Twenty-Nine

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Wir schwiegen uns an. Seit drei Tagen schwiegen Kai und ich uns an und ich hasste es. Aber ich traute mich auch nicht ihn anzusprechen, weil ich Angst hatte, dass wir dann über die angedrohte Scheidung reden würden. Auf Instagram begannen die ersten Fans bereits nach Pärchenfotos zu fragen, mit denen wir sie zuletzt kaum versorgt hatten, aber auch darauf sprach ich Kai nicht an. Stattdessen lebten wir parallel aneinander vorbei und ich wurde mit jedem Tag unglücklicher. Karla hatte mir noch eine Nachricht per Instagram geschickt, dass mein Vater es sehr bereute, wie unser Gespräch geendet hatte und sie schickte mir die Adresse des Hospizes, in dem er ab morgen untergebracht sein würde. Ich hatte ihre Nachricht ignoriert, es aber nicht übers Herz gebracht, sie zu blockieren und unseren Chatverlauf zu löschen. Am Tag nach meinem Ausflug nach Frankfurt hatte die Einführungswoche der Uni begonnen und ich hatte mich jeden Abend mit meinen zukünftigen Kommilitonen betrunken, um zu vergessen, wie verkorkst gerade alles war. Ein paar Mädels hatten mich erkannt und angesprochen und jetzt musste ich ihnen nicht nur vorlügen mit Kai verheiratet zu sein, nein, jetzt musste ich ihnen auch noch vorlügen, dass es gut zwischen uns lief. Das alles kostete mich Kraft und auch der übermäßige Alkoholkonsum tat seinen Teil daran, dass es mir eher schlechter als besser ging. Seufzend rieb ich mir die Schläfen und versuchte mich wieder auf das zu konzentrieren, was der Professor uns gerade erzählte, aber so sehr ich mich auch bemühte, meine Gedanken wanderten immer wieder zu Kai und unserem Streit. Am Morgen danach hatte ich ihm für den Flügel gedankt, aber er hat mir nur kühl geantwortet, dass sich das ja wohl bald erledigt hatte und es eine blöde Idee gewesen war, ihn zu kaufen. Seitdem spielte ich in jeder freien Minute darauf, um Kai zu beweisen, dass der Flügel keine Fehlinvestition gewesen war und tatsächlich half mir das Spielen, meine Gedanken und Gefühle ein wenig zu sortieren. Ich wollte mich gerade wieder auf den Vortrag konzentrieren, als ich das Vibrieren meines Handys in meiner Hosentasche spürte. Schnell holte ich es raus und sah, dass Kai mir eine Nachricht geschickt hatte. Allein diese Tatsache ließ mein Herz schneller schlagen, doch als ich mir den Text durchlas, traten mir Tränen in die Augen.

K: Hab mit Peter geredet, aber er meint wir müssen noch mindestens vier Monate verheiratet sein, damit die Leute glauben, dass wir wirklich heiraten wollten.

Ich schluckte hart und bemühte mich, nicht zu weinen, auch wenn ich mich am liebsten heulend zusammengerollt und verschanzt hätte. Er hatte es ernst gemeint. Er wollte nicht mehr so tun, als ob wir verheiratet wären. Und es war meine Schuld, dass er so dachte. All diese Geheimnisse, die ich vor ihm hatte und meine blöden Gefühle für ihn, damit hatte ich unsere Freundschaft zerstört. Und ohne die würde es verdammt schwer werden, weiterhin das glückliche Paar vorzugaukeln. Das, wovor ich mich seit Beginn unserer Ehe fürchtete, war eingetreten und obwohl ich über kurz oder lang damit hatte rechnen müssen, traf es mich wie ein Faustschlag ins Gesicht. Wieso war ich bloß damals zu diesem Club gegangen, statt zu mir nach Hause? Wieso hatte ich mich von Kai auf einen Drink einladen lassen und so viel getrunken, dass ich es für eine gute Idee hielt, ihn spontan zu heiraten? Wieso konnte ich nicht einfach die Zeit zurückdrehen und alles anders machen?


Ein letztes Mal kontrollierte ich mein Fake-Lächeln im Spiegel, das ich so lange geübt hatte, bis ich es mir selbst glaubte, dann schnappte ich mir meine Tasche und verließ das Haus, weil ich es keine Sekunde länger darin aushielt, solange Kai auch da war. Mit meinem Handy in der Hand stellte ich mich auf den Bürgersteig und wartete auf Lena und Julian, die heute mit mir Hochzeitstorten probieren wollte. Eigentlich sollte Kai auch dabei sein, aber er hatte sich mit irgendwas rausgeredet und ich war nicht böse darum. Das Geräusch eines sich nähernden Autos riss mich aus meinen Gedanken und ich bemühte mich sofort um das geübte falsche Lächeln. Der Wagen hielt direkt vor mir und ich stieg ein, dann begrüßte ich Lena und Julian jeweils mit einem kurzen Handschlag. "Hey, danke für die kostenlose Fütterung." Beide mussten bei meinen Worten lachen. "Gerne. Nur schade, dass Kai keine Zeit hat." Ich bemühte mich, meine glückliche Fassade aufrechtzuerhalten und nickte. "Ja, aber da kann man nichts machen. Also dann, lasst uns losfahren. Ich hab heute extra nichts zu Mittag gegessen, damit ich genug Hunger und Platz im Bauch für die Torten hab." Julian startete den Motor und fuhr los und während der Fahrt plauderte ich fröhlich mit den beiden und versuchte Kai aus meinem Kopf zu verbannen. In der Konditorei angekommen, wurden wir bereits erwartet und als ich die unzähligen Probierstücke sah, lief mir sofort das Wasser im Mund zusammen. Die Konditorin erklärte uns, in welcher Torte was drin war, dann ließ sie uns allein, damit wir uns trauten, frei zu sprechen. Jeder mit einer Gabel bewaffnet stürzten wir uns auf die Torten und ich probierte zuerst von einer mit Marzipan, die ich aber schnell als zu süß erachtete. Trotzdem aß ich noch ein paar Gabeln davon, denn die köstliche Zuckersünde half mir dabei, Kai noch weiter in die Tiefen meines Kopfes zu verbannen. Fröhlich probierten wir uns durch die Torten, bis wir alle total überfressen auf den Stühlen saßen und uns beratschlagten. "Die Zitronen-Buttercreme-Torte ist der Hammer", entfuhr es Julian träumerisch, während er sich noch einen Bissen von jener Torte genehmigte und Lena und ich nickten zustimmend. "Die hat sowas Frisches, das passt auch super, wenn wir im Sommer heiraten wollen. Aber ich hab mich irgendwie in diese Himbeer-Quark-Torte verliebt", sagte Lena und wieder nickte ich, denn beide Torten waren einfach der Hammer. Vielleicht war das ja die Lösung? "Dann nehmt doch beide. Kennt ihr diese Hochzeitstorten, die nicht eine große sind, sondern mehrere kleine, die auf so einem Gestell stehen? Das sieht dann ein bisschen aus wie die Äste von einem Baum und auf jedem Ast ist eine kleine Torte." Lenas Augen begannen zu glänzen. "Ja, sowas hab ich auch schonmal gesehen! Das ist perfekt, dann können wir nämlich noch diese geile Schokotorte dazunehmen. Was denkst du, Schatz?" Fragend sah sie Julian an, der breit grinste. "Ich denke, wenn die Konditorin das hinkriegt, dann haben wir uns entscheiden." "Super, dann geh ich sie mal kurz holen." Mit diesen Worten stand Lena auf und ließ mich mit Julian allein, der mich sofort besorgt ansah. "Was ist los?" Überrascht erwiderte ich seinen Blick. "Was soll los sein?" Er seufzte gequält. "Du bist total niedergeschlagen und hast den Kuchen in dich riengestopft, wie jemand mit dem größten Liebeskummer seines Lebens." Jetzt war es an mir zu seufzen. "Kai und ich haben uns gestritten. So richtig gestritten." "Oh. Aber ihr kriegt das bestimmt wieder hin. Ihr seid innerhalb kürzester Zeit ein so tolles Team geworden, das kann ein einziger Streit doch nicht kaputt machen." "Es war nicht nur ein Streit. Die Stimmung zwischen uns war schon länger komisch und dann war da die Sache mit der Ausländerbehörde, die seine Mutter uns auf den Hals gehetzt hat und seitdem reden die beiden nicht mehr miteinander und ich hab das Gefühl es ist meine Schuld! Wir haben rausgefunden, dass unsere Form der Scheinehe gar keine Zweckehe im strafbaren Sinne ist, also könnten wir seinen Eltern eigentlich die Wahrheit sagen, aber er weigert sich und ich kann und will ihn da auch nicht übergehen und es einfach rausposaunen. Na ja, und nach dieser ganzen komischen Stimmung zwischen uns kam der Streit und dann hat er-" Ich stockte, während mir eine Träne über die Wange lief. Ernst sah Julian mich an. "Was hat er?" Ich schluckte so gut es ging den Kloß in meinem Hals herunter. "Er hat gesagt, dass wir uns scheiden lassen sollten, weil das so alles keinen Sinn mehr hat. Er hat sogar schon mit seinem Berater darüber gesprochen, aber der hat gesagt, dass wir noch ein paar Monate verheiratet bleiben sollten. Ich hab alles kaputt gemacht, Julian." Meine verzweifelte, weinerliche Stimme erschreckte mich selbst, aber ich konnte nichts dagegen tun. In diesem Moment hörte ich Lenas Stimme und schnell wischte ich mir die Wangen trocken und setzte wieder ein Lächeln auf. Kurz bevor seine Verlobte und die Konditorin den Raum betraten, warf Julian mir noch einen mitfühlenden Blick zu und ich verkniff mir ein Seufzen. Die ganze Lage war furchtbar verzwickt, aber ich wollte Julian und Lena da nicht so mit reinziehen. Es war schließlich nicht ihre dumme Aktion gewesen, sondern Kais und meine. Und jetzt mussten wir die Konsequenzen dafür tragen.

Let's get married!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt