Teil20

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Gedankenverloren saß Hermione in ihrem Arbeitszimmer und blickte auf das aufgeschlagene Buch vor sich, ohne die Worte richtig wahrzunehmen.

Ihre Gedanken waren bei der letzten Nacht und dem heutigen Morgen, bei der Unordnung, die in ihrem Kopf herrschte.

Die Ehe war vollzogen ...

Das zumindest hatte ihr Ehemann, Severus, ihr beim Frühstück knapp berichtet, ohne dass sie danach gefragt hätte, denn das hätte sie sich niemals getraut ...

So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich selbst nicht mehr erinnern. Sie wusste nicht mehr, was passiert war, nachdem sie am gestrigen Abend das Wohnzimmer betreten hatte.

Seine Erklärung war einfach und einleuchtend gewesen. Sie war aufgeregt und völlig nervös gewesen, was ihr durchaus nachvollziehbar vorkam. Darum hatte er sie gezwungen, einen Beruhigungstrank zu sich zu nehmen, der sie zusammen mit ihrem Schlafentzug der letzten Tage so benebelt hatte, dass ihr Kopf den Vollzug der Ehe völlig verdrängt hatte. Er hatte das erwartet und es ihr daher beim Frühstück beiläufig mitgeteilt, als ob er über das Wetter reden würde.

Zuerst war sie für die Erklärung dankbar gewesen, denn schon als sie die Augen am Morgen aufschlug, hatte sie versucht zu ergründen, was in der Nacht geschehen war. Aber jetzt, nachdem sie Zeit gehabt hatte, über alles nachzudenken, wurde sie das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte, er ihr irgendetwas verschwieg.

Sie war beunruhigt und Angst breitete sich in ihrem Körper aus, denn auch, wenn sie nicht mehr wusste, was gestern Nacht passiert war, an eines erinnerte sie sich noch.

An die zwei Albträume, die sie hatte. Und die grauenhaften Bilder, die sie seitdem nicht mehr aus dem Kopf bekam.

Vor allem die des zweiten Traumes, denn er handelte von ihr. Und ihrem Mann ...

Sie stand in ihrer Schuluniform in seinem Schlafzimmer. Zumindest nahm sie dies an, denn sie hatte den Raum bisher noch nicht gesehen oder vielmehr wusste sie nichts mehr davon.

Hermione hatte im Traum ihre Angst so deutlich spüren können, als wäre sie wirklich dort gewesen und sie hatte tatsächlich nicht gewusst, dass sie träumte, bis sie schluchzend in ihrem Bett aufgewacht war. Das Zittern, das sie im Schlaf begleitet hatte, war ihr auch in die Wirklichkeit gefolgt ...

Ihre Uniform hatte im Traum die Kälte nicht verdrängen können, die in ihrem Inneren tobte, als sie ängstlich auf den Mann blickte, der groß und dunkel und schweigend vor ihr stand, sie mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck betrachtete.

Sie konnte ihren Blick nicht abwenden und stolperte, ohne auf ihre Schritte zu achten, stumm nach vorne, als er es ihr mit einer stummen, herrischen Geste bedeutete. Sie kam sich vor wie eine willenlose Marionette, ohne eigenen Geist. Sie bestand nur aus Furcht ...

Langsam ging er um sie herum. Sie spürte, wie er eine ihrer Haarsträhnen anhob, sie durch seine Finger gleiten ließ, beiläufig ihre Schulter berührte, ihre Wange, und mit jedem Kontakt wuchs der Schrecken in ihr, denn sie wusste, sie war ihm ausgeliefert.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schien er zufrieden zu sein und blieb direkt vor ihr stehen. Dann setzte er sich ganz langsam auf sein Bett, blickte sie durchdringend an und sagte mit befehlender Stimme: „Zieh dich aus!"

Sie konnte sich nicht bewegen. Sie spürte, wie ihr Verstand versuchte, ihren Körper dazu zu bringen, ihm zu gehorchen, aber er tat es einfach nicht. Und dann wurde ihr die Entscheidung abgenommen.

Es sah aus, als ob er nachlässig eine Fliege verscheuchen wollte, aber was sie spürte war, wie sie durch den Raum geschleudert wurde und rücklings gegen die Wand knallte. Ein Brennen fuhr durch ihren Kopf, angefangen auf ihrer linken Wange, und fast hoffte sie, einfach ohnmächtig zu werden, damit sie aus dieser ausweglosen Situation erlöst werden würde. Stattdessen klarte sich ihr Blick wieder auf, als sie erneut seine Stimme hörte, völlig ausdruckslos, fast desinteressiert: „Ich sage es nur noch einmal. Zieh dich aus!"

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