Kapitel 10.

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Nora

Kapiert? Kapiert?!

Nein, kapiert habe ich gar nichts.

Welches Recht hat Leon, so mit mir zu reden?

Frustriert und ungeheuer wütend schmeisse ich meine Bücher in den Spind und knalle beinahe gegen Katie, die mit einem breiten Grinsen neben mir aufgetaucht ist.

„Sorry", brumme ich mürrisch und schliesse die Tür meines Schliessfaches. Dabei fällt mir der Stapel Blätter runter, welcher ich unter meinem Arm eingeklemmt habe.

„Herrgott, was machst du denn für eine Miene?", bemerkt Katie sofort und ihr breites Lächeln verschwindet augenblicklich.

Ich zucke nur mit den Schultern und sammle fluchend die Blätter ein.
Still schweigend hilft mir Katie dabei und mir entgehen die besorgten Blicke nicht, die sie mir dabei zu wirft.

„Na sag schon, wen soll ich verprügeln?", fragt sie, als wir uns wieder aufgerichtet haben.

„Niemanden. Es ist nur... Leon hat sich heute echt... scheisse benommen. So kenn ich ihn gar nicht", erkläre ich seufzend und Katie hebt die Augenbraue.

„Was hat er getan?", will sie natürlich wissen und ich schildere ihr kurz, was beim Mittagessen passiert war.

„Was für ein Penner. Wenn der noch einmal in einem solchen Ton mit dir spricht, ertränk ich ihn eigenhändig in diesem verfluchten Spinatauflauf", meint meine beste Freundin mürrisch und bringt mich damit zu einem kleinen Lächeln.

„Wenn man vom Teufel spricht...", murmle ich leise und nicke leicht in Richtung meines Freundes, der gerade den Flur durchquert.

„Na warte Freundchen, dich knöpf ich mir gleich vor", zischt Katie jähzornig, doch ich ziehe sie leicht panisch hinter die nächste Ecke.

„Nein lass mal Kat- verdammt", raune ich, als Leon den Kopf hebt und mich bereits erspäht hat.

Zielstrebig marschiert er auf mich zu und die Blondine stellt sich sofort schützend vor mich.

„Nora, bitte hör mir zu, es tut mir echt so leid. Ich...", stottert Leon und versucht meine beste Freundin beiseite zu schieben, die sich wie ein Bodyguard vor mir aufgebaut hat.

„Katie kannst du mal zur Seite, ich muss mit Nora reden und es wäre schön, dabei auch ihr Gesicht zu sehen", faucht er Katie an, doch meine Freundin bewegt sich keinen Schritt

„Nur über meine Leiche du blödes Stüc-!"

„Katie, alles okay, lass ihn durch", meine ich beschwichtigend und trete hinter ihr hervor.

Ein letztes Mal funkelt Katie meinen Freund an, tritt dann aber ganz zur Seite.

„Könntest du uns bitte kurz alleine lassen?", fragt Leon flehend, doch Katie schüttelt den Kopf.

Trotzdem wirft sie mir einen fragenden Blick zu und als ich leicht nicke, geht sie davon, ohne es jedoch verkneifen zu können, Leon dabei noch einmal heftig anzurempeln.

Ihr Beschützerinstinkt ist unglaublich.

Leicht hebe ich den Blick und treffe auf Leons grünbraune Augen.

Er hat eine entschuldigende Miene aufgesetzt und scheint etwas ungeduldig zu sein.

„Nora. Ich weiss nicht, was in mich gefahren ist. Ich... ich schätze ich... keine Ahnung.
Ich kann Nico einfach nicht ausstehen und vermutlich wünsche ich mir, dass es dir auch so geht. Damit wir ihn gemeinsam nicht ausstehen, quasi..."

Verwirrt schüttle ich den Kopf.

„Das kann ich nicht. Ich kann ihn nicht hassen, weil ich ihn nicht kenne."

„Aber ich hab' dir doch erzählt, wie er ist.
Ich bin dein Freund, glaubst du mir nicht? Nico ist falsch...", versucht es Leon und will meine Hand ergreifen, doch ich weiche ihm aus.

„Wenn du mit mir über das sprechen willst, kannst du gerade so gut mit der Wand reden. Ich werde niemanden schlecht behandeln, den ich nicht wirklich kenne", sage ich leicht gereizt.

Leon seufzt resigniert.

„Es tut mir jedenfalls leid. Ich hätte nicht so mit dir sprechen sollen. Das war scheisse", meint er getrübt, doch ich habe ihm immer noch nicht ganz verziehen.

Schliesslich hatten mich seine Worte schon ziemlich verletzt und erniedrigt.

Ich nicke, mein Blick bleibt jedoch kalt.

„Ist das alles, was du zu sagen hast?"

Statt einer Antwort kommt Leon einen Schritt auf mich zu. Ich stolpere leicht zurück und lehne jetzt mit dem Rücken an den Schliessfächern.
Mein Freund nutzt die Situation gekonnt aus und stemmt seine Hände rechts und links von meinen Schultern gegen die Wand.

„Nora. Ich liebe dich", haucht er mir entgegen und mein Atem stockt. Es war das erste mal, dass er diese drei Wörter so ernst aussprach.

Sein Blick trifft auf meinen und in dem Moment weiss ich, dass ich ihm bereits verziehen habe.

„Es tut mir leid", raunt er und im nächsten Moment pressen sich seine warmen Lippen gegen meine.

Jetzt gibt es kein Entkommen mehr.

Zwei Sterne am NachthimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt