Kapitel 23.

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Nico

Die Tür fällt leise ins Schloss und es ist so, als ob Nora nie hier gewesen wäre.

Aber das ist sie. Mehr als das.

Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Ich bin komplett verwirrt. Was war das denn eben?

Bisher ging ich davon aus, dass Nora mich nicht mag, oder den Gerüchten glaubt. Als sie vorhin mit mir gesprochen hat, nahm ich an sie versucht einfach höflich zu sein ... und dann das. Keine Ahnung was das war. Aber wenn Leon das erfährt, dann bin ich so gut wie tot.

In dem Moment schwingt die Tür auf und ich zucke heftig zusammen. Im ersten Moment rechne ich tatsächlich damit, dass Nora zurück gekehrt ist.

„Moooiiin ich hab dich schon überall gesucht, Mann", trällert Beni fröhlich, wird jedoch ernster, als er meinen Gesichtsausdruck sieht.

„Alter, hast du einen Geist gesehen?"

Statt einer Antwort schenke ich Beni nur einen finsteren Blick. Davon lässt sich mein Kumpel aber nicht beirren und schwingt sich auf den Stuhl neben mir. Auf dem Stuhl, wo vor einigen Minuten noch Nora gesessen hatte.
Fahrig schiebe ich einige Haare nach hinten, die mir lästig in die Augen hängen.

Beni kennt mich gut genug, um nicht weiter nach zu bohren. Stattdessen kommt er gleich auf den Punkt.

„Kommst du was essen?"
Erwartungsvoll glotzt er mich an und wackelt so fest mit seinem Stuhl, dass jeder Lehrer beim seinem Anblick einen Herzinfarkt gekriegt hätte.

„Du mit deinem Essen", gebe ich zurück, stehe aber auf und hänge mir den Rucksack über eine Schulter. Ich öffne die Tür und genehmige Beni den Vortritt mit dem Spruch „Ladies First", worauf hin er mir seinen Mittelfinger zeigt, den Vortritt dann aber ohne zu zögern annimmt. Alles beim Alten also.

Wir betreten den überfüllten Flur. Es ist Schulschluss und mehr oder weniger unbewusst halte ich nach Nora Ausschau, kann ihren braunen Pferdeschwanz aber nirgends entdecken.

„Du glaubst nicht, was Kayla für einen geilen Schuppen entdeckt hat...", beginnt Beni zu erzählen, als wir das Schulgebäude gerade verlassen.
Doch heute hör ich ihm nicht wirklich zu, meine Gedanken sind ganz wo anders.

~

Möglichst leise schliesse ich die Tür hinter mir und ziehe, leicht schwankend, meine Sneakers aus. Ich hatte wohl den ein oder anderen Smirnoff Ice zu viel, aber der Abend hat sich trotzdem gelohnt.

Die Bar die Kayla entdeckt hat, steht in der Nähe des Praters. Von aussen unscheinbar, aber innen echt gemütlich. Einige Freunde von Kayla waren auch gekommen und die Zeit war viel zu schnell vergangen. Ehe ich mich versah war halb vier Uhr morgens.
Aber morgen, nein eigentlich eher heute ist Wochenende,  von dem her spielt die Uhrzeit keine Rolle. Und es ist ja nicht so, als ob ich sonst früher eingeschlafen wäre.

So leise wie möglich schleiche ich durch die dunklen Flure des Hauses. Leon ist auch noch unterwegs, sein Wagen stand nicht vor dem Haus. Vermutlich ist er über Nacht bei Jessica.

In meinem Zimmer angekommen, werfe ich mich sofort aufs Bett und kuschle mich unter die Bettdecke. Scheiss auf Umziehen. Im Moment bin ich todmüde und ich hoffe wirklich, dass ich diese Nacht auch ohne Tablette einschlafen kann. Es gibt einfach nichts Vergleichbarem zu echtem Schlaf.

Leon ist ziemlich sicher bei Jessica. Er übernachtet öfters bei ihr, als sie hier, was mir mehr als recht ist. Sie findet mich mindestens genauso abstossend, wie ich sie.

Meine Gedanken schweifen zu Nora. Ich hatte den ganzen Abend nicht mehr an sie, oder den Kuss gedacht. Das konnte ich vermutlich Kayla und ihren lauten Freundinnen verdanken. Oder dem Alkohol. Oder halt beidem.

Aber jetzt spielt sich das ganze Szenario von heute Nachmittag erneut vor meinem inneren Auge ab. War es ein Versehen? Vielleicht hab ich sie für einen kurzen Moment an Leon erinnert oder so? Ich hoffe nicht, wenn Leon und ich uns dermassen ähnlich wären... davon wird mir übel.
Jedenfalls wirkte sie selbst erschrocken und komplett überfordert mit der Situation.
Sie hat mich genauso angesehen, wie ich mich gefühlt habe.
Und trotzdem kann ich nicht leugnen, was ich gefühlt habe.

Nora ist nicht das erste Mädchen, dass ich geküsst habe.

Aber sie ist das erste Mädchen, bei dem es sich so angefühlt hat.

Zwei Sterne am NachthimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt