlon streckte auffordernd die Hand nach mir aus. Ich sollte zu ihm kommen. In seine sicheren Arme, allerdings auch näher an den Lehrer und die Standpauke, die ich wahrscheinlich gleich erhalten würde. Ich spürte, wie Ares Medaillon mal wieder wärmer wurde. Er war der Meinung, ich sollte herübergehen. Unsicher setzte ich mich in Bewegung. In der einen Hand noch immer das Messer, die andere in Antiopes flauschigem Fell vergraben.
Kaum war ich in Reichweite von Marlons Hand, wurde mein Arm ergriffen. Mein Babysitter zog mich auf seinen Schoß, während ich es bereitwillig zuließ. Bei ihm fühlte ich mich wesentlich sicherer. Er verstand mich. Egal, was passieren würde, er würde mich beschützen.
Ich merkte, wie mein Babysitter mir einen Arm um die Schulter legte und langsam darüber strich. Er war da. Ares war da. Mein Messer war in Reichweite und die beiden Hunde waren mir auch treu ergeben. Also was sollte passieren? Ich wandte mich unsicher dem Lehrer zu. Dieser war gerade dabei mich zu mustern. Er wirkte nicht so, als würde er sich über den Anblick von mir auf Marlons Schoß freuen.
„Hallo, Rona."
„Hallo", murmelte ich leise. Ich drückte mich noch etwas näher an meinen Babysitter. Gleich würde die Standpauke losgehen. Es war unverantwortlich gewesen, dass ich weggelaufen war. Er würde mich fragen, was ich mir dabei gedacht habe. Wahrscheinlich würde er schreien, mir vorwerfen, meine Mutter hätte sich geopfert, um mich zu retten. Auf all diese Dinge bereitete ich mich vor, doch stattdessen blieb er überraschenderweise ruhig.
„Ist alles in Ordnung mit dir? Frédéric meinte, du wärst sehr krank gewesen, als Marlon dich gefunden hat."
„Bin gesund", murmelte ich leise.
„Ein paar Heiltränke haben alles geregelt." Mir wurde von Marlon liebevoll über die Haare gestrichen. Ich drehte mich wieder leicht zu ihm. Er schenkte mir ein freundliches, aufmunterndes Lächeln.
„Wo ist eigentlich, Frédéric?"
„Er holt Frühstück. Er kommt mit Sicherheit gleich wieder zurück. Willst du eigentlich etwas trinken?" Mein Babysitter sah mich fragend an. Ich nickte leicht.
„Dann hole ich dir mal eine Tasse."
„Aber keinen Kaffee für sie, Marlon!"
„Sie ist die Kriegsnymphe. Egal wie viel Kaffee ich ihr einflöße, ihre Leber verarbeitet ihn schneller als unsere beiden zusammen."
„Marlon! Wage es auf gar keinen Fall!", fing Lupin wieder an zu toben.
„Ich mag gar keinen Kaffee. Den habe ich schon vorgestern probiert. Jetzt trinke ich Kakao", versuchte ich den Streit zu schlichten.
„Und den hole ich dir jetzt." Ich wurde hochgehoben, mein Babysitter stand auf, dann wurde ich wieder auf den Platz abgesetzt. Sobald Marlon mich losgelassen hatte, zog ich meine Knie an den Körper. Jetzt gerade würde ich mir den Kakao lieber selber holen. Verunsichert beobachtete ich Lupin, welcher auch nicht so wirkte, als wüsste er wirklich, wie es von jetzt an weitergehen sollte.
„In Hogwarts hast du zwei Fotos verloren." Mir wurden die beiden Bilder hingehalten. Nur ziemlich zögerlich griff ich danach.
„Marlon meinte, sie wären deine Eltern gewesen." Mein Blick glitt zu den Akten, die auf dem Tisch lagen. Offensichtlich hatte mein Babysitter einmal meine Lebensgeschichte vor dem Lehrer ausgebreitet. Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Irgendwie war ich froh, dass ich es nicht selber machen musste. Es hatte seine Vorteile, doch andererseits war Wissen nun einmal Macht. Ich hörte den Lehrer mal wieder leise Seufzen.
„Rona, ich glaube, wir hatten einen ziemlich schlechten Start damals im Zug. Und danach haben wir unseren schlechten Start auch nicht wieder ausbügeln können. Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich besser machen kann. Wie ich zu der Situation beigetragen habe. Da du mit mir sprechen wolltest, hast du dir wohl auch ein paar Gedanken gemacht und festgestellt, es ist nicht alles so super gelaufen. Also wie wäre es, wenn wir noch einmal von vorne anfangen? Dieses Mal werden wir weniger streiten und mehr darüber reden, was für Probleme wir gerade mit dem anderen haben, in Ordnung?"
Ich merkte, wie sich mein Hals zuschnürte. Ich hatte ihn angeschrien, als zweitklassigen Lehrer beleidigt und insgesamt war ich ziemlich unverschämt gegenüber ihm gewesen. Jetzt wollte er einfach darüber hinwegsehen. Noch einmal neu anfangen. Mir eine zweite Chance geben. Eine erste Träne lief mir über die Wange.
„Rona?" Lupin wirkte ziemlich verunsichert. Immer wieder huschte sein Blick in Richtung Marlon, welcher noch immer sehr beschäftigt mit meinem Kakao war. Er hoffte wohl, Hilfe von ihm zu kriegen. Und ich? Die erste Träne wischte ich noch bestimmt weg, doch eine zweite und eine dritte folgten. Schließlich gab ich es auf. Ich ließ meine Haare in mein Gesicht fallen, damit mein Gegenüber es nicht sah. Eine Aktion, die den Lehrer noch mehr verunsicherte.
„Darf ich dich umarmen, Rona?" Anstatt etwas dazu zu sagen, fiel ich dem Lehrer einfach um den Hals.
„Das ist ein ziemlich eindeutiges ja." Die Arme des Lehrers schlangen sich um mich.
„Es tut mir leid, dass ich gemein war."
„Ist schon in Ordnung, Kleine. Niemand ist dir deshalb böse."

Ich hörte, wie eine Tasse auf den Esstisch abgestellt wurde. Vorsichtig löste ich mich wieder von dem Professor. Marlon setzte sich gerade wieder auf einen der Stühle.
„Ich wollte jetzt eigentlich nicht diesen Moment stören."
„Hast du nicht." Ich löste mich vorsichtig wieder von dem Lehrer. Stattdessen griff ich nach meinem Kakao. Unsicher spielte ich mit dem Henkel. Ich hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Verunsichert sah ich zwischen den beiden Männern hin und her. Schließlich räusperte sich Lupin, welcher vorher noch hoffnungsvoll zu Marlon herübergesehen hatte. Doch dieser schien nicht gewillt zu sein noch weiter zwischen uns zu vermitteln.
„Rona, was mich noch interessieren würde, weißt du, wer den Brief geschrieben hat, der für deinen Abgang aus Hogwarts geführt hat?" Dieses Mal glitt mein Blick zu meinem Babysitter. Dieser schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Seine linke Hand wanderte auf meine Schulter. Automatisch griff ich danach. Die andere verschwand wieder in Antiopes Fell, welche noch immer schwanzwedelnd neben mir saß.
„Ja, weiß ich." Das war es wohl jetzt mit unserem Neuanfang.
„Und wer war es?" Ich sah auf meine Kette herab.
„Ares." Ich schluckte schwer. Jetzt würde er mit Sicherheit wieder losschreien. Mich anbrüllen und mir den Kopf abreißen.
„Ares? Du hast dich selbst von der Schule befördert?" Ich schluckte schwer. Vorsichtig nickte ich, während ich mich an Marlons Hand festklammerte. Der Lehrer sprang auf und fing an, im Raum auf und ab zu rennen. Ich sah verunsichert zu Marlon. Dieser beobachtete allerdings lieber Lupin. Als Nächstes glitt mein Blick zu Antiope. Der kleine Welpe sah mich aus seinen viel zu kleinen Augen an. Mit seinem treuen Hundeblick. Ob sie wohl bei mir bleiben würde, wenn Lupin hier sauer rausstürmen würde? Der Lehrer blieb wieder stehen. Sein Blick glitt wieder zu mir und Marlon.
„Also hast du dich selbst aus Hogwarts herausbefördert." Ich nickte leicht.
„Ja, habe ich wohl." Der Lehrer atmete einmal tief durch, bevor er weitersprach. Wahrscheinlich hatte er große Lust gerade laut loszuschreien.
„Warum hast du das getan?" Ich sah beschämt zu Boden.
„Ich habe mich geschämt und Panik bekommen. Also bin ich weggelaufen. Es tut mir leid. Ich habe es am nächsten Morgen schon bereut, den Brief abgeschickt zu haben. Ich weiß es war falsch. Ich hätte es auf gar keinen Fall tun dürfen. Bitte seien sie jetzt nicht sauer. Ich mache es auch nie wieder. Ich weiß, es war falsch. Ich weiß, ich –"
„Ist in Ordnung, Rona. Ist schon gut. Willst du mir sagen, wofür du dich geschämt hast und was dich in Panik versetzt hast?" Ich schluckte schwer. Mein Blick glitt verunsichert wieder zu Marlon. Dieser schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich sollte endlich die Karten auf den Tisch legen. Alles auspacken, was die ganze Zeit in meinem Kopf herumschwirrte. Auch wenn es gegen all meine Instinkte ging.
Ich sah noch einmal zu dem anderen Waisenkind hinter mir. Ich wollte mich auf seinem Schoß in Sicherheit bringen. Mich dort zusammenkuscheln und nie wieder aufstehen. Marlon sah mich kurz an, bevor er zu mir heran rutschte und mir einen Arm um die Schulter legte.
Ich schluckte schwer. Es war Zeit, über meinen eigenen Schatten zu springen. Lupin hatte sich zusammengerissen und mich nicht angeschrien. Noch nicht. Jetzt musste ich es ebenfalls tun.
„Ich – der Patronuszauber, den werde ich nicht hinkriegen. Den werde ich niemals ausführen." Der Lehrer setzte sich wieder auf den Stuhl mir gegenüber.
„Weil du nicht weißt, welche Erinnerung du nutzen solltst?" Ich nickte leicht.
„Rona, viele der mächtigsten Zauberer der Welt schaffen es nicht, einen Patronus heraufzubeschwören. Es ist nicht schlimm, wenn du selbst es nicht schafft."
„Doch. Ich bin die Kriegsnymphe. Es sollte keinen Zauber geben, den ich nicht kann."
„Du kannst einen Patronus heraufbeschwören. Du hast es schon zweimal getan. Im Zug und auf dem Quidditchfeld. Du wirst es wieder schaffen. Da bin ich mir sicher. Aber erst wenn du bereit dafür bist. Du brauchst keine Angst vor diesem Zauber haben, nur weil du in ihn mal ein wenig Arbeit hereinstecken musst. In Ordnung?" Mir wurde ein freundliches Lächeln geschenkt. Ich nickte schnell, weshalb der Lehrer fortfuhr.
„Willst du mir vielleicht noch irgendetwas sagen? Zum Beispiel, warum du die Hausaufgaben nicht machen willst." Mein Blick glitt wieder zu Marlon. Dieser strich mir beruhigend über die Schulter.
„Funktionaler Analphabetismus. Ich kann weder richtig lesen noch schreiben. Also nur sehr begrenzt." Der Lehrer starrte mich an, als würden meine Worte keinen richtigen Sinn ergeben. Taten sie für ihn wahrscheinlich auch nicht. Welche Dreizehnjährige konnte nicht lesen? Also außer mir.
„Du kannst nicht richtig lesen und schreiben?" Der Blick des Lehrers glitt verunsichert von mir zu Marlon und wieder zurück.
„Nicht so richtig."
„Und wir haben es nicht gemerkt. Bei den zwölf Göttern, wie konnte uns das nur entgehen?" Lupin fing wieder an im Raum auf und ab zu rennen.
„Es ist nicht unbedingt normal, dass eine Dreizehnjährige zu dumm ist, um zu lesen und zu schreiben." Der Lehrer wirbelte zu mir herum.
„Rona, du bist vieles aber nicht dumm."
„Ich kann weder lesen noch schreiben."
„Und trotzdem gehörst du sicherlich nicht zu den dummen Menschen dieser Welt. Die zwei Weisesten der Menschen, Sokrates und Christus, schrieben keine Zeile. Also mache dich selbst nicht so fertig. Ok? Wenn du das willst, werde ich dir sehr gerne helfen, das aufzuholen. Und dass du unter diesen Umständen keine Hausaufgaben machst, ist logisch und überhaupt nicht schlimm." Ich wurde eindringlich angesehen. Langsam nickte ich.
„Darf ich dich umarmen?", kam es von mir ziemlich schüchtern.
„Natürlich. Komm her."

Hexagramm - SchlangenbrutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt