Eleven

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"Claudia, möchtest du noch Kartoffeln?" "Nein danke. Ich möchte lieber endlich die Geschichte hören, wie es zu eurer überraschenden Hochzeit gekommen ist." Ich schluckte und nickte langsam, dann sah ich Kai verliebt an, der Gott sei Dank das Antworten übernahm. "Ich wollte nicht mehr warten und eine Fernbeziehung wollte ich auch nicht. Also hab ich sie einfach gefragt und sie hat ja gesagt." Er erwiderte meinen verliebten Blick und lächelte, was ich erwiderte. "Es ist wirklich schön, euch beide so glücklich zu sehen", mischte sich Lea nun ins Gespräch mit ein und ich war ihr unendlich dankbar, dass sie es schaffte, das Gespräch in den folgenden zehn Minuten auf Kais Karriere umzulenken. Doch Claudia Havertz ließ sich nicht so leicht unterkriegen. Kaum gingen Lea die Fragen aus, begann sie wieder mich zu löchern und ich geriet ordentlich ins Schwitzen. "Was hast du denn eigentlich in Amerika gemacht? Und wie kam es dazu, dass du Deutschland überhaupt verlassen hast?" "Ähm, meine Mutter ist gestorben und ich- ich hatte einfach das Gefühl, ich müsste weg aus dem Land, in dem sie gestorben ist. Also bin ich nach Amerika ausgewandert, habe aber leider keinen Job gefunden, der mir wirklich gefallen hat. Deshalb hab ich dort als Kellnerin gearbeitet." "Als Kellnerin oder als Prostituierte?" Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke bei dieser doch sehr direkten Frage und auch Kai war empört. "Mama! Was soll das?" "Ich möchte sie doch nur besser kennenlernen. Und in Las Vegas liegen zwischen Kellnerin und Prostituierter nur wenige Zentimeter Stoff." Ich schluckte meinen Schock herunter. "Ich war Kellnerin. In verschiedenen Cafés und einem Club." Damit schien Mutter Havertz zufrieden zu sein, doch ihre nächste Frage ließ meinen Adrenalinpegel sofort wieder in die Höhe schießen. "Wie ist ihre Mutter denn gestorben, wenn ich fragen darf?" Sie formulierte es, als ob ich eine Wahl hätte, ob ich antworten wolle oder nicht, aber ich hatte das Gefühl mich verdächtig zu machen, wenn ich nicht antwortete. Also holte ich tief Luft, aber Kai kam mir zuvor. "Mama, das geht zu weit. Der Tod ihrer Mutter ist noch nicht lange her und Lilli redet nicht gern darüber, also lass bitte diese Fragen. Man kommt sich vor, wie in einem Verhör." Kais Vater nickte zustimmend. "Der Junge hat Recht, Claudia. Du wolltest doch unsere Schwiegertochter kennenlernen und nicht ihre Vergangenheit." "Die Vergangenheit gehört immer zu einer Person dazu, Ralf. Man kann sie nicht einfach abschneiden und hinter sich lassen. Das hat Lilli in Amerika mit Sicherheit auch gemerkt." Ich nickte leicht und merkte, dass es mir schwer fiel, meine Tränen zurückzuhalten. Kai hatte Recht, ich redete nicht gerne über den Tod meiner Mutter, eigentlich nie. Und auch mit Kai hatte ich darüber noch nicht gesprochen, er hatte es genauso wie seine Familie eben erst erfahren. Dafür hatte er ziemlich gut reagiert, wie ich fand, aber ich fürchtete, er würde mich später noch darauf ansprechen. Als ich spürte, wie die Tränen zusehends von innen gegen meine Augen drückten, erhob ich mich ruckartiger als beabsichtigt und verließ den Tisch. "Bitte entschuldigt mich kurz", bat ich und eilte dann die Treppe nach oben ins Badezimmer. Keuchend stützte ich mich auf dem Waschbeckenrand ab und versuchte angestrengt, die Tränen zu unterdrücken. Es gelang mir überraschend schnell, eine Eigenschaft, die man sich im Gefängnis schnell angewöhnte, wenn man nicht draufgehen wollte. Ich kontrollierte meinen Anblick im Spiegel und stellte fest, dass man mir nichts mehr ansah. Der innere Kampf, den ich eben geführt hatte, war von außen nicht zu sehen. Entschlossen dieses Essen erfolgreich hinter mich zu bringen, richtete ich mich auf und zog mein Top zurecht. Es klopfte vorsichtig an der Badezimmertür und zu meiner Überraschung vernahm ich Leas Stimme. "Hey, ist alles okay bei dir? Es tut mir Leid, dass meine Mutter all diese Fragen gestellt hat." Ich öffnete die Badezimmertür und bemühte mich zu lächeln. "Schon okay. Sie ist Anwältin, genau nachzufragen liegt ihr im Blut." Lea erwiderte mein Lächeln. "Du musst meine Mutter nicht verteidigen. Sie lernt dich gerade erst kennen, das ist zu früh, um so persönliche Fragen zu stellen." Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf. "Die hätte sie mir im Laufe der Zeit gestellt, aber auf jeden Fall, bevor ich ihren Sohn geheiratet hätte. Sie hat das Gefühl, etwas großes verpasst zu haben und möchte jetzt so viele Antworten wie möglich so schnell wie möglich bekommen. Ich kann es ihr nicht verdenken. Wenn mein Sohn aus dem Urlaub plötzlich mit einer Ehefrau kommen würde, von der ich noch nie gehört habe, würde ich auch nachfragen", verteidigte ich Claudia erneut, was Leas Lächeln noch ein wenig breiter werden ließ. "Du bist wirklich schwer in Ordnung, Lilli. Kai hat Glück, dich geheiratet zu haben, auch wenn wir beide wissen, wie es dazu gekommen ist." Ich erwiderte ihr Lächeln, dann straffte ich entschlossen die Schultern. "Lass uns wieder runtergehen", murmelte ich und Lea nickte, dann liefen wir gemeinsam die Treppe nach unten und setzten uns an den Tisch. Kai sah mich fragend an und ich lächelte bloß, um ihm zu zeigen, dass alles okay war. Claudia räusperte sich. "Es tut mir Leid, falls ich dir zu nah getreten bin mit meinen Fragen. Es ist nur einfach so, dass-" "Dass Kai geheiratet hat und er eigentlich nicht der Typ für überstürzte Hochzeiten ist. So kennst du deinen Sohn nicht und deshalb bist du besorgt, das kann ich absolut nachvollziehen. Ich bin eigentlich auch niemand für spontane Hochzeiten, aber ich liebe Kai und möchte den Rest meines Lebens mit ihm verbringen. Und wenn du damit ein Problem hast, dann ist das deine Sache. Für mich zählt nur, was Kai von mir denkt." Ich schaute zu Kai, der ohne zu zögern meine Hand in seine nahm und mich anlächelte. "Ich liebe dich." Obwohl ich wusste, dass das alles gerade gelogen war, ließen diese Worte mein Herz ein wenig schneller schlagen. "Ich liebe dich auch." Mein Blick wanderte zurück zu Claudia, die leise seufzte und dann lächelte. "Ich möchte nur, dass Kai glücklich ist. Und du scheinst ihn glücklich zu machen, also willkommen in der Familie Havertz." "Danke", entgegnete ich lächelnd, woraufhin Claudia mich erneut leicht forschend ansah. "Eine Frage hab ich aber noch: Hast du Kais Nachnamen angenommen oder heißt du weiterhin-" Sie ließ das Ende ihres Satzes offen, da sie meinen Nachnamen nicht kannte und ich durchschaute ihr Spiel sofort. Sie wollte meinen Nachnamen wissen, um mich überprüfen zu können. Aber diesen Gefallen würde ich ihr nicht tun, weshalb ich mein freundlichstes Lächeln aufsetzte und antwortete: "Ich habe Kais Nachnamen angenommen. Manche Dinge, die der Vergangenheit angehören, kann man doch abschneiden." Claudia nickte und lächelte, doch ihre Augen erklärten mir den Krieg. Ihr mütterlicher Instinkt, dass hier irgendwas faul war, schlug Alarm und ich musste sie dazu bringen zu glauben, dass ihr Radar nicht mehr richtig funktionierte und ich die perfekte Schwiegertochter war. Während Claudia ihr Glas hob und mich ansah, wusste ich, dass ich in Zukunft verdammt vorsichtig zu sein hatte. "Na dann, auf unser neues Familienmitglied." Feierlich zeigte Claudia mit ihrem Glas auf mich und wir taten es ihr alle gleich. "Prost! Auf das frisch vermählte Paar." Mit diesen Worten senkte Claudia das Glas an ihre Lippen und nahm einen großen Schluck, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Sie erklärte mir stumm den Krieg. Und der leichtsinnige Teil in mir erwiderte ihren Blick angriffslustig. Sollte sie doch. Hätte ich geahnt, was diese Naivität für mich zur Folge haben würde, hätte ich wohl die Augen geschlossen und mich untergeordnet.

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt