Teil13

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Irgendein Muggelwissenschaftler hat in einer Studie einmal belegt, dass jeder Mensch eine eigene, individuelle Schmerzgrenze hat und man diese verändern könnte. Dass es einige Dschungelvölker gibt, die mehr ertragen können als andere und dass eine Form der Gewöhnung an Schmerz existiert.

Mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit hat dieser Idiot noch niemals einen Cruciatus am eigenen Leib erlebt, dachte Severus und versuchte, sich von seinen verkrampften Gliedmaßen, den Muskelzuckungen und den verengten Blutgefäßen abzulenken, um nicht vor Schmerz laut aufzuschreien. Egal, wie sehr er auch leiden mochte, diese Genugtuung hatte er dem Dunklen Lord noch nie gewährt ...

Dennoch konnte er ein Aufkeuchen nicht verhindern, als der Fluch plötzlich von ihm genommen wurde und seine Nervenstränge noch einige Sekunden weiterfeuerten, bis sein Gehirn begriff, dass es vorbei war, und der Schmerz langsam abebbte.

„Und nun, mein treuer Severus, hast du fünf Minuten Zeit, um mir zu erklären, welche Gründe deinem eigenmächtigen Handeln zugrunde liegen", flüsterte die Stimme des Dunklen Lords fast freundlich in sein Ohr.

Der Meister der Zaubertränke erhob sich langsam auf die Knie und senkte unterwürfig den Kopf. „Mein Handeln wird stets nur von meinem Wunsch beherrscht, Euch zu dienen, mein Lord", sagte er mit glatter, geschmeidiger Stimme, der man nur durch ein leichtes Zittern anmerken konnte, dass sein Besitzer gerade grausam gefoltert wurde.

„Das werden wir gleich herausfinden. Sieh mich an", befahl der Anführer der Todesser. Severus wappnete sich innerlich, dann hob er den Kopf und blickte Tom Riddle fest in die Augen.

Sofort drang dieser in seine Gedanken ein. Der Dunkle Lord war dabei niemals feinfühlig, niemals vorsichtig. Kalt, berechnend und rücksichtslos verschaffte er sich Zugang, er machte keinen Unterschied zwischen seinen Dienern oder anderen Magiern.

Es bedurfte viel Selbstbeherrschung und Können, diesem brutalen Eindringen ohne Schaden standzuhalten. Und noch mehr, es zu steuern ...

Langsam und vorsichtig musste Severus sein, damit der Dunkle Lord nie erfuhr, dass er nicht wahllos in den Erinnerungen seines Dieners hin und her sprang. Der Meister der Zaubertränke hatte Jahre der Übung mit Albus Dumbledore benötigt, damit er seine Gedanken steuern konnte, ohne dabei aufzufallen.

„Das Chaos ist der Schlüssel", hatte ihm sein alter Freund immer wieder eingetrichtert. „Das Gehirn ist ein Ort der Unruhe. Die Erinnerungen sind nie sortiert, nie in Reih und Glied, niemals in Schubladen abgelegt, es herrscht keine Ordnung. Nein, sie strömen vielmehr wahllos durch die Millionen von Nervenzellen und warten darauf, durch Reize, andere Erinnerungen oder Gedanken ausgelöst, aus den Tiefen der Gedanken hervorgeholt zu werden. Du musst verstehen, wie es funktioniert, bevor du versuchen kannst, es nachzuahmen und so zu kopieren, dass es immer noch wie das Chaos wirkt, dass es sein sollte."

Severus wusste nicht mehr, wann er diese Kunst schließlich gemeistert hatte. Zu Anfang, als er sich in Albus' Hände begeben hatte, war sein einziger Wunsch gewesen, Lily zu beschützen. Damals konnte er nichts verstecken, nichts verbergen, zu sehr war er von seinen Gefühlen geleitet worden. Das hatte der Schulleiter schnell erkannt und ihn lediglich mit unwichtigen Informationen versorgt, mit denen Tom Riddle keinen Schaden anrichten, Severus seine Rolle als Spion aber festigen konnte.

Nach Lilys Tod und Voldemorts Verschwinden jedoch hatte Albus nachdrücklich damit begonnen, den Meister der Zaubertränke zum Studium der Okklumentik zu drängen. Severus selbst war zu dieser Zeit wie betäubt gewesen, zu keinem richtigen Handeln fähig und auch die Beherrschung seines Geistes interessierte ihn nicht. Der Träger des Ordens des Merlins erster Klasse jedoch hatte kein Mitleid mit ihm. Egal, wo Severus war, egal zu welcher Uhrzeit, plötzlich tauchte Albus im Schloss neben ihm auf und griff ihn an. Gnadenlos zerrte der Schulleiter jede Erinnerung in ihm grausam ans Licht, ließ ihn alle guten und schrecklichen Momente seines Lebens erneut durchleben.

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