Twenty-Four

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Drei Wochen waren vergangen, seit Claudia Kai und mir die Ausländerbehörde auf den Hals gehetzt hatte. Kai hatte wutentbrannt mit seiner Mutter telefoniert und sie angeschrien, wie ich es noch nie bei ihm erlebt hatte. Seitdem herrschte bei den beiden Funkstille und obwohl Kais Vater per Telefon und beim 80. Geburtstag von Kais Oma zu schlichten versucht hatte, war keiner von beiden bereit gewesen, sich für vergangene Worte und Taten zu entschuldigen. Ich war ganz schön stolz auf Kai, denn bisher hatte er in so mancher Situation nicht so viel Rückgrat gezeigt, wie ich es mir von ihm gewünscht hatte, aber jetzt blieb er endlich mal stur bei seiner Meinung und ich hatte egoistischer Weise kein Problem damit, dass Claudias Überzeugung, sie wisse alles, mal ein Dämpfer verpasst wurde. Ansonsten hatte ich bei der Familienfeier versucht, einen guten Eindruck zu machen und das war mir meinem Empfinden nach auch ganz gut gelungen. Heute war Samstag und Leverkusen empfing Hertha BSC in der BayArena. Da mein Studium, für das ich mittlerweile die Zusage erhalten hatte, erst im Herbst losging und ich momentan nicht arbeitete, hatte ich Kai bisher zu jedem Spiel begleitet und war so vor kurzem zu meinem ersten Aufenthalt in München gekommen. Die Stadt war wirklich gigantisch groß und ich hatte mich mehrfach verlaufen, aber dafür hatte ich zusammen mit Julians Freundin Lena einen super lustigen Tag gehabt. Sie war mittlerweile von ihrem Auslandssemester in London zurück und hatte Semesterferien, die sie natürlich so viel wie möglich mit Julian verbringen wollte. Sobald ich sie kennengelernt hatte, war mir klargewesen, dass die beiden perfekt zusammenpassten und ich freute mich jetzt schon auf den Heiratsantrag, den Julian seiner Liebsten bald machen wollte. Kai und ich waren als einzige eingeweiht und beim Gedanken daran, begann mein Herz jetzt schon vor positiver Aufregung wild zu pochen. Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel, um meine zwei geflochtenen Zöpfe, die luftige Bluse und die Hotpants zu kontrollieren, dann lief ich die Treppe nach unten und kaum hatte ich meine Tasche fertig gepackt, klingelte es auch schon. Draußen erwarten mich Lena und Sina, um mit mir zusammen zum Stadion zu fahren und während der Fahrt fiel es mir wirklich schwer, meine Aufregung zu unterdrücken. Im Voraus von einem Heiratsantrag an eine gute Freundin zu wissen, war schwieriger als ich dachte. Während Sina ihren Wagen souverän durch den Verkehr lenkte, ließ ich meine Gedanken wie so oft zu Kai wandern. Meine Verliebtheit steigerte sich von Tag zu Tag und es war so unglaublich anstrengend, ihr nicht nachzugeben. Wir hatten noch ein paar Mal miteinander geschlafen, was immer einen bittersüßen Beigeschmack für mich gehabt hatte, genauso wie jeder Kuss, jede zärtliche Berührung und jeder liebevolle Blick. Mich zusammenzureißen kostete mich einiges an Kraft, weshalb es in den letzten Wochen vermehrt kleinere Streits zwischen uns gegeben hatte. Häufig hatte ich bei irgendwas einfach überreagiert, weil meine Nerven sowieso schon zum Zerreißen gespannt waren und Kai konnte nichts tun, weil ich ihm nicht sagen konnte, wie ich für ihn empfand. Aus diesem Grund fühlte ich mich zusehends ausgelaugter und meine Nächte wurden immer unruhiger. Mittlerweile hatte Sina mich sogar schonmal darauf angesprochen, wie erschöpft ich aussah, woraufhin ich umgehend begann, meine Augenringe mit Concealer abzudecken. Ich konnte meinen Freundinnen, die ich mittlerweile seit mehr als einem Monat anlog, ja schlecht erzählen, dass ich ein Problem damit hatte, dass ich mich gerade Hals über Kopf in meinen charmanten Ehemann verliebte. Ich unterdrückte ein Seufzen und bemerkte erleichtert, dass wir unser Ziel erreicht hatten. Schnell stieg ich aus und wir machten uns zu dritt auf den Weg zu den Tribünen. Aufgrund des vielen Verkehrs waren wir heute später dran als sonst und so blieb kaum Zeit, um sich lange zu unterhalten, bevor das Spiel begann. Ich war dankbar dafür, denn mir war absolut nicht nach reden, genauso wie schon in den letzten Wochen. Sobald der Schiedsrichter pfiff und die Partie begann, konzentrierte ich mich auf das Spiel. Kai hatte mir einige taktische Sachen erklärt, weshalb es mir immer mehr Spaß machte, das Spiel analytisch zu betrachten. Noch immer konnte ich nicht verstehen, wie einige Spielerfrauen dem Geschehen auf dem Platz kaum Beachtung schenkten. Wenn ich nicht gerade vom Spiel selbst gefesselt war, beobachtete ich Kai und während der 90 Minuten verspürte ich nie den Drang, auf mein Handy zu schauen oder sonstiges. Die Partie begann ein wenig holprig für Leverkusen und leider fingen sie sich ein frühes Gegentor, aber nach etwa einer halben Stunde wurden sie souveräner und noch vor der Halbzeitpause fiel der Ausgleichstreffer. Als die Jungs eine Viertelstunde später wieder aus der Kabine kamen, waren sie wie verwandelt. Sie bauten von Anfang an großen Druck auf Hertha auf und plötzlich stand es 3:1 und ich sah Kai und Julian mit ihren Kollegen jubeln. Es freute mich extrem für Julian, dass er an diesem besonderen Tag sogar ein Tor geschossen hatte und sah es als gutes Omen für nachher. Die Minuten verstrichen zum Ende hin immer schneller und ich wurde immer nervöser wegen der geplanten Aktion nach dem Spiel, obwohl ich dafür kaum etwas tun musste. Kurz vor Schluss traf Kai zum 4:1, womit er mir wie immer bei einem Treffer ein stolzes Lächeln auf die Lippen zauberte. Dann pfiff der Schiedsrichter endlich ab und mich hielt es kaum noch auf meinem Sitzplatz. "Wollen wir runtergehen?", erkundigte ich mich also bei Sina und Lena und beide nickten. Betont ruhig und lässig lief ich vorweg, konnte aber nicht verhindern, dass ich das Tempo ein wenig anzog, als wir uns schließlich dem Platz näherten und aus dem Tunnel heraustraten. Suchend schaute ich mich um und entdeckte Kai. Wie geplant stand er bei Julian und schien beruhigend auf ihn einzureden, was mich schmunzeln ließ. Ich lief zu ihnen und kurz bevor ich Kai küsste, streifte ich Julian und überreichte ihm dabei unauffällig die kleine Schatulle, die ich seit Stunden mit mir herumtrug. Sobald ich mich von Kai gelöst hatte, drehte ich mich zu Julian um, der mich angrinste. "Danke. Dann geh ich jetzt mal meinen Plan in die Tat umsetzen." Ich nickte aufmunternd und beobachtete, wie Julian auf Lena zuging, die sich gerade von Sina getrennt hatte, damit jede zu ihrem Freund gehen konnte. Schmunzelnd lehnte ich mich gegen Kai, der hinter mir stand und mich von hinten umarmte. "Sie sind ein tolles Paar", entfuhr es mir und ich spürte, dass mein Mann nickte. "Oh ja, das sind sie. Es wurde auch langsam Zeit für einen Heiratsantrag, finde ich." Er verstummte, als Lena Julian erreichte und ihm sagte, wie stolz sie auf seine heutige Leistung sei, bevor sie ihn küsste. Sobald sie sich wieder von ihm gelöst hatte, ging er vor ihr auf die Knie und sie schlug sich die Hand vor den Mund. Mein Blick fiel auf den großen Stadionbildschirm, wo die beiden in Großaufnahme zu sehen waren. Julian präsentierte Lena jetzt die dunkelblaue Schatulle und als er sie aufklappte, strahlte ihr ein wunderschöner Ring entgegen. "Ich hab ewig überlegt, was ich jetzt sagen werde, aber ich denke, dass es egal ist, was ich sage, weil du mir in den letzten Jahren bewiesen hast, dass du mich liebst, auch wenn ich Müll labere oder mich wie der letzte Vollidiot benehme. Du liebst mich mit all meinen Eigenheiten und Macken und genauso liebe ich dich mit allen Ecken und Kanten und allem was zu dir dazugehört. Ich liebe es, wenn du unter der Dusche immer wieder dasselbe Lied singst, ich liebe deine Selbstgespräche beim Kochen, ich liebe dein wunderschönes Lächeln und am meisten liebe ich es, wenn ich der Grund für dein Lächeln bin. Würdest mir die Ehre erweisen, mir jeden Tag unseres Lebens die Chance zu geben, dich zum Lächeln zu bringen und meine Frau zu werden?" Der Blonde nahm den Ring aus der Schatulle und sah Lena erwartungsvoll, die vor Freude weinend nickte und nur ein halbersticktes "Ja, natürlich will ich!" herausbrachte. Stolz, erleichtert und glücklich steckte Julian seiner Verlobten den Ring an den Finger und das Stadion, in dem bis eben Totenstille geherrscht hatte, brach in einen gigantisch lauten Jubel aus. Ich hatte Freudentränen in den Augen, die ich nicht wegwischte, weil sowieso gleich welche nachkommen würden und klatschte und jubelte zusammen mit den unzähligen Menschen, die das glückliche Paar in diesem Moment feierten. Julian erhob sich und Lena zog ihn sofort an seinem Trikot zu sich und küsste ihn leidenschaftlich. Unwillkürlich sah ich leicht zur Seite und nach oben, sodass ich Kai ansehen konnte, der noch immer hinter mir stand. Er senkte den Kopf und lächelte mich an, dann beugte er sich ein wenig runter und legte seine Lippen auf meine. Lächelnd erwiderte ich den Kuss und gab mich meinem wie wild pochenden Herzen hin, das zu zerbersten drohte vor lauter Glück. Vergessen waren mein Gefühlschaos und die Schwierigkeiten unserer Scheinehe, in diesem Moment zählte nur der Kuss und all die Hingabe, die Kai und ich hineinsteckten.

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt