Thirty-Six

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"Verdammt Kai, ich kann das einfach nicht!", schrie ich verzweifelt. "Doch, du kannst. Du willst es nur nicht, weil du Angst hast. Angst wieder verletzt zu werden. Angst wieder allein zurückzubleiben, weil ein geliebter Mensch stirbt. Aber wer sich immer nur von der Angst leiten lässt, der wird nicht glücklich!", widersprach Kai, der mittlerweile genauso wie ich vom Sofa aufgestanden war. "Aber ich-", setzte ich an, wurde jedoch von dem Dunkelhaarigen unterbrochen. "Du sagst immer nur Aber, das bringt dich im Leben nicht weiter! Denkst du, ich wäre so erfolgreich im Fußball, wenn ich gesagt hätte: 'Oh, ich hab wohl echt Talent, aber ich hab Angst, dass es doch nicht klappt und ich am Ende mit nichts dastehe'? Lilli, ich hab alles auf eine Karte gesetzt und das kann immer noch jederzeit schief gehen, aber ich lasse mich von dieser unterschwelligen Angst nicht runterdrücken, sondern lasse mich von ihr anspornen! Wenn du deinen Vater vor seinem Tod nicht mehr besuchst, wirst du dir das nie verzeihen. Du wirst dich immer fragen Was wäre, wenn und alles, was du dir vorstellst, wird dich zerreißen, weil du nicht weißt, ob es wirklich so gekommen wäre oder anders. Also bitte fahr mit mir nach Frankfurt." Unschlüssig sah ich Kai an, während er flehend vor mir stand. "Was ist, wenn er mich nicht mehr sehen will, weil ich letztes Mal einfach gegangen bin?", fragte ich beinahe flüsternd und sprach damit aus, wovor ich mich insgeheim am meisten fürchtete. Vorsichtig lief Kai auf mich zu und nahm meine Hände in seine. "Wenn er dich deswegen wirklich nicht mehr sehen will, dann ist er selbst Schuld daran, dass er niemals seine großartige Tochter kennenlernen wird." Ich schluckte hart und atmete tief durch, dann nickte ich. "Okay, ich fahre nach Frankfurt." "Wir", entgegnete Kai sofort und ich sah ihn überrascht an. "Wir?" "Na klar. Ich bin dein Ehemann, ich lass dich das nicht alleine durchstehen." Er lächelte aufmunternd und ich erwiderte es so gut ich konnte. Wie gut, dass ich Kai hatte.

"Hier sind wir richtig, oder?" Prüfend sah ich auf mein Handydisplay mit der Karte und nickte. "Ja, das ist die Adresse. Schau mal, das da vorne müsste es sein." Ich zeigte auf ein weißes Gebäude mit schwarzem Dach und einem schlichten Vorgarten. Kai folgte mit den Augen meiner Geste und nickte. "Ja, das ist das Gebäude von der Internetseite. Also dann, bist du soweit?" Unsicher nickte ich, woraufhin Kai sofort nach meiner Hand griff und unsere Finger miteinander verschränkte. "Wir gehen da gemeinsam rein, okay? Ich bin die ganze Zeit bei dir." "Okay." Wir liefen los, überquerten die Straße und standen für meinen Geschmack viel zu schnell vor dem kleinen Gartentor, welches Kai öffnete, sodass wir hindurchgehen konnten. Der Kies knirschte unter unseren Schritten, dann hatten wir das Haus selbst erreicht und ich drückte mit zitternder Hand auf die Klingel. Bereits kurze Zeit später erklangen Schritte und eine junge Frau öffnete uns die Tür. "Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?" "Wir möchten gerne zu Moritz Meinhardt." "Oh, das ist ja eine Überraschung. Wir wussten gar nicht, dass er noch Angehörige hat." "Ich bin seine Tochter. Aber wir haben uns erst vor kurzem nach langer Zeit wiedergesehen", murmelte ich tonlos und die Frau nickte verständnisvoll. "Ich kann Sie gerne zu ihm bringen. Folgen Sie mir." Wir liefen ihr hinterher, bis wir im zweiten Stock waren. An den Wänden in dem langen Flur hingen unzählige bunte Bilder und ich war allgemein überrascht, dass das Hospiz so fröhlich eingerichtet war. Schneller als erwartet erreichten wir eine Tür, vor der die junge Frau stehen blieb und anklopfte. Dann streckte sie den Kopf herein. "Moritz, deine Tochter ist da." "Meine Tochter? Lilli?" "Ja. Darf sie reinkommen?" "Natürlich, natürlich." Die junge Frau sah mich lächelnd an. "Sie können jetzt rein. Wenn irgendwas ist, gibt es neben der Tür einen Notfallknopf." "Alles klar, danke", sagte Kai, da ich mich gerade nicht wirklich in der Lage fühlte zu sprechen. Vorsichtig betrat ich das Zimmer und entdeckte meinen Vater sofort. Er saß in einem bequem aussehenden Sessel und wirkte sehr überrascht, dass ich hier war. "Ich hätte nicht erwartet, dass du wiederkommst. Ich dachte, ich hätte es versaut", begrüßte er mich und ich nickte leicht. "Das hattest auch eigentlich. Du solltest dich bei Kai bedanken, dass ich überhaupt hier bin", antwortete ich und nickte in Richtung des Dunkelhaarigen, der nach mir das Zimmer betreten hatte. Er lief zu meinem Vater und schüttelte ihm höflich die Hand. "Freut mich Sie kennenzulernen, Herr Meinhardt. Ich bin Kai, Lillis Ehemann." "Ich hab Sie im Fernsehen gesehen. Wer hätte gedacht, dass ich mal einen erfolgreichen Fußballspieler zum Schwiegersohn haben würde?" Kai lächelte dankend, während ich mich räusperte. "Wie geht's dir?", fragte ich unsicher. "Nicht so gut. Ich hatte eine Grippe, die hab ich nicht so gut verkraftet. Deshalb auch dieser hässliche Schlauch hier. Ich krieg nicht ganz so gut Luft." "Du hast- du hast mir ziemlich weh getan letztes Mal. Mit dem, was du über dein Gewissen gesagt hast. Dass du es beruhigen willst, bevor du stirbst", murmelte ich und sah, wie Kai mich stolz musterte. Er hatte mit mir vorher extra geübt, das zu sagen, weil mir die Worte jedes einzelne Mal unglaublich schwer über die Lippen kamen. Die Miene meines Vaters verdunkelte sich und er sah wirklich traurig aus, als er mich jetzt ansah. "Es tut mir sehr Leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe, du seist nicht mehr als ein Punkt auf meiner Bei-diesen-Leuten-muss-ich-mich-vor-dem-Tod-noch-entschuldigen-Liste. Das bist du nämlich nicht. Ich bin wirklich froh, dich wiedergefunden zu haben und zu sehen, was für eine hübsche junge Frau du geworden bist. Vielleicht magst du mir ein wenig erzählen, was du so beruflich machst und was du in deinen jungen Jahren schon so erlebt hast. Ich kann auch damit leben, wenn du mir Vorwürfe machst, wahrscheinlich hab ich es nicht anders verdient. Aber ich möchte gerne hören, was für ein Mensch meine Tochter ist." Er nickte leicht in Richtung des zweiten Sessels, der im Raum stand und ich lief unsicher darauf zu. Kai kam zu mir und drückte sanft meinen Arm. "Ich warte draußen, okay? Lass dir Zeit und was nicht geht, geht nicht." Sanft küsste er meine Stirn, dann verließ er das Zimmer und ich setzte mich in den Sessel. "Ich kann mich nicht mehr an dich erinnern. So lange ich denken kann, waren Mama und ich allein. Das war nicht gut für sie und sie hat viel getrunken und irgendwann auch härtere Drogen genommen. Sie ist vor etwas mehr als anderthalb Jahren gestorben, an einer Überdosis Kokain. Du warst ihre große Liebe und ich glaube als du gegangen bist, hast du ihr Herz mitgenommen. Vielleicht ist sie tot besser dran, als lebendig. So lange sie gelebt hat, hab ich sie nie so richtig glücklich erlebt. Aber du wolltest etwas über mich hören, also ähm- ich studiere Biochemie im ersten Semester. Ich habe vor ein paar Jahren schonmal angefangen es zu studieren, aber dann ist Mama gestorben und ich hab das Studium geschmissen und bin nach Amerika ausgewandert. Da hab ich dann zufällig Kai getroffen und so kam ich zurück nach Deutschland. Ich lese gerne. Am liebsten Romane oder Krimis. Ich schaue gerne kitschige Liebesfilme, weil ich mir früher oft gewünscht habe, mein Leben wäre so ein Film, wo das einzige Problem die Liebe ist und die Leute ansonsten ein Friede-Freude-Eierkuchen-Leben führen." "Du warst bestimmt gut in der Schule, wenn du jetzt Biochemie studierst", stellte mein Vater fest und ich nickte. "Ja, ich mochte die Schule. Da hatte ich ein paar Freunde und war in der Koch-AG, so konnte ich eine zeitlang jeden Tag was Warmes essen. Leider kann ich absolut nicht kochen, daran konnte auch die AG nichts ändern. Mein Abi hab ich mit 1,2 gemacht und mich damals sogar noch geärgert, dass es nicht zur 1,0 gereicht hat", erzählte ich mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. "Deine Mutter war sicher sehr stolz auf dich." Sofort verschwand mein Lächeln und ich schüttelte leicht den Kopf. "Sie hat nicht wirklich mitbekommen, dass ich Abi gemacht habe. Entweder war sie betrunken oder voll drauf oder beides. Aber Herr Treber, unser Nachbar von der anderen Straßenseite, hat mich zum Abiball gefahren und ein paar Fotos von mir gemacht, die ich Mama zeigen konnte, als sie wieder nüchtern war und dann hat sie sich sehr für mich gefreut." "Und nach dem Abi?" Ich schluckte. "Eigentlich wollte ich direkt studieren, aber dann hab ich Drogen für Mama gekauft, wurde erwischt und musste für ein paar Monate ins Gefängnis." Meine Worten zauberten meinem Vater ein trauriges Lächeln auf die Lippen. "Da kommst du wohl nach mir. Ich war vor vielen Jahren auch im Gefängnis, aber wegen einer Reihe von Einbrüchen und Diebstahl. Du hast dich da aber anscheinend nicht unterkriegen lassen. Du gehst immer noch aufrecht", stellte er stolz fest und ich nickte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. "Ja, ich hab mich von gar nichts unterkriegen lassen. Und ich denke, das hab ich von dir."




Irgendwie ist mir Moritz ans Herz gewachsen und jetzt will ich nicht, dass er stirbt! Wie findet ihr ihn?

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt