Kapitel 14.

206 28 22
                                    

Nora

Die Sonne geht bereits unter, als wir endlich ankommen.

Wo?

Ja, das muss ich auch noch heraus finden.

Schweigend beobachte ich, wie Nico sich abschnallt und sich prüfend umsieht. Wir haben die ganze Fahrt nicht mehr wirklich miteinander geredet. Wir beide gingen einfach unseren eigenen Gedanken nach und das war auch ganz okay so.

Ich war wirklich froh, als ich meine Tränen allmählich aufgebraucht hatte. Mir war es extrem unangenehm gewesen, mich in Nicos Gegenwart so gehen zu lassen.
Auch bröckelte mein Wunsch ganz weit weg zu gehen je länger wir fuhren immer wie mehr.

Was habe ich mir dabei gedacht?

Logisch, ich war verletzt. Leon hat mich verletzt. Sehr sogar.
Ich will es ihm heimzahlen, genau das tun, was ihn am meisten verletzen würde und vor allem will ich ihn im Moment einfach nicht sehen.

Es tut mir auch leid, dass ich Nico auf diese Weise ausnutze und ihm vermutlich mit meiner Anwesenheit auf die Nerven gehe.
Ich hätte einfach nach Hause gehen und mich in meinem Bett verkriechen sollen.
Aber jetzt ist es zu spät.

Ich bin hier.

Wo auch immer hier ist.

„Wo sind wir hier?", überwinde ich mich schliesslich zu fragen. Nico blickt weiter nach draussen und ich denke schon, er würde mich ignorieren, doch dann dreht er das Gesicht doch in meine Richtung.

„Das ist meine Definition von weit weg", meint er dann trocken und steigt aus.
Ich folge ihm etwas zögernd und mustere die Gegend. Tatsächlich kommt diese mir allmählich bekannt vor. Der grosse See in der Nähe, welcher von hohen dunkeln Tannen umsäumt ist, erweckt in mir Erinnerungen an Klassenfahrten zu Zeiten der Grundschule.

Nico ist schon los marschiert. Zielstrebig steuert er auf den See zu. Ihn scheint es nicht zu jucken, ob ich ihm folge oder nicht.

Da ich aber nicht stehen bleiben und wie ein Depp warten will, stolpere ich ihm schliesslich eilend hinter her.

Die rote Sonne geht gerade über dem See unter und lässt ihre letzten wärmende Strahlen über die Landschaft schweifen, als Nico plötzlich stehen bleibt.

Wir haben uns nicht all zu weit von dem Auto entfernt. Wir stehen jetzt lediglich auf einer kleinen Hügelkuppe über dem See, geschützt von den grossen Bäumen.
Ich wundere mich schon, warum Nico hier hin will, als ich einen alten, vom Wetter ziemlich mitgenommenen Strandkorb entdecke. Er steht einige Meter unter uns, in einer Art Strandmulde. Nico blickt sich kurz nach mir um, als wollte er sich vergewissern, dass es mich noch gibt und überbrückt dann die wenige Meter, die ihn noch vom Strandkorb trennen.

Meine Schuhe sinken leicht ihm feuchte Sand ein, als ich Nico erreiche. Mir ist unbehaglich zumute. Nico wäre hier jetzt bestimmt gerne alleine. Er hat herkommen wollen um nachzudenken und ich habe mich ihm einfach aufgedrängt.
Wie ein kleines Kind habe ich mich benommen, herum geheult und stur darauf bestanden, im Auto zu bleiben. Dabei kennen wir uns gar nicht.

Vielleicht sollte ich mich entschuldigen, zurück zum Auto gehen und dort auf ihn warten. Ihn in Ruhe lassen.
Ich überlege gerade was ich tun soll, als Nico sich an mich wendet.

„Geht es dir besser?"
Seine Stimme klingt sanft, mitfühlend aber trotzdem irgendwie distanziert. Als ob er nicht ganz bei der Sache wäre.

„Ja...geht schon...danke", erwidere ich und hasse es, dass meine Stimme so nuschelnd klingt. Ehrlich gesagt, geht es mir gar nicht gut.
Innerlich brenne ich vor Wut auf Leon. Ich bin enttäuscht und verletzt, aber Tränen will ich keine mehr für ihn verschwenden. Nicht hier. Nicht jetzt.

„Wenn es dir irgendwie hilft...du bist nicht die Erste mit der er das abgezogen hat", gibt Nico zu und ich schaute ihn aus grossen Augen an. Er muss mir mein leichtes Entsetzen ansehen, denn er sagte schnell: „Okay tut mir leid, das hilft dir nicht."

„Nicht wirklich", murmle ich und bin zu meinem eigenen Bedauernd schon wieder den Tränen nahe.

Um ihn nicht ansehen zu müssen, suche ich nach irgendeiner Tätigkeit und setze mich schliesslich seufzend in den Strandkorb.
Nico folgt nach kurzem zögern meinem Bespiel und setzt sich mit einigem Abstand neben mich.

Eine Weile sagen wir beide nichts. Stumm beobachte ich das glitzernde Wasser, während Nico mit seinen, nicht mehr ganz so weissen Nike Airs, hin und her wedelt und den Sand aufstäubt.

„Ich meinte das nicht so", unterbricht plötzlich Nico das Schweigen.

Verwundert blicke ich zu ihm hoch in seine giftgrünen Augen, die pure Ehrlichkeit ausstrahlen.

„Leon... er ist einfach ein Idiot und schätzt nicht was er hat.
Du... hast wirklich was besseres verdient als ihn."

Zwei Sterne am NachthimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt