Thirty-Five (Part2)

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"Also, wieso warst du im Gefängnis?"

"Weil ich bei einem Unfall Erste Hilfe geleistet habe und weggerannt bin, als die Polizei dort eintraf. Die sind mir hinterher und haben mich geschnappt. Mit einer ziemlich großen Menge Alkohol und Kokain." Entsetzt starrte Kai mich an, schwieg aber, sodass ich weiter reden konnte. "Ich war 17, also hätte ich beides nicht bei mir haben dürfen. Ich hab immer wieder gesagt, dass ich das Zeug nicht nehme und nicht weiterverkaufe, aber den wahren Grund konnte ich ihnen nicht nennen, also kam ich für ein paar Monate ins Gefängnis. Da ich schon fast 18 war, haben sie mich wie eine Erwachsene verurteilt. Na ja, nach dem Knast war ich natürlich noch eine Weile auf Bewährung, in der Zeit hab ich dann auch angefangen zu studieren und kurz nachdem ich meine Bewährungszeit hinter mir hatte, ist meine Mutter gestorben. Daraufhin hat mich nichts mehr in Deutschland gehalten und ich bin nach Amerika gegangen. Eine Weile hab ich versucht einen Job zu finden, aber das hat nie richtig geklappt und dann hab ich dich getroffen und wir haben geheiratet." Ich verstummte und sah Kai an, der leicht den Kopf schüttelte. "Du hast mir noch nicht gesagt, wieso du die Drogen überhaupt bei dir hattest. Hast du sie genommen?" "Nein, ich hab der Polizei die Wahrheit gesagt. Ich wollte von diesem Teufelszeug nichts nehmen und weiterverkaufen wollte ich es auch nicht. Es war für meine Mutter. Sie war abhängig und sie ist an einer Überdosis gestorben." Betroffen sah Kai mich an und ich hatte das Gefühl, ihm das Ganze besser erklären zu müssen. "Mein Vater hat meine Mutter verlassen, als ich noch ein Baby war. Sie hat das nie verkraftet, hat häufig zu viel Alkohol getrunken und als ich ungefähr 14 war, hat sie mit dem Kokain angefangen. Erst nur ein wenig und nicht so oft, aber dann immer häufiger und immer mehr und je älter ich wurde, umso öfter hat sie mich losgeschickt, um das Zeug für sie zu besorgen, weil sie selbst keine Lust hatte zu gehen. Ich hab in einem kleinen Café gearbeitet, um mir was dazuzuverdienen, aber das ist alles für unsere Einkäufe und den Unterhalt der Wohnung draufgegangen, weil Mama ihr ganzes Geld für die Drogen brauchte." "Wie hast du es geschafft, das durchzustehen? Du warst ein Kind", hauchte Kai fassungslos und ich zuckte die Schultern. "Man wächst an seinen Aufgaben. Ich hatte eben keine richtige Kindheit, sondern war früh selbstständig. Im Gefängnis war mein dickes Fell sehr von Vorteil und eigentlich hab ich es erst abgelegt, als- na ja, als ich dich kennengelernt habe." Jetzt lächelte ich ein wenig und zu meiner Erleichterung lächelte Kai ebenfalls, dann wurde er wieder ernst. "Was ist mit deinem Vater? Hast du jemals wieder von ihm gehört?" Ich schluckte hart und überlegte, ob ich Kai die Wahrheit sagen sollte, aber dann erinnerte ich mich daran, warum ich hier war: Um den Lügen ein Ende zu bereiten. Also nickte ich. "Vor ein paar Wochen. Eine Krankenschwester aus Frankfurt hat mich auf Instagram angeschrieben, weil einer ihrer Patienten behauptet hat, mein Vater zu sein, nachdem er mich irgendwo im Fernsehen oder auf einem Magazin oder so gesehen hat. Also bin ich nach Frankfurt gefahren, um herauszufinden, ob er es wirklich ist." "Deshalb warst du also in Frankfurt", stellte Kai fest und ich nickte. "Ja, eigentlich war es hirnrissig dorthin zu fahren, aber ich hab es getan, weil ein Teil von mir sich gewünscht hat, dass der Mann wirklich mein Vater ist und ich endlich Antworten auf meine Fragen bekomme." "Aber er war nicht dein Vater?" "Doch. Der Mann war wirklich mein Vater, aber er wollte sich nur bei mir entschuldigen, damit er mit ruhigem Gewissen sterben kann und das hat mich so verletzt und wütend gemacht, dass ich rausgestürmt bin und die nächste Bar besucht hab. Deshalb war ich an dem Abend auch so spät zu Hause. Ich hatte in Frankfurt ziemlich viel getrunken und als ich mit dem Zug in Leverkusen angekommen bin, war ich noch nicht ganz nüchtern und bin erstmal in den falschen Bus in die entgegengesetzte Richtung gefahren. Es tut mir wirklich Leid, dass ich an dem Tag all deine Anrufe und Nachrichten ignoriert habe, ich wusste einfach nicht, was ich dir sagen sollte. Dann haben wir uns gestritten und mir wurde klar, dass es meine Schuld war. Du warst fantastisch und wolltest mir etwas Gutes tun und ich hab mich einfach nur furchtbar verhalten." "Du hättest doch mit mir reden können. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass wir mittlerweile Freunde sind", murmelte Kai traurig und ich biss mir auf die Lippe. "Ich wusste nicht, wie ich dir das alles erklären sollte, ohne von meiner gesamten Vergangenheit erzählen zu müssen." "Und was ist jetzt mit deinem Vater? Du hast gesagt, dass er nur sein Gewissen beruhigen wollte, weil er sterben wird." "Ja, das wird er. Er hat Krebs und liegt jetzt im Hospiz. Karla, die Krankenschwester, hat mir noch ein paar Mal geschrieben, dass sie denkt, dass ich es bereuen werde, wenn ich ihn vor seinem Tod nicht nochmal besuche, aber das werde ich nicht. Der Mann ist ein Fremder für mich und er ist Schuld daran, dass meine Kindheit der Horror war. Mit dem will ich nichts zu tun haben." Kai seufzte. "Ich stimme der Krankenschwester zu. Mag sein, dass er ein Fremder für dich ist, aber wenn du ihm die Chance dazu gibst, dann kann er dir vielleicht noch etwas weniger fremd werden, bevor er stirbt. Ich denke, du wirst es bereuen, es nicht wenigstens versucht zu haben. Und er ist nur indirekt Schuld an deiner schlimmen Kindheit. In erster Linie ist deine Mutter Schuld, weil sie ihr Leben den Drogen gewidmet hat, statt ihrer Tochter." Ernst sah Kai mich an und ich seufzte. "Keine Ahnung, ich hab irgendwie das Gefühl, dass ich nicht mehr weiß, was richtig und was falsch ist. Und du bist mir wichtiger als irgendein Fremder, der mein biologischer Vater ist. Ich musste zuerst das mit dir wieder ins Lot bringen. Hab ich das denn geschafft? Verzeihst du mir?" Hoffnungsvoll sah ich Kai an, der mich für eine gefühlte Ewigkeit lang einfach nur stumm ansah. Dann begann er zu lächeln. "Wie könnte ich diesen Augen widerstehen und dir nicht verzeihen? Aber bitte versprich mir, dass du ab jetzt immer ehrlich zu mir sein wirst. Keine Lügen und Geheimnisse mehr." Sofort nickte ich und spürte, wie mir einige Freudentränen über die Wangen liefen. "Danke Kai." Ich rutschte zu ihm und umarmte ihn und als Kai die Umarmung erwiderte, fühlte es sich an, als würde er mein Herz nehmen und es in warmem Honig baden. Jetzt war alles wieder gut. Kai hatte mir vergeben, ich hatte unsere Freundschaft nicht zerstört. Ab jetzt würde es nur noch die Wahrheit geben. "Lilli?" "Ja?" "Ich würde gerne meinen Eltern erzählen, wie es tatsächlich zu unserer Hochzeit gekommen ist. Aber da du meiner Mutter ja quasi ins Gesicht geschrien hast, dass du im Gefängnis warst, wird sie uns sicher darauf ansprechen. Wenn du das nicht möchtest, dann lassen wir es. Aber ehrlich gesagt hasse ich es, mit meiner Mutter zu streiten und ich würde ihr gerne alles erzählen können." Für einen kurzen Moment rang ich mit mir, dann nickte ich. Kais Familie gehörte zu ihm dazu und wenn ich ihm gegenüber von jetzt an ehrlich sein wollte, dann musste ich das auch seiner Familie gegenüber sein. Sie mussten ja nicht jedes Detail meiner Vergangenheit kennen. "Ja, von mir aus können wir es ihnen sagen." "Danke!" Lächelnd beugte Kai sich vor und küsste mich, woraufhin ich überrascht die Augen aufriss. Wir waren im Haus, hier waren keine Paparazzi und wir hatten uns schon länger nicht mehr privat wie ein Ehepaar verhalten, also warum küsste er mich? Aber bevor ich mich wieder mit dieser Frage beschäftigen konnte, hatte mein Instinkt bereits eingesetzt und ich schloss die Augen, um den Kuss zu erwidern.

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt