Marlon ließ mit einer kurzen Bewegung des Handgelenks das Messer wieder zuklappen. Ares, ein Butterflymesser wollte ich auch haben. Doch dieses Thema würde ich nicht ansprechen, solange der fremde Mann noch in dem Sessel saß und ganz in Ruhe seine Zeitung zusammenfaltete. Er lächelte mich freundlich.
„Und du musst Rona sein. Carolins und Sirius verschollene Tochter. Freut mich, dich kennenzulernen." Ich verschränkte die Arme. Offensichtlich freute es meinem Babysitter nicht so sehr wie dieser Frédéric, dass er nun hier war und dieses Kennenlernen stattfinden konnte. Marlon hatte sich bisher bei meinen Entscheidungen hinter mich gestellt, dann würde ich ihm jetzt sicherlich nicht einfach in den Rücken fallen.
Anders als Bärchen. Der kleine Hund war mittlerweile in die Wohnung gelaufen. Nun saß er vor Frédéric und ließ sich friedlich von ihm kraulen.
„Frédéric, was willst du hier?"
„Nach meinem Bruder sehen, der sich seit einem halben Jahr nicht gemeldet hat? Ich dachte, du würdest dich ein wenig mehr freuen, wenn ich vorbeikomme. Wenigstens genug, um hallo zu sagen."
„Nein, ich freue mich nicht, dass du bei uns in die Ferienwohnung eingebrochen bist." Der fremde Mann seufzte leise. Offensichtlich hatte er gehofft, Marlon würde ihn etwas wärmer hier empfangen.
„Welpe, würdest du vielleicht Pizza zum Abendessen holen? Ich kümmere mich hier rum." Mir wurde ein Geldschein hingehalten. Etwas widerwillig griff ich danach. Eigentlich würde ich jetzt sehr gerne hierbleiben, um das Ende dieses Gesprächs mitzukriegen.Mit drei Pizzaschachteln und einem Sixpack Bier kam ich wieder zurück zur Ferienwohnung. Vorsichtig lauschte ich an der Tür. Drinnen war es ziemlich ruhig. Die beiden Männer schrien sich demnach nicht gegenseitig an. Das war schon mal gut, ansonsten hätte ich vorsichtig zwei der Pizzen in den Raum geschoben und wäre stiften gegangen.
Ich hatte keine Lust, bei einem Streit Zeuge zu sein. Das hatte ich schon oft genug miterlebt. Zugegebenermaßen, es war immer mal wieder sehr amüsant, wenn eine meiner Pflegemütter in einem Streit Teller nach dem entsprechenden Pflegevater warf.
Wenn nun zwei aus der Kriegsnymphenfamilie sich stritten, ob dann auch irgendwelche Dinge geworfen wurden? Doch auch wenn es mich wirklich interessieren würde, war ich froh, dass ich es heute nicht mehr erfahren würde. Außer ich fand gleich eine Leiche darin.
Eigentlich wäre ich sehr froh darüber, wenn ich mich gleich mit Marlon auf das Sofa kuscheln konnte. Der Tag war ziemlich aufwühlend und anstrengend gewesen. Ich wollte jetzt wirklich keinen Streit mehr miterleben.
Mit Hilfe meiner Magie öffnete ich die Tür. Neugierig musterte ich die Situation drinnen. Marlon saß auf dem Sofa. Er hatte seine Beine angezogen. Die Ellbogen hatte er auf den Knien abgestützt. Die linke Hand war in seinen Haaren vergraben. Der Mann sah so fertig aus, wie ich mich fühlte. Neben ihm saß Frédéric. Er hatte einen Arm tröstend um die Schultern meines Babysitters gelegt. Das sah doch wirklich friedlich aus.
„Pizzalieferservice! Und Bier habe ich auch." Ich wurde von Frédéric geschockt angestarrt.
„Bei den zwölf Göttern, wie bist du an Bier gekommen?"
„Ich habe gesagt, ich wäre achtzehn und habe einen gefälschten Ausweis auf den Tresen gelegt." Ich wurde mit schiefgelegtem Kopf angesehen.
„Und dann hat man dir Bier verkauft?" Misstrauen machte sich in dem Blick breit.
„Ein bisschen Magie war auch im Spiel. Ich habe mich so verzaubert, dass ich wie eine erwachsene Person aussehe." Ich stellte die drei Pizzakartons und das Sixpack auf den Sofatisch ab. Marlon löste währenddessen seine Hand aus seinen Haaren. Stattdessen streckte er sie nach mir aus.
„Bist du ein Metamorphmagus? Dein Zwilling ist keiner." Unser Besucher musterte mich mittlerweile, um irgendetwas zu finden, was seine These bestätigte. Auch wenn ich nicht wusste, wie er es jetzt gerade sehen wollte. Solange ein Metamorphmagus seine Kräfte nicht einsetzte, würde wohl kaum jemand erkennen, dass er einer war. Allerdings war ich keiner.
„Nein, es gibt Zauber, mit denen man das Aussehen von Personen ändern kann. Ares hat mir beigebracht, wie ich sie auf mich selber anwende." Ich kuschelte mich an Marlon. Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
„Und als braver Welpe, hast du dieses Wissen genutzt, um uns Bier mitzubringen."
„Und ihr beide habt euch vertragen?" Ich sah vorsichtig zwischen meinem Babysitter und dessen Bruder hin und her. Mit meiner Frage schien ich gerade nicht in ein Wespennest hineingestochen zu haben. Das war doch schon einmal ein gutes Zeichen.
„Zwischen uns beiden ist wieder alles gut. Frédéric bleibt noch ein oder zwei Tage bei uns, wenn es für dich in Ordnung ist. Er will uns davon überzeugen mit ihm zurück nach Frankreich zu fahren."
„Mum und Dad würde es sehr freuen, wenn du nach Hause kommst. Und deine Nichten vermissen dich auch schrecklich, Marlon." Ich sah neugierig zu dem Angesprochenen, welcher eindeutig über das Thema Eltern und Nichte hinweggehen wollte. Lieber öffnete er die Pizzaschachteln, um nach seinem Abendessen zu suchen.
„Du hast Nichten?"
„Zwei. In deinem Alter. Du würdest sie wahrscheinlich mögen. Irgendwann stelle ich sie dir mal vor. Jetzt iss deine Pizza."
„Du könntest sie ihr einfach morgen vorstellen."
„Frédéric, ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde. Jetzt nerve mich nicht. Iss lieber deine Pizza und trink ein Bier." Dem Besucher wurde beides hingeschoben. Mir wurde die Flasche hingehalten.
„Willst du probieren?" Ich griff nach der Flasche. Probieren würde mir mit Sicherheit nicht schaden.
„Marlon, sie ist dreizehn Jahre alt. In fünf Jahren darf sie Bier trinken."
„Alkohol schadet ihr doch nicht." Ich sah amüsiert zwischen den beiden hin und her. Menschen, die einen erziehen wollten, waren manchmal wirklich lustig.
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Hexagramm - Schlangenbrut
Fiksi PenggemarDreizehn Nymphen, drei Verschollene und eine Entführte. Dreizehn fast ausgerottete Familien, doch dadurch auch zwölf Jahre Frieden. Rona Smith scheint auf den ersten Blick mit den Ereignissen von vor zwölf Jahren nichts zu tun zu haben. Die Namen Ca...