Twenty-Two

4.5K 152 6
                                    

"Hey, du bist ja schon da." Aus meinen Gedanken gerissen drehte ich mich um und entdeckt Sina, die mich angrinste. "Jap, ich hab heute sonst nichts vor, deshalb hab ich eine S-Bahn früher genommen. Schön dich zu sehen." Lächelnd umarmte ich Sina, dann schaute ich sie fragend an. "Also, was machen wir zuerst?" "Ich brauche dringend noch ein Geschenk für Jonathan. Wir haben demnächst unser fünfjähriges." "Wow, herzlichen Glückwunsch. An was für ein Geschenk hast du denn gedacht?" "Das Armband seiner Uhr ist kaputt gegangen, deshalb werde ich ihm ein passendes neues schenken." "Alles klar, dann also erstmal zum Juwelier?" "Jap. Und auf dem Weg dorthin erzählst du mir, was bei dir und Kai gerade so los ist." Ich biss mir verlegen auf die Lippen und überlegte krampfhaft, was ich jetzt sagen sollte. "Och weißt du, wir genießen die Zweisamkeit. Es ist schön, dass wir endlich nicht mehr in den Medien sind, das nimmt mir eine ganz schöne Last von den Schultern. Am Wochenende sind wir beim 80. Geburtstag seiner Oma eingeladen, da treffe ich dann auf einen weiteren Teil seiner Verwandtschaft." Prüfend schaute Sina mich an. "Bist du deswegen nervös?" "Ja, total. Ich hatte auch vor dem ersten Treffen mit seinen Eltern total Schiss." "Ich glaube, deine Sorgen sind unberechtigt. Du bist so ein liebenswerter und ehrlicher Mensch, den man einfach mögen muss." Ich bedankte mich unsicher für das Kompliment, während der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. Sina war wahnsinnig nett und ich mochte sie wirklich, trotzdem musste ich ihr die ganze Zeit ins Gesicht lügen und das war schwerer als erwartet. Leise seufzend folgte ich ihr in den Laden, in den Sie mich gerade zog und versuchte in den nächsten Stunden einfach nur die Zeit zu genießen und nicht daran zu denken, dass mir am Wochenende bei der Geburtstagsfeier eine weitere Feuertaufe bevorstand und das ausgerechnet jetzt, wo ich mir über meine Gefühle für Kai klargeworden war. Es war so unglaublich anstrengend, mich nicht in diesen Gefühlen zu verlieren, während wir ein verheiratetes Ehepaar spielten. Ich hatte die letzten Male, wenn er mit mir schlafen wollte, jedes Mal behauptet, keine Lust zu haben, was ihn langsam skeptisch machte, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen, denn jede Berührung und jeder Kuss stachen mir wie Messer ins Herz, weil ich wusste, dass Kai diese Gefühle nicht erwiderte und diese ganze Sache hier ein Lügengebilde auf Zeit war. Doch hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, was im Laufe dieses Tages noch passieren würde, wäre ich wohl nicht so entspannt mit Sina shoppen gegangen.

Das Drama nahm seinen Lauf, als ich am Nachmittag vom Joggen zurückkam. Mein Mädels-Tag mit Sina hatte bis zum Mittagessen gedauert und anschließend hatte ich beschlossen, noch eine Runde laufen zu gehen. Als ich zurückkam, war das Haus natürlich leer, denn Kai würde erst in eineinhalb Stunden vom Training zurückkommen, also gönnte ich mir noch eine Runde im Pool und sprang dann unter die Dusche. Anschließend schlüpfte ich in ein luftiges Sommerkleid und ließ meine Haare, nachdem ich sie gekämmt hatte, einfach an der Luft trocknen. Vor mich hinsummend schnappte ich mir in der Küche einen Apfel und wollte mich gerade aufs Sofa setzen, um zu schauen, wie es um meine Unibewerbung stand, als es an der Haustür klingelte. Überrascht, weil ich niemanden erwartet, stand ich auf und öffnete. Meine Augen wurden groß, als ich erkannte, wer mir da einen Besuch abstattete. "Claudia, was für eine Überraschung! Komm doch rein." Mit einem unguten Gefühl in der Brust ließ ich Kais Mutter ins Haus und folgte ihr ins Wohnzimmer. "Kai ist nicht da, er hat noch Training. Aber ich denke in einer Stunde sollte er wieder da sein", informierte ich sie und lächelte, aber Claudias Miene blieb hart und ernst. "So lange will ich gar nicht bleiben." Verwirrt sah ich sie an. Wieso war sie extra von Aachen hergekommen, wenn sie ihren Sohn gar nicht besuchen wollte? Dann wurde es mir klar. Sie wollte zu mir! Und das konnte nichts Gutes bedeuten. Angestrengt bemühte ich mich um Fassung. "Oh, habt ihr euch heute Vormittag schon gesehen?" "Nein, ich bin deinetwegen hier, Lilli." "Meinetwegen?" "Ja. Wir sollten uns unterhalten." "Oh okay, ähm, magst du dich nicht setzen?" "Ich stehe lieber." Meine Anspannung wuchs ins Unermessliche, während ich unschlüssig stehenblieb. Hatte sie rausgefunden, wieso ich Deutschland verlassen hatte? Ich schluckte und wartete auf das, was kommen würde. "Ich denke, dass du Kai nur ausnutzt, um wieder an die deutsche Staatsbürgerschaft zu kommen." "Was?", entfuhr es mir völlig entgeistert und lauter als beabsichtigt. Das war lächerlich! "Du hast mich verstanden, Lilli. Und jetzt möchte ich von dir wissen, ob ich Recht habe." Jetzt schaffte ich es endlich, mich zu sortieren und schüttelte sofort den Kopf. "Du hast Unrecht. Ich hab die deutsche Staatsbürgerschaft nie aufgegeben, also musste ich sie jetzt auch nicht zurückbekommen." "Also hast du illegal in Amerika gelebt?" "Nein, ich hatte mehrere Visa und schon einen Termin, um die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Aber dann hab ich mich in Kai verliebt und als er mich bat, mit ihm nach Deutschland zu kommen, habe ich keine Sekunde gezögert und war froh, dass ich die Staatsbürgerschaft noch nicht gewechselt hatte." "Das ist eine schöne Geschichte, aber ich glaube dir nicht." Flehend sah ich sie an. "Es ist die Wahrheit! Bitte glaub mir, ich nutze Kai nicht aus." "Das würde ich gerne, aber ich vertraue dir nicht." "Was kann ich tun, um das zu ändern?", erkundigte ich mich schon leicht panisch, doch mit Claudias Antwort hätte ich eigentlich rechnen müssen. "Sag mir deinen Nachnamen, damit ich dich überprüfen kann." Ich schluckte hart und senkt den Kopf. "Das kann ich nicht." "Wieso nicht?" "Weil ich meine Vergangenheit hinter mir gelassen habe und so soll es auch bleiben." "Ich könnte etwas finden, nicht wahr? Du hast Angst, dass ich dein Geheimnis herausfinde und es Kai sage, weil er nichts davon weiß. Und wag es ja nicht, mich anzulügen!" Ich schluckte und schwieg, sah Claudia einfach nur an. Ich wollte sie nicht anlügen, wirklich nicht. Also sagte ich einfach gar nichts, aber das schien ihr als Antwort zu genügen. "Ich wusste es. Und ich werde hinter dein Geheimnis kommen, verlass dich drauf." Mit diesen Worten lief sie an mir vorbei und ich hörte nur noch das Knallen der Haustür, dann herrschte eine gespenstische Stille, die mir eine Gänsehaut bereitete. Ein leises Wimmern entfuhr mir. Ich hatte ein gewaltiges Problem, denn ich traute Claudia definitiv zu, meine Vergangenheit zu durchleuchten. Und da musste man bei mir nicht lange graben, um etwas zu finden. Ein Gefängnisaufenthalt ließ sich schlecht verstecken.

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt