Teil23

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Sie konnte mit niemandem darüber sprechen. Nicht mit ihren Freunden, nicht mit Professor Dumbledore, nicht einmal mit Margery, die sie jeden Tag mehrmals fragte, ob alles in Ordnung war.

Nein, nichts war in Ordnung, aber was sollte sie sagen?

Dass sie in der letzten Woche jede Nacht davon geträumt hatte, wie ihr Mann sie auf grausame Art und Weise nicht nur vergewaltigte, sondern ihr sowohl physisch, als auch psychisch Qualen und Schmerzen bereitete? Dass sie in diesen Träumen das Gefühl hatte, in die Hände eines Psychopathen geraten zu sein, der ein perfides Vergnügen an ihrem Leid verspürte?

Wie sollte sie so etwas jemandem erzählen? Und das war noch nicht alles. Wie konnte sie beschreiben, dass sie nach diesen Träumen schreiend und weinend aufwachte und die Schmerzen nicht nur körperlich noch fühlte, sondern auch sehen konnte? Sehen konnte, wie die Striemen, die Schläge, die Verletzungen noch auf ihrer Haut sichtbar waren? Dass sie so leicht, fast schon abgeheilt erschienen, dass sie sich fast einreden konnte, sie sich nur einzubilden, den dazugehörigen Schmerz nur in ihrem Kopf zu spüren?

Was sollte sie also erzählen? Dass sie das Gefühl hatte, verrückt zu werden?

Jeden Morgen fürchtete sie sich bereits vor dem Abend und jeden Abend wollte sie sich zwingen, wach zu bleiben, aber vergebens. Konnte sie früher ganz Nächte in ihrem Bett lesend verbringen, so musste sie die letzten Tage nur darin liegen und schon war sie eingeschlafen.

Und trotzdem war sie nie erholt, fühlte sich jeden Morgen noch erschöpfter als am vorherigen.

Tiefe Ringe hatten sich unter ihre Augen gegraben, die Blässe wich nicht mehr aus ihrem Gesicht und ihr Blick war unstet und gehetzt.

Sie konnte sich im Unterricht nicht mehr richtig konzentrieren, sie war unaufmerksam und fahrig und konnte nur von Glück reden, dass die Privatstunden erst nächsten Montag beginnen würden.

Und als sie schon glaubte, dass sie niemals aus dieser Hölle herauskommen würde, hatte es aufgehört.

Denn heute Nacht hatte sie das erste Mal seit der Hochzeit nicht geträumt. Nach einer langen, traumlosen Nacht war sie mit einem seltsamen Glücksgefühl aufgewacht, mit einer inneren Ruhe, die sie schon fast nicht mehr zu besitzen glaubte. Einige Minuten lag sie einfach nur still auf ihrem Bett, beobachtete die Sonnenstrahlen, die zwischen den zugezogenen Vorhängen hindurchschimmerten und fühlte sich glücklich. Und dann fiel ihr alles wieder ein. Die letzten Nächte, die Albträume, die Angst und Verzweiflung und das Glücksgefühl verflog und machte Verwirrung Platz.

Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, was sie empfinden sollte, nachdem sie diese Nacht von keinem Albtraum heimgesucht worden war. Erleichterung? Hoffnung? Was, wenn es nur ein Aufschub war und die Träume noch schlimmer wiederkehren würden?

Dazu kam, dass ihre Träume in keiner Weise mit dem übereinstimmten, was sie tagsüber erlebte.

Nun gut, auch am Tag war ihr Mann immer noch kein liebenswürdiger, verliebter, schmachtender Jüngling. Aber er war höflich, wenn auch distanziert. Er hatte sich ihr kein einziges Mal genähert, sie in der ganzen Woche nur dann berührt, wenn es in der Öffentlichkeit notwendig war. Und in diesen Momenten hatte er nichts Bedrohliches, ganz im Gegenteil, er war warm und stark und gab ihr so Halt, wenn die Blicke ihrer Mitschüler auf ihr ruhten, sie die hämischen Gesichter und das Gekicher schweigend ertrug. Sie fühlte sich in diesen wenigen Momenten bei ihm sicher ...

Ansonsten lebten sie fast wie Fremde nebeneinander her, aßen zwar zusammen, sprachen aber nur das Nötigste. Und niemals kam er nachts zu ihr oder forderte sie auf, ihre Pflichten als Ehefrau zu erfüllen ...

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