Kapitel 9.

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Nico

„Ist hier noch frei?"

Verwirrt blicke ich hoch, schnaube dann aber genervt. Beni grinst mir breit entgegen und hat bereits Platz genommen.
„Der ganze Tisch ist frei, Alter", brumme ich und gucke wieder runter in das aufgeschlagene Buch. Ich lese aber nicht.
In meinem Kopf rattert es.

Leon und Nora hatten Streit. In aller Öffentlichkeit ist sie ausgerastet und hat ihren Freund sitzen gelassen. Ich kenne sie zwar nicht gut, aber gut genug um zu wissen, dass dies nicht ihre Art ist. Im Unterricht meldet sie sich selten. Sie ist clever, sie weiss die Antwort immer, wenn der Lehrer sie fragt. Aber zu unsicher, um sich von selbst zu melden.
Sie geht Konflikten möglichst aus dem Weg.

Und warum hab' ich das Gefühl, dass es bei ihrem Streit um mich ging? Oder warum sonst wirft mir mein Lieblings-Bruder ständig vernichtende Blicke quer durch die Kantine zu?

„Was'n liest dn du?", mampft Beni jetzt und deutet auf das Buch in meiner Hand.

„Is' für Englisch", meine ich abwesend und halte es hoch, damit er den Titel sehen kann.

„Junge, du machst mich stolz", trällert er fröhlich und fasst sich theatralisch ans Herz.
Ich schüttle genervt den Kopf, kann ein Grinsen aber nicht unterdrücken.

„Beni-Boy, dein Rat ist gefragt!"
Mit lauter Stimme, wie immer, ergattert Kayla die Aufmerksamkeit. Schwungvoll lässt sie sich ohne richtige Begrüssung neben Beni auf den Stuhl fallen und zückt ihr Handy.

„Was meinst du, welche Frisur würde mir besser stehen?"

Kayla besucht den gleichen Kunstkurs wie Beni und seit einigen Monaten chillt sie Mittags öfters an unserem Tisch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auf Beni steht, nur merkt dieser Idiot es nicht. Und glauben tut er es mir auch nicht.

Kayla ist freundlich. Etwas ausgeflippt zwar, aber steht's gut gelaunt. Vermutlich mag sie Beni deswegen, er ist die grösste Grinsebacke der Welt.
Während Beni sich die Bilder auf ihrem Handy ansieht, dreht sich Kayla zu mir.
„Hey Nici", begrüsst sie jetzt auch mich und wendet den Kopf zu mir. Dabei klirren ihre riesen Ohrringe, welche die Form von Essiggurken haben. Warum zum Teufel auch immer.

Kayla liebt es ihren Freunden Spitznamen zu geben. Ich weiss auch wie hartnäckig sie sein kann. Sie ist die einzige Person die mich Nici nennen darf, ohne von mir geköpft zu werden.

„Ich überleg mir gerade meine Haare mit Henna zu färben. Entweder das oder ich schneide mir einen Pixie Cut zu, was denkst du?!", plappert sie auch schon begeistert los und ich bin Beni echt dankbar, dass er sich jetzt zu Wort meldet.
Was zum Henker ist ein Pixie Cut? Klingt für mich wie eine Hunderasse.

„Henna ist pflanzlich und würde deinen Haaren bestimmt nicht gross schaden. Ausserdem denke ich, dass rot gut zu deinem Teint passen würde. Ein Pixie cut ist schon gewagt, aber ich denke du hast die passenden Gesichtszüge dazu...", protokolliert Beni mit grüblerischer Mine, während er Kaylas Profil mustert. Ich frage mich warum verdammt er so viel über dieses Zeugs wusste und wende mich dann wieder kopfschüttelnd meinem Buch zu.

Um ehrlich zu sein kann Kayla mit nichts mehr überraschen. Sie ist vermutlich die experimentierfreudigste Person, die ich kenne. Im Moment waren ihre Haare braun, beinahe schulterlang und mit blauen Strähnchen durchzogen. Aber in der kurzen Zeit in der ich sie schon kenne, habe ich sie schon mit langen, blondgelockten Haaren, kurzem Pony oder neonpinken Fransen gesehen.
Von dem her.

Die beiden diskutieren weiter, während ich meinen Blick durch die Kantine wandern lasse.

Aber Leon ist verschwunden.

Zwei Sterne am NachthimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt