Kapitel 2

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Adina führte mich zielsicher durch den Hogwartsexpress, während sie vor sich hin plapperte. Sie erzählte, wie schön sie doch Hogwarts fand, wie sehr es sie störte, dass ihr Bruder immer Streit mit einem gewissen Harry Potter suchte und wie viel besser es wäre, würde er diesem einfach aus dem Weg gehen. Ganz nach dem Motto, der Klügere gibt nach.
„Warum habe ich dich eigentlich noch nie hier im Hogwartexpress gesehen, Rona? Du siehst nicht wie eine Erstklässlerin aus. Oh, ich habe zwei Vertrauensschüler darüber reden gehört, dass wir wohl zwei Mädchen aus Texas dieses Jahr neu kriegen. In meinem Jahrgang. Du bist wahrscheinlich eine von ihnen, richtig?" Ich biss mir auf die Unterlippe. Texas? Von dort kamen also mein Zwilling und meine Cousine.
„Wenn ihr von der gleichen Schule kommt und in den gleichen Jahrgang gegangen seid, kennst du wahrscheinlich auch das zweite neue Mädchen. Willst du nicht zu ihr zurück? Wartet sie auf dich?" Ich zog eine Augenbraue hoch. Wollte dieses Mädchen überhaupt eine Antwort auf ihre Fragen oder plapperte sie einfach die ganze Zeit weiter?
„Ist das andere Mädchen auch eine von uns? Oder ist sie mit dir verwandt? Oh, es ist ja so spannend, mal eine von uns kennenzulernen. Weißt du, die Malfoys haben mich nur aufgenommen, weil meine ganze Familie im ersten Zauberkrieg gefallen ist. Eigentlich haben sie gar keine Ahnung von der ganzen Sache. Deshalb kann ich nicht wirklich mit ihnen darüber reden. Aber jetzt habe ich ja dich. Du verstehst es, was es bedeutet, eine Nymphe zu sein." Ich bezweifle ein wenig, dass ich wirklich wusste, was es bedeutete, Poseidon zu unterstehen. Ares hatte mir gesagt, dass er Älter und auch ein wenig erwachsener als der Kriegsgott war.
Ehrlich gesagt war es nicht verwunderlich. Ares war bei der Entwicklung eines siebzehnjährigen Teenagers stehen geblieben. Relativ reif im Vergleich zu anderen in seinem Alter, was wahrscheinlich auch mit seinen Erfahrungen im Kampf und im Krieg zu tun hatte, doch er war nun einmal ein Teenager und dem entsprechend erzog er mich auch. Er unterstützte solche Dinge, wie meine Suche nach Natasha, auch wenn ich dafür das Waisenhaus verlassen musste und nun auf der Flucht vor der Muggelpolizei und bald auch den Auroren war.
„Da vorne ist mein Abteil." Die Blondine zeige zwei Abteiltüren weiter. Juhu, noch mehr Schüler, die mich sehen würden.
Wir waren noch ein Abteil weit von Adinas Sitzplatz entfernt, als der Zug immer langsamer wurde und schließlich hielt. Neugierig trat ich ans Fenster, um mir die Umgebung anzusehen, in der ich gelandet war.
„Wir sind noch nicht in Hogwarts. Es ist zu früh", wurde mir mitgeteilt.
„Warum halten wir dann?"
„Keine Ahnung. Vielleicht ein defekt." Also war es nicht normal, dass wir stehen geblieben waren. Ich spähte nach draußen. Viel war nicht mehr zu sehen. Es war mittlerweile dunkel geworden, doch was man sah, war wilde Landschaft. Draußen regnete es noch immer, als würde die Welt untergehen. Jetzt wo der Zug stand, hörte man den Regen noch lauter gegen die Fensterscheiben schlagen. Eigentlich der perfekte Moment, endlich aus diesem Zug hier auszusteigen. Niemand würde vermuten, dass ich Mitten auf der Zugstrecke den Zug verlassen hätte, vor allem nicht bei diesem Wetter.
„Ich sollte jetzt besser gehen." Ich drehte mich um. In diesem Moment fielen die Lichter aus. Offensichtlich war das Glück ausnahmsweise Mal auf meiner Seite. Zu Recht. Schließlich war bisher alles schief gelaufen.
„Rona, bleib besser hier. Gerade jetzt, wo das Licht aus ist. Rona?" Ich verdrehte die Augen. Adina hörte sich verängstig an. Hatte die Blondine etwas Angst im Dunkeln?
„Ich bin noch da. Geh zu deinem Bruder ins Abteil." Ich hörte, wie sie langsam in meine Richtung lief. Definitiv die falsche Richtung.
„Können wir nicht zusammen bleiben?" Nein, denn dann würde ich nicht aussteigen können.
„Geh zu deinem Bruder. Es ist nur noch eine Abteiltür." Das Mädchen hörte nicht auf mich. Ich seufzte leise. So viel zu meinem Glück. Ich stand mittlerweile auf der Höhe der Wagentür dieses Wagons. Ich konnte jetzt einfach eben geräuschlos rausspringen, bevor sie mich erreichte. Die Zeit müsste noch reichen. Ich wollte gerade die Tür aufmachen, als sie von alleine aufging.
„Warum –?"
„Ich habe die Tür nicht geöffnet, Adina. Gehe sofort zu deinem Bruder." Ich hatte mittlerweile mein Messer in der Hand, bereit mich vor dem zu verteidigen, was auch immer Mitten auf der Strecke einsteigen wollte. Was oder wer. Adina erreichte mich. Sie umklammerte meinen rechten Arm, während langsam von draußen eisige Kälte hereinkroch.
„Du klammerst dich an meiner starken Hand fest." Ich sah irgendeine Bewegung in der Dunkelheit, weshalb ich einen Schritt zurückmachte. Damit schob ich Adina zurück, die meinen Arm losließ.
„Lumos." Eine Lichtkugel erschien in meiner Hand und erhellte die Umgebung. Vor uns stand eine im schwarzen Umhang vermummte Gestalt. Das Gesicht war unter einer Kapuze vollständig verborgen. Eine glitzernd graue, schleimige Hand, wie die eines Toten, der zu lange im Wasser gelegen hatte, lugte unter dem Umhang hervor. Eine Kälte ging von diesem Wesen aus, die mir einen kalten Schauer über den Rücken kriechen ließ.
Adina hinter mir fing an zu schreien. Laut und Mitten in mein Ohr. Meine Hand verkrampfte sich um das Messer, während ich noch einen Schritt zurückmachte und damit auch das schreiende Mädchen nach hinten schob.
Das Wesen vor uns schien langsam Luft einzuatmen. Dabei breitete sich die Kälte noch ein wenig mehr aus. Es schien alles andere zu vertreiben, bis nur noch diese eisige, bittere Kälte übrig war, die versuchte alles andere zu vertreiben.
Neben dieser Kälte war kein Platz mehr, für wärmende Gedanken, für kluge Gedanken, wie die Flucht zu ergreifen oder Ähnliches. Es schien nicht einmal Platz dafür da zu sein, um zu leben. Nur noch diese eisige, alles einnehmende Kälte war vorhanden.
Und dann hörte ich das Geräusch einer Explosion. Ich spürte, wie das Medaillon um meinen Hals immer wärmer wurde. Das neue Geräusch brach genauso plötzlich ab, wie es gekommen war. Stattdessen spürte ich, wie mal wieder meine Nymphenkräfte mich übermannten. Instinktiv hob ich meine Hände, während sich meine Gedanken um das Weihnachten von Natasha und mir bei unseren Eltern drehte. Das Einzige, was wir dort jemals erlebt hatten, doch gleichzeitig auch das Schönste, welches wir jemals gefeiert hatten.
Silberne Nebelschwaden flossen aus meinen Händen, die sich langsam zu einem Tiger formten. Dieser stürzte sich auf das Wesen vor uns, welches nun endlich vor uns zurückwich. Es glitt nicht wieder nach draußen, wie ich erwartet hätte, sondern floh in den nächsten Wagon. Das silberne Tier lief ihm nach. Etwas in mir, riet mir, ihnen ebenfalls zu folgen. Automatisch setzten sich meine Füße in Bewegung. Langsam folgte ich ihnen.
Der silberne Tiger jagte die Kreatur einmal durch den Zug bis fast nach ganz hinten, wo ein weiteres dieser Dinger gerade von einer anderen silbernen Gestalt verjagt wurde. Die beiden Lichtkreaturen jagten die Vermummten durch eine Wagentür nach draußen, wo sie in der Dunkelheit verschwanden. Mit ihnen verschwand die Kälte, welche noch immer alles und jeden verschlucken wollte.
Die Türen schlossen sich hinter den Vermummten. Kaum war dies geschehen, gingen die Lichter wieder an, der Zug setzte sich in Bewegung, während der silberne Tiger langsam wieder zu mir getrottet kam. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach ihm aus, doch es gab nichts, was ich berühren konnte. Die Magie, aus der dieses Wesen bestand, war nichts Festes.
Ich merkte, wie ich langsam die Kontrolle über meinen Körper zurückgewann. Ich verdrängte, die Gedanken an dieses Weihnachtsfest, aus meinem Kopf, wieder in die hinterste Ecke, wo sie mich nicht beeinflussen konnten. Gleichzeitig löste sich langsam der Tiger auf, während das silberne Leuchten um meine Hände ebenfalls nachließ.
Erschöpft ließ ich mich gegen die Wand fallen. Vielleicht rettete mich meine Nymphenmagie immer mal wieder, indem sie die Kontrolle übernahm, doch gleichzeitig raubte es mir auch immer wieder eine Menge Kraft.
Mein Blick glitt zu der anderen Person, die eines dieser silbrigen Wesen heraufbeschworen hatte. Er war mit Sicherheit kein Schüler mehr. Sein hellbraunes Haar war von den ersten grauen Strähnen durchzogen, sein Gesicht zierten mehrere Narben. Trotz allem wirkte er noch recht jung, vielleicht Mitte 30. Sein Umhang war mindestens genauso schäbig wie meine eigene Kleidung, abgetragen und mit Flicken übersät. Anders als meine Kleidung war sein Umhang ihm allerdings nicht mindestens eine Nummer zu groß.
„Rona?" Adina, griff ängstlich nach meinem Arm.
„Ist alles in Ordnung mit dir, Rona?" Ich drehte mich zu der Blondine. Wäre sie nicht gewesen, wäre ich nun aus diesem Zug raus. Stattdessen gab es immer mehr Leute, die wussten, dass ich hier war. Jetzt auch noch ein erwachsener Zauberer, welcher mich mit gerunzelter Stirn musterte. Sein Blick glitt über mein Gesicht, die Kleidung und blieb schließlich an dem goldenen Schmuckstück um mein Hals hängen. Die Falte wurde noch ein wenig tiefer.
„Das komische Ding hat mir nichts getan." Ich steckte das Messer wieder an seinen angestammten Platz, während ich mich langsam in Bewegung setzte. Adina schob ich leicht voran, damit sie nicht auf die Idee kam zu dem Zauberer zu rennen. Wer wusste schon, was bei diesem Gespräch rauskommen würde? Am Ende würde ihr noch klar werden, dass ich nicht eine der zwei neuen Schülerin war, was mit Sicherheit nur noch mehr Chaos auslösen. Wenn das überhaupt möglich war.
Das Medaillon um mein Hals hatte sich mittlerweile wieder ein wenig erhitzt. Offensichtlich wollte Ares unbedingt mit mir reden. Ich allerdings nicht mit ihm. Er hatte mir Jahre lang verschwiegen, dass meine Zwillingsschwester noch lebte, dass meine Familie nicht ausgerottet wurde. Ich war immer davon ausgegangen, der Kriegsgott wäre der Einzige, der bedingungslos ehrlich zu mir war, doch anscheinend hatte ich mich geirrt.
Weit kamen Adina und ich bei unserem Rückzug nicht. Wir hatten kaum zwei Schritte gemacht, da meldete sich der erwachsene Zauberer zu Wort.
„Bleibt stehen." Adina stoppte auf der Stelle und hielt mich am Arm fest, damit ich es ebenfalls tat. Allerdings wäre Weglaufen sowieso zwecklos gewesen. Wohin wollte man in einem Zug schon fliehen? Ans andere Ende, doch weiter würden wir nicht kommen. Ich bezweifelte, dass es reichen würde, damit wir Hogsmeade erreichten und aus dem fahrenden Zug zu springen, so verrückt war nicht einmal ich. Im besten Fall brach ich mir die Arme und Beine, im schlimmsten und viel wahrscheinlicheren Fall das Genick. Ich machte in vielen Situationen vielleicht nicht den Eindruck, weil ich viel riskierte, doch eigentlich lebte ich doch ganz gerne. Auf jeden Fall zu gerne, um einfach aus einem fahrenden Zug zu springen.
Der unbekannte Zauberer musterte mich noch einmal. Mir kamen wieder Mariannes Worte in den Sinn, sie wüsste, wo sich Onkel Remus rumtreiben würde. Ich glaube, ich wusste es jetzt auch. Er stand sehr wahrscheinlich gerade vor uns und unterzog uns einer weiteren Musterung aus der Nähe. Offensichtlich wusste er auch, was die Ketten um Adinas und meinen Hals bedeuteten. Jedenfalls blieb sein Blick ein wenig länger an ihnen hängen. Erkenntnis, Überraschung und Ungläubigkeit flackerten dabei in seinen Augen, ganz als habe er mit allem gerechnet, aber nicht, dass er Adina und mich im Hogwartsexpress antreffen würde.
„Seid ihr beide in Ordnung?" Die Wassernymphe neben mir nickte schnell.
„Ja, sind wir." Der Mann nickte zufrieden, bevor sein Blick wieder zu mir glitt. Er wusste genau, wer ich war. Das konnte ich an seinem Blick ablesen, was meine Vermutung verstärkte, bei ihm handelte es sich um Onkel Remus.
„Du wirst also Rona genannt und du?" Sein Blick glitt zu der Blondine neben mir.
„Mein Name ist Adina Malfoy." Er nickte nachdenklich. Anscheinend wusste er nicht, was er noch sagen sollte. Kein Wunder. Was sagte man zu einer Fremden, die ganz zufällig irgendwie mit einem Verwandt war? Auch die Wassernymphe schien keine Idee zu haben, was sie nun sagen sollte. Anders als ich. Na gut, wirklich wissen, tat ich es auch nicht. Ich war einfach nur vorlaut.
„Sie heißen Remus, nicht wahr?" Adina neben mir sah mich ziemlich überrascht an.
„Woher weißt du das?", fragte sie mich perplex. Ich zuckte mit den Schultern.
„Wurde mit jemand anderem verwechselt. Da fiel der Name. Es scheinen wohl nicht viele erwachsene Zauberer hier im Zug zu sitzen, also ist es nur logisch." Das Zwillingsschwesterding, würde ich solange es ging für mich behalten. Informationen waren Macht. Also sammelte ich möglichst von ihnen und gab möglichst wenig über mich preis.
Die Wassernymphe wandte sich wieder an den Zauberer neugierig, wie seine Antwort ausfallen würde. Dieser hatte nicht einmal das Gesicht verzogen, als ich ihm beim Namen nannte. Offensichtlich hatte er schon geahnt, dass ich wusste, wie er hieß. Wahrscheinlich hatte Marianne von unserem Zusammentreffen erzählt und auch gepetzt, dass sie mir von ihrem Onkel Remus erzählt hatte. Da war mein ganzer schöner „ich-weiß-alles"-Effekt ausgeblieben. Diese Überraschung in den Augen der Menschen, wenn man eine Information hatte, die sie einem nicht zugetraut hatten. Sie fingen dann sofort an, darüber nachzudenken, was man sonst noch alles wusste oder noch herausfinden konnte.
Doch diese Angst, ich hätte noch brisantere Informationen, war nicht in sein Gesicht geschrieben. Nur ein Grund mehr, meine Nase in seine Angelegenheiten zu stecken, um etwas herauszufinden, was man gegen ihn verwenden konnte. So eine Information hatte doch jeder. Es gab keine Person auf der Welt, die keine Leiche im Keller hatte, die am besten dortbleiben sollte. Und glücklicherweise war ich sehr gut darin, diese Leichen zu finden. Doch bis ich diese Leiche gefunden hatte, musste ich mich damit abfinden, dass er überhaupt nicht überrascht war, zustimmend nickte und dann auf das Abteil zeigte.
„Wir sollten dieses Gespräch nicht auf dem Gang fortsetzen. Kommt rein." Ich stimmte ihm zu. Wir sollten nicht auf dem Gang weiterreden. Wir sollten gar nicht weiterreden. Ich hatte kein Interesse daran, den Onkel meiner Cousine kennenzulernen. Oder meinen Onkel? Ich hätte Ares fragen sollen, ob Onkel Remus auch mein Onkel war.
Die Nymphe von Poseidon sah mich unschlüssig an. Offensichtlich wusste sie nicht, was sie von der ganzen Sache hier halten sollte. Genauso wenig wie ich.
„Das war keine Bitte. Jetzt kommt schon." Adina zuckte mit den Schultern und folgte ihm. Ich wurde von ihr hinterhergezogen. Na toll und entkommen konnte ich sowieso nicht.
Das Abteil war gut gefüllt. In einer Ecke saßen Kira Lorraine und Marianne. Beide ein wenig blasser als vorhin, doch im großen und Ganzen schien es ihnen gut zu gehen. Ihnen gegenüber saß Jamie. Er starrte aus dem Fenster, als wäre rein gar nichts gewesen. Offensichtlich hatte ihn der Besuch dieser Wesen recht wenig interessiert. Neben ihm saß ein Junge. Seine dunklen Haare standen in alle möglichen Richtungen ab und ließen sein blasses Gesicht nur noch bleicher wirken. Die stechend grünen Augen waren hinter einer runden Brille verborgen, die ziemlich schief auf seiner Nase saß, doch das Auffälligste war die Blitznarbe auf seiner Stirn. Vor ihm stand ein Mädchen mit buschigen braunen Haaren, die mindestens genauso ungezähmt wie die Haare des Narbenjungen waren und ein rothaariger Junge. Seine Kleidung wirkte fast so schäbig wie meine. Ihnen gegenüber saßen noch ein weiterer, pummeliger Junge und ein rothaariges Mädchen. Man konnte auf den ersten Blick die Verwandtschaft zwischen den beiden Rothaarigen erkennen.
Adinas Blick glitt kurz über die Anwesenden. Bei den Rothaarigen hatte sie wieder ihren abwertenden Blick aufgesetzt. Des Weiteren lag noch eine Spur der Abscheu in ihrer Augen. Offensichtlich wollte sie lieber in einem Abteil mit anderen Leuten. Ich auch. Schließlich glitt ihr Blick zu Kira Lorraine, dann wieder zu mir und zurück zu meinem Spiegelbild, immer hin und her. Und sie war nicht die Einzige, die uns auf diese Art musterte. Automatisch verschränkte ich meine Arme, bereit mich gegen alles zu stellen, was hier passieren konnte. Denn egal, was es ist, es war nichts Gutes. Kira sah wütend zu Jamie herüber.
„Willst du uns noch immer erzählen, du wüsstest nicht, wer sie ist?" Mein Zwilling hatte sich wütend vor dem Waisenjungen aufgebaut.
„Also, wo du es jetzt erwähnst, hast du vielleicht recht, dass Rona und du euch ähnlich seht." Der Zweitklässler zwinkerte mir zu. Er würde dichthalten. Wenn ich entkommen würde, wüsste er rein gar nichts über mich. Wahrscheinlich hatte er dann sogar meinen Namen plötzlich vergessen. Er hatte wohl doch ein wenig im Heim gelernt.
Adina und ich blieben in der Tür stehen, während Remus einmal alle musterte und dann ein riesiges Stück eines Schokoriegels abbrach. Ein lautes Krachen war dabei zu hören.
„Hier." Der Brillenjunge bekam die Süßigkeit hingehalten. Etwas unsicher schlossen sich seine Finger darum. Die Schokolade wanderte allerdings nicht in Richtung Mund.
„Iss, dann geht es dir besser." Es wurde noch immer nicht in die Süßigkeit gebissen, stattdessen wurden die interessanten Fragen gestellt.
„Was war das für ein Wesen?" Der Brillenträger sah den Mann neugierig an. Ich hörte weiter aufmerksam zu, während ich gleichzeitig weiter das Abteil betrachtete. Mir sprang ein Koffer ins Auge. Professor R.J. Lupin stand daran. Also war Onkel Remus dieses Jahr Lehrer in Hogwarts und besaß einen Zweitnamen, der mir J beginnt. Zwei wichtige neue Informationen.
„Ein Dementor." Die Schokolade wurde weiter in der Runde verteilt. Jamies Augen begannen zu glänzen, als ihm ein Stück hingehalten wurde. Wahrscheinlich hatte er schon seit Jahren nicht mehr in so etwas in der Hand gehabt.
„Einer der Dementoren von Askaban." Askaban, das englische, magische Zaubergefängnis. Es galt als absolut ausbruchsicher, weshalb es mir in den Fingern juckte es mir mal näher anzusehen und einen Ausbruchsplan zu erstellen. Schließlich gab es keine absolut ausbruchsicheren Gefängnisse, genauso wie man in jeden Safe und in jeden Raum reinkommen konnte, welcher als absolut einbruchsicher galt. Der Hogwartslehrer trat vor Adina und mich. Der Wassernymphe und mir wurde jeweils ein Stück hingehalten.
„Vielen Dank, Sir." Die Blondine griff nach dem Stück. Ich allerdings blieb mit verschränkten Armen an Ort und Stelle stehen. Ich würde nicht von einem Fremden Schokolade annehmen, egal wie nett er bisher zu uns gewesen war. Außerdem wollte ich gar nicht erst wieder mit dem Zeug anfangen. Dann wieder ganz darauf verzichten zu müssen, war eine richtige Qual. Die Süßigkeit war nun einmal lecker. Wenn man einmal damit anfing, hatte man ständig Lust auf den Geschmack. Ich würde meinen Körper mit Sicherheit nicht wieder daran gewöhnen, dass es solche Leckereien gab.
„Sie ist nicht giftig. Jetzt nimm sie schon." Der Lehrer drückte mir bestimmt das Stück in die Hand. Das leere Schokoladenpapier wurde zusammengeknüllt und wanderte dann in die Tasche des Lehrers. Er sah sich noch einmal in dem Abteil um. Bis auf Marianne und Kira hatte noch niemand die Schokolade angerührt.
„Esst, das hilft. Entschuldigt mich, ich muss zum Lokführer." Ich atmete erleichtert auf. Sobald er weg war, konnte ich wieder die Biege machen. Mit oder ohne Adina. War mir eigentlich egal.
„Mary, Kira, Adina und Rona, begleitet ihr mich?"
„Klar", kam es gleichzeitig von meinen beiden Blutsverwandten.
„Ist das jetzt wieder ein als Frage getarnter Befehl?"
„Schön, dass du so schnell lernst, Rona." Ich schnaubte wütend. Manchmal war es schlecht, die Menschen leicht durchschauen zu können. Zum Beispiel jetzt, wo er mir doch hätte widersprechen können. Ich war noch immer nicht auf die Fortsetzung des Gespräches scharf. Wir liefen über den leeren Gang. Die anderen Schüler trauten sich wohl noch nicht wieder, aus den Abteilen rauszukommen.
„Du hast also eine Zwillingsschwester." Adina sah mich neugierig von der Seite her an. Ich gab ein leises Grummeln. Diese Definition wollte ich eigentlich nicht hören. Die Wassernymphe runzelte die Stirn.
„Dann haben wir aber eine Neue zu viel." Wir wurden neugierig gemustert, in der Hoffnung einer von uns würde ihre Neugierde stillen. Allerdings hatte ich nicht vor, dies zu tun.
„Nach Jamies erster Reaktion nach zu urteilen, sollte Rona nicht in diesem Zug sein." Kira sah mich erwartungsvoll an. Offensichtlich sollte ich jetzt meinen Senf dazugeben.
„Sollte ich nicht."
„Und warum bist du im Hogwartsexpress und nicht – wo auch immer du jetzt eigentlich sein sollst?" Der Lehrer sah mich auffordernd an.
„Tyche ist eine Bitch." Die anderen drei Nymphen sahen mich entsetzt an.
„Was? Ist so!"
„Du kannst doch nicht eine Göttin beleidigen." Marianne schüttelte ungläubig den Kopf, während ich die Augen verdrehte.
„Nachhilfe in Götterkunde. Tyche war nur eine Halbgöttin, hatte nur Glück, dass sie noch zu den Zeiten der Göttern auf der Erde gewandelt ist, weshalb sie ein bisschen mehr Magie als eine normale Hexe hatte, ist schon lange lange Zeit tot und sie spielt einen nun mal gerne Übel mit."
„Du kannst sie trotz allem nicht beleidigen." Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte den Spruch von Ares übernommen, daher war es wohl in Ordnung. Außerdem musste man sich Respekt verdienen. Ich würde nicht vor jemanden zur Kreuze kriechen, nur weil er irgendeinen Titel hat.
„Du hast doch gehört, dass ich es einfach kann." Adina fing an zu kichern. Wenigstens hatte irgendjemand hier Spaß.
„Wie hast du es geschafft, deine Spur abzulegen?" Remus Lupin hatte einen ziemlich strengen Blick aufgesetzt. Ihm gefiel das Ganze wohl gar nicht.
„Ich habe die Spur nicht abgelegt." Ares hatte sie deaktiviert, doch diese Information würde ich lieber für mich behalten.
„Du besitzt Magie und nicht gerade wenig. Ansonsten hättest du keinen Patronus heraufbeschwören können. Also musst du irgendwie die Spur losgeworden zu sein, wenn du bisher nicht in Hogwarts warst. Oder gehst du auf eine andere Zauberschule?" Patronus hießen die silbernen Leuchttiere also. Ich zuckte mit den Schultern.
„Magie ja, Schule nein." Der Lehrer seufzte leise. Offensichtlich fand er es furchtbar anstrengend, mir alles aus der Nase zu ziehen, doch wie schon einmal erwähnt. Informationen waren Macht und Macht behielt ich gerne für mich.
„Du wirst gleich erstmal mit nach Hogwarts kommen." Ich verschränkte die Arme. Ich hasste es, wenn jemand meinte, mich befehligen zu müssen. Ich konnte auf eigenen Beinen stehen, das Letzte, was ich brauchte, war jemand, der mich bevormunden wollte.
„Sind sie mein Vormund?"
„Nein, aber –"
„Dann haben sie mir auch nicht zu sagen, wohin ich gehen werde." Eine Augenbraue wurde skeptisch hochgezogen.
„Ich vermute mal, dein Vormund weiß nicht, dass du hier bist, und hat schon die Polizei über deine Abwesenheit informiert?" Davon konnte man wohl ausgehen. Lupin schien wohl meinen Gesichtsausdruck richtig zu interpretieren.
„Also entweder kommst du mit nach Hogwarts, wir klären das ganze Chaos in Ruhe auf, du kommst vermutlich ohne Ärger aus der ganzen Sache raus und kannst wahrscheinlich einfach in Hogwarts bleiben oder du kommst nicht mit, wir informieren deine Erziehungsberechtigten, wo du gesucht werden solltest, und ich bin mir ziemlich sicher, die Auroren werden ebenfalls dafür sorgen, dass du nach Hause findest. Allerdings werden sie vorher wissen wollen, wie es eine Elfjährige geschafft hat, die Spur zu entfernen." Ich fluchte innerlich. Wie war das nochmal? Wissen ist Macht? Hier war mal wieder der Beweis.
Wenn es um einen entflohenen Teenager ging, war die Motivation eine Sache. Wenn eine minderjährige Hexe allerdings ohne Spur mit einem Haufen Magie rumlief, war es eine ganz andere Sache. Letzteres könnte wesentlich schlimmer für mich ausgehen. Es war nicht gerade legal, die Spur von sich selbst lösen zu lassen. Ares könnten sie schlecht dafür zur Verantwortung ziehen, doch ich würde mit Sicherheit nicht straflos davon kommen.
„Die Auroren müssen sich wirklich nicht unnötig Ärger machen, weil plötzlich Menschen meinen, sie müssten mich bevormunden. Ein kurzer Besuch in Hogwarts wird mir nicht Schaden."

Hexagramm - SchlangenbrutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt