One

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L I L L I

„Nein! Nein, nein, nein, bitte nicht jetzt!" Verzweifelt kramte ich in meiner Handtasche und suchte den Schlüssel für das kleine Loch, das ich seit drei Wochen mein Zuhause nannte.

Es dauerte geschlagene fünf Minuten, dann fand ich den gesuchten Teufelsgegenstand endlich und betrat die Wohnung. Sie bestand aus einem kleinen Badezimmer und einem Raum, in dem sich mein klappriges Bett, eine Küchenzeile, ein kleiner Tisch und ein Stuhl befanden.

Wenn ich daran dachte, in welchem Luxus ich noch vor wenigen Jahren in Deutschland gelebt hatte, hätte ich am liebsten mit voller Wucht gegen die Wand geschlagen. Allerdings musste ich mir bei dem wackligen Eindruck des Gebäudes ernsthafte Sorgen machen, dass bei so einer Aktion das komplette Haus in sich zusammenfallen würde.

Meine Schritte führten mich zur Küchenzeile, wo ich aus dem Kühlschrank eine Flasche Wasser holte, die ich gierig aufschraubte und zu leeren begann. Die irren Temperaturen von Las Vegas und ich waren von Anfang an keine Freunde gewesen und die Hoffnung, dass ich mich doch noch daran gewöhnen würde, schwand mit jedem durchgeschwitzten Shirt.

Als die Flasche komplett leer war, atmete ich erleichtert auf und schloss meine müden Augen. Lange Zeit mich auszuruhen hatte ich jedoch nicht, denn in weniger als einer halben Stunde musste ich bei meinem zweiten Job sein.

Seufzend lief ich ins Bad, wo ich mir eine kurze Dusche gönnte und anschließend in meine beste Unterwäsche schlüpfte. Darüber trug ich ein eng anliegendes schwarzes Top und eine schwarze Skinny Jeans. Zuletzt zog ich meine High Heels an, die ich zur Arbeit tragen musste, füllte meine Handtasche mit dem nötigen Kleinkram und verließ die Wohnung wieder.

Zum „Flipper", der Bar in der ich arbeitete, brauchte ich nur knappe zehn Minuten zu Fuß und sobald ich ankam, wurde ich direkt mit Aufgaben überschüttet. Alles musste perfekt aussehen, die Gläser sollten sortiert und zur Not nochmal gespült werden, die Tänzerinnen gingen ein letztes Mal ihre Bewegungen durch, dann öffnete die Bar und innerhalb kürzester Zeit waren die ersten Gäste da.

Wie immer waren es ausschließlich Männer der Mittel- und Unterschicht, denn das „Flipper" war kein Nobel-Schuppen. Dementsprechend verdiente ich auch, aber ich brauchte das Geld, weshalb ich über die regelmäßigen Grabschereien hinwegsah.

Wie gewohnt nahm ich in den nächsten Stunden Bestellungen auf und servierte Getränke und Snacks. Ab und zu machte jemand eine sexistische Bemerkung, die wohl ein versuchter Anmachspruch war, aber sonst passierte nicht viel. Umso überraschter war ich, als mein Chef mich am Ende meiner Schicht, als ich hundemüde meine Tasche schulterte, aufhielt und in sein Büro zitierte.

Nichts Böses ahnend folgte ich ihm und setzte mich ihm gegenüber. „Also, was gibt's Danny?", erkundigte ich mich und versuchte angestrengt, nicht zu genervt zu klingen. Die Wahrheit war allerdings, dass ich einfach nur noch in mein Bett wollte und keine Lust auf dieses Gespräch hatte.

„Es wundert mich, dass du dir nicht denken kannst, worum es geht. Bist du zufrieden mit deinem Job?" Diese Frage überraschte mich und ohne nachzudenken antwortete ich: „Mein Traumjob ist es nicht gerade, aber ich brauch das Geld und es gibt deutlich schlimmeres." Danny zog eine Augenbraue hoch und mir schwante schlimmes.

„Ich hab dir schonmal vorgeschlagen, dass du was anderes machen könntest, um noch mehr Geld zu verdienen." Sofort schüttelte ich den Kopf. „Nein. Ich hab von Anfang an klipp und klar gesagt, dass ich nicht tanzen und mit den Kunden im Hinterzimmer verschwinden werde."

„Aber wieso denn nicht? Du kannst dich durchaus grazil bewegen und dein Name passt auch gut. Wir könnten dich „Lovely Lilli" nennen und du spielst ein bisschen die Süße. Das kannst du bestimmt." „Ja vielleicht, aber ich will das nicht!" Von einer Sekunde auf die andere wurde Dannys Gesicht todernst.

„Dann hast du ab heute keinen Job mehr. Du bist gefeuert!" „Was? Wieso das denn?", fragte ich entsetzt. „Man sieht dir an, dass du die Arbeit nicht magst. Was glaubst du, warum alle außer dir mehr Trinkgeld bekommen? Weil sie ein wenig mit den Gästen spielen und sie heiß machen."

„Ich lass mich halt nicht gerne begrapschen. Ein bisschen verständlich, oder?" „Wer Geld verdienen will, muss eben Opfer bringen. Aber das kannst du woanders rausfinden, denn im Flipper wirst du keinen Penny mehr verdienen!"

Verdattert erwiderte ich seinen entschlossenen Blick, dann nickte er in Richtung der Tür und mir wurde klar, dass er es absolut ernst meinte. Voll unterdrückter Wut und Frustration stand ich auf und verließ das Büro.

In meiner Verzweiflung streckte ich die Hand nach der kleinen Ledertasche aus, in der sich die Einnahmen des Abends befanden, weil die Kasse zurzeit kaputt war. Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich sie in meiner Handtasche verschwinden lassen und verließ eilig das „Flipper".

Auch auf der Straße behielt ich meine schnellen Schritte bei und wurde erst langsamer, als ich um mehrere Ecken gebogen war.

Meine Müdigkeit von vorhin war wie weggeblasen, dafür war ich viel zu wütend. Was sollte ich denn jetzt bitte machen? Es hatte sowieso schon ewig gedauert, bis ich meine jetzigen zwei Jobs gefunden hatte und ich blieb dabei, dass ich mich nicht prostituieren würde.

Ich bog in eine Straße ein, die bei den Leuten der Gegend als „Bling Bling Walk" bekannt war. Grund dafür war die Tatsache, dass hier die deutlich besser betuchten Leute ihre Stripclubs hatten. Die Tänzerinnen waren größtenteils professionell ausgebildet und überhaupt sahen die Bars und Clubs schon von außen deutlich besser und sauberer aus, als das „Flipper".

Ich musste an das Geld in meiner Handtasche denken und kurzerhand beschloss ich, es direkt auf den Putz zu hauen. Scheiß doch drauf, was morgen kommen würde. Ich hatte gerade meinen Job verloren, da konnte ich mich jetzt in meinem Frust auch ordentlich betrinken.

In der Spiegelung einer abgedunkelten Limousinen-Fensterscheibe kontrollierte ich mein Aussehen, dann stolzierte ich auf den erstbesten Club zu. Ich wollte ihn gerade betreten, als ein Türsteher mich aufhielt. „Halt. Zu wem gehören Sie?"

„Zu mir", erklang fast sofort eine männliche Stimme mit hörbarem deutschen Akzent neben mir. Aber schlecht war sein Englisch auch nicht, wie ich im nächsten Moment herausfand. „Sie gehört zu mir."

Der Türsteher musterte den dunkelhaarigen Mann, der jetzt seinen Arm um meine Hüfte legte. „Und wer sind Sie?" „Das spielt keine Rolle." Mit einem arroganten Grinsen reichte der Mann dem Türsteher eine Rolle Geld, woraufhin dieser uns sofort durchließ.

Der Fremde und ich betraten den Club und sofort löste er seine Hand von meiner Hüfte, was ihn mir direkt sympathisch machte. „Dankeschön", murmelte ich und bemühte mich zu lächeln, aber der Dunkelhaarige winkte bloß ab. „Schönen Abend noch."

„Gleichfalls", antwortete ich auf Deutsch und sofort hielt er in der Bewegung inne und musterte mich mit leicht schiefgelegtem Kopf. „Du kannst deutsch?" „Ja, ich bin Deutsche." „Machst du hier Urlaub?" „Nein, ich lebe seit etwas mehr als einem Jahr hier. Aber du bist hier wohl nur zum Urlaub machen."

Die Miene meines Gegenübers verdunkelte sich. „Kann man so sagen." Ich spürte, dass er nicht darüber sprechen wollte, weshalb ich schnell das Thema wechselte. „Magst du mir einen Drink ausgeben?" Ich bemühte mich verführerisch zu sein, was mir beim Aussehen des Dunkelhaarigen nicht sehr schwer fiel.

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen und es stand ihm verboten gut. „Aber gerne doch." Und so nahm das Drama seinen Lauf...

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt