Nico
„Komm schon, du kannst dich nicht einfach den Rest der Woche hier verkriechen!", meint Beni jetzt schon zum hundertsten mal und geht mir langsam aber sicher damit auf die Nerven.
Er sitzt in der Nähe am Boden, den Kopf an die Wand gelehnt und stöhnt genervt als ich, ohne ihn zu beachten, weiter auf die Tasten haue.
Ich will dieses Stück noch können, bevor ich in dieses Scheiss Internat gesteckt werde. Ob ich dort ein Klavier auftreiben kann, steht in den Sternen.„Wir sind schon seit Eeeeewigkeiten hier", mault Beni und vergräbt seinen Kopf in den Händen. Dabei rutscht ihm die graue Mütze vom Kopf und gibt seine braunen wuscheligen Haare preis, die er mit der Kopfbedeckung immer in Zaun zu halten versucht.
„Hey, ich hab' dich nicht gezwungen hier zu bleiben", verteidige ich mich. Seit dem Gespräch mit Rektor Falkenau ist Beni nicht mehr von meiner Seite gewichen.
„Kayla hat dieses mega krasse Hipster-Restaurant in der Innenstadt entdeckt, das ist echt ein Geheimtipp!
Komm schon, es ist schon nach sechs Uhr und wenn wir noch länger hier bleiben, dann sterbe ich vor Hunger!", labert Beni weiter und gestikuliert dabei dramatisch mit den Händen.
„Du willst doch nich' daran schuld sein, wenn ich wegen dir und zwar nur wegen dir alleine, Nico Brand-."„Ja chill mal, ich komm ja schon", unterbreche ich meinen besten Freund, alias die grösste Nervensäge der Welt und sammle meine zerknitterten Notenblätter zusammen.
Der schwierige Teil ist mir immer noch nicht ganz gelungen, aber ich habe das Gefühl, dass dies heute eh nichts mehr bringen würde. Vor allem nicht mit dieser Quasselstrippe an meiner Seite.
Beni springt sofort begeistert auf und grinst mich breit an. Er scheint wieder bester Laune zu sein.
~
In der Innenstadt treffen wir auf Kayla die uns dann den Weg zu diesem "extrem krassen Geheimtipp-Hipster-Dings" zeigt.
Wie sich herausstellt, ist es nur ein kleines Bistro in der Nähe des Stephansdoms mit übertrieben vielen Pflanzen, farbigen Klappstühlen und kunstvoll verzierten Graffitiwänden. Kayla, mit ihrer violetten Latzhose und dem gestreiften Pullover passt perfekt hier rein.
Sofort steuert sie auf einen kleinen runden Tisch, welcher von Pflanzentöpfen umlagert ist, zu und erklärt ihn mit grossen Gesten zu ihrem „Stammtisch".
Gähnend lasse ich mich auf einen blauen Stuhl fallen und verschränke die Arme auf dem Tisch. Kayla studiert bereits die Menükarte und ich gähne erneut.
„Müde?", fragt Beni der jetzt ebenfalls nach einer Speisekarte greift.
„Nein Mann, ich gähne zum Spass", meine ich sarkastisch.„Ich glaub, ich nehm das hier", trällert Kayla dazwischen und zeigt Beni etwas in ihrer Karte. Dabei klimpern die unzähligen Armbänder an ihrem Handgelenk.
Ich lege geistesabwesend den Kopf auf meine verschränkten Arme und blicke mich im Restaurant um.
Meine Gedanken schweifen zu heute Morgen. Nora war nicht in die Schule gekommen und, es geht mich zwar nichts an, aber scheinbar hat es Leon kein bisschen gestört. Stattdessen hat er im Flur mit Jessica herumgeschlabbert, als gäbe es kein Morgen.„Was nimmst du?", reisst mich Benis Stimme wieder ins hier und jetzt und ich blicke auf.
„Keinen Hunger", meine ich wahrheitsgetreu und Kayla mustert mich mit besorgter Miene.
„Nici, hier gibt es echt gutes Essen. Ich weiss die ganze Sache....beschäftigt dich echt. Mich und Beni auch, aber wir werden schon irgendeine Lösung finden...", meint sie jetzt und ich nicke, auch wenn ich nicht weiss, wie genau sie eine Lösung finden will.
Wenn es keine Lösung ist, die Emily in den Erdboden versinken lässt, weiss ich auch nicht was helfen soll.Denn Rest des Abends machen wir alle einen möglichst grossen Bogen um das Thema Internat, beschissene Stiefmutter oder Schuldirektor Falkenau.
Beni und Kayla versuchen in unbeschwerter Stimmung zu sein und ich bin ihnen echt dankbar, dass sie mich einige Stunden von der ganzen Scheisse ablenken.Wir reden über alte Zeiten und Beni erzählt von einigen peinlichen Aktionen, die wir als Kinder gemeinsam schon abgezogen hatten. Und davon gab es verflucht viele.
Benis Lieblingsstory ist, wie wir einmal heimlich Verstecken in unserem Haus gespielt hatten. Dabei krachte Benni gegen eine teure Porzellan Vase aus Emily's Sammlung, welche in tausend Einzelstücke zersprang. Beni hatte die grossartige Idee, sie zusammen zu kleistern, was aber komplett nicht klappte.
Wir rannten in die Stadt, um eine Neue zu kaufen und fanden tatsächlich eine Ähnliche in so einem antiken Trödelmarkt.
Die haben wir zu Hause aufgestellt und tatsächlich hat Emily bis heute nicht bemerkt, dass diese Vase weder echt noch aus Porzellan ist.Kayla muss so sehr lachen, dass sie sich an ihrem Mojito verschluckt und Benni ihr heftig auf den Rücken klopfen muss.
„Sie hat nichts gemerkt?", keucht die Rothaarige atemlos, nachdem Beni sie vor einem Erstickungstod bewahrt hat.
„Nope, rein gar nichts", bestätige ich und Beni grinst.
„Dabei hat die neue Vase nicht einmal das selbe Muster wie die alte", äussert er glucksend.
„Naja, ich weiss wirklich nicht, wer jetzt dümmer ist. Ihr, weil ihr die Vase mit so einem schlechten Doppelgänger ersetzt habt oder Emily, weil sie es nicht bemerkt hat", meint Kayla und winkt den Kellner an den Tisch, um einen zweiten Drink zu bestellen.
Ich schiebe das leere Glas in die Mitte des Tisches und stehe auf.
„Leute, ich geh dann mal, ich war seit gestern Nachmittag nicht zu Hause und sollte mich vielleicht wieder einmal blicken lassen", erkläre ich und greife nach meinem Hoddie, der an der Stuhllehne hängt.
„Klaro, wir sehen uns dann morgen", meint Beni und Kayla lächelt.
„Komm gut nach Hause! Ich bin froh, dass es dir besser geht", sagt sie und wendet sich an den Kellner, der jetzt neben ihr erschienen ist, um ihren Mojito Nummer zwei zu bestellen.
Als ich nach draussen trete, weht mir kühle Nachtluft entgegen und ich atme erst einmal tief ein. Es ist bereits dunkel, was mich aber nicht wirklich stört.
Hastig ziehe ich meine Pullover über das T-Shirt und mache mich dann auf den Heimweg.Beni und Kayla würden bestimmt noch einen amüsanten Abend haben.
Aber ich würde jetzt wohl oder übel nach Hause müssen und Emily's wahnsinnig netten Worte über mich ergehen lassen.In dem Moment wusste ich noch nicht, dass dieser Abend eine ziemlich andere Wendung nehmen würde, als ich erwartete.
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Zwei Sterne am Nachthimmel
RomanceEs gibt Menschen, die glänzen und funkeln wie Sterne. Sie leuchten heller als alle anderen an diesem dunkeln Nachthimmel und übertrumpfen den Rest. Man kann nicht anders, als fasziniert hinzustarren, nicht fähig seinen Blick abzuwenden. Doch manchm...