Teil22

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Langsam stieg sie die Treppe hinunter. Obwohl sie noch vor einigen Minuten ihrem Verstand erklärt hatte, dass es absolut nichts zu befürchten gab, schien diese Information noch nicht bei ihrem restlichen Körper angekommen zu sein, denn sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz mit jedem Schritt schneller schlug. Sie atmete einige Male tief durch, bevor sie das Wohnzimmer betrat.

Die gemütliche Sitzecke vor dem Kamin war verschwunden, stattdessen stand dort jetzt ein dunkler Esstisch mit zwei Stühlen.

Ein munteres Feuer flackerte dahinter und mit dem Blumenstrauß, der in der Mitte des Tisches platziert war, hätte das Ganze fast romantisch wirken können.

Wenn an den Kaminsims gestützt nicht, nun ja, ER, gestanden und sie mit unergründlichem Blick angesehen hätte, bevor er ohne eine weiteres Wort zu einem der Stühle ging, ihn zurückzog und wartete, bis sie die Aufforderung verstand und sich setzte.

Dann ging er ebenso wortlos um den Tisch herum und setzte sich ebenfalls.

Und genau dieses Verhalten verwirrte und verunsicherte sie ... Diese unerwartete Präsenz von Höflichkeit, dieses Aufblitzen von Etikette, die er irgendwann in seinem Leben gelernt haben musste und so verinnerlicht hatte, dass sie ihm wie eine zweite Haut passte, wenn er sie gerade für angebracht erachtete.

Denn es warf auch die Frage auf, ob er diese Zivilisiertheit ebenso mühelos abwerfen konnte, wenn ihm danach verlangte ...

Die Speisen erschienen auf dem Tisch und immer noch ohne Worte legte sich der Zaubertränkemeister einiges auf den Teller und begann schweigend zu essen.

Hermione tat es ihm nach, legte aber nach einigen Bissen ihre Gabel auf den Teller, obwohl sie zuvor so großen Hunger gehabt hatte, und beobachtete ihn stattdessen verstohlen.

Noch nie hatte sie ihm bewusst beim Essen zugeschaut. Er wirkte tief in Gedanken versunken und schien gar nicht recht zu bemerken, was er da gerade aß. War es für ihn nur eine lästige Pflicht? Sie grübelte über das Rätsel nach, das dieser Mann für sie darstellte, und zuckte erschrocken zusammen, als er plötzlich das Wort an sie richtete.

„Morgen früh wirst du einen neuen Stundenplan erhalten, der ab nächster Woche Gültigkeit hat." Sie blickte bei seinen Worten erstaunt auf und wollte schon nachfragen, als er bereits weitersprach: „Professor Dumbledore hält es für angebracht, deine Ausbildung in Verteidigung gegen die dunklen Künste und Zaubertränke, sowie Verwandlung und Alte Runen zu intensivieren. Aus diesem Grund wirst du nur noch diese Fächer belegen. In den sich durch diese Änderung ergebenden Freistunden wirst du entweder vom fachlichen Leiter eines Bereiches Privatstunden erhalten oder eigenständig deine Studien fortsetzen. Nicht Professor Slughorn wird deinen Unterricht in Zaubertränke übernehmen, sondern ich. Zusätzlich zu den Privatstunden in Verteidigung gegen die dunklen Künste wirst du bei mir ebenfalls die Okklumentik lernen."

Ein verächtliches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ich hoffe, du wirst dich als begabter herausstellen als Mister Potter."

„Warum?", fragte sie nach einigen Sekunden.

„Präzisiere deine Frage!"

„Warum hält Professor Dumbledore diese Änderungen für notwendig?", hakte die junge Frau nach, ohne sich von ihrem Gegenüber beirren zu lassen.

Severus sah sie nachdenklich an, bevor er ohne ein Anzeichen von Spott entgegnete: „Weil du das vielversprechendste Mitglied des Goldenen Trios bist. Das Gehirn. Weil du fähig sein musst, Potter anzuleiten, ihm Rat und Tat zu geben, wenn sonst keiner mehr da ist."

Hermiones Augen waren bei seinen Worten immer größer geworden. Lobte er sie etwa gerade? Und was wollte er damit andeuten, wenn sonst keiner mehr da war? Meinte er damit, wenn alle anderen tot waren?

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