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"Was ist, wenn es mir den Boden unter den Füßen wegreißt? Was ist, wenn ich mehr will? Was ist, wenn er nicht einer von vielen ist? Ist es das Risiko wert? Oder übertreibe ich gerade maßlos?"

Jacky, ein schwarzer Mischling, sieht mich mit ihren dunklen Augen aufmerksam an. Ich schüttle nur den Kopf, leere den Eimer und fege den nächsten Zwinger. Der Rottweiler darin beäugt mich misstrauisch, lässt mich aber meine Arbeit machen. "Nur noch zwei, dann heißt es Gassi gehen," wispere ich verschwörerisch und Jacky wedelt begeistert mit dem Schwanz.

Sie, und die kleine Schildkröte, Sammy, sind meine Lieblinge hier. Der Leiter des Tierheims, ein gewisser Mister Chao, beginnt die Zwinger auf der anderen Seite zu säubern. Er ist groß und schlank und hat dunkle, volle Haare, obwohl er bestimmt schon auf die 50 zugeht. Er arbeitet fleißiger als viele der Angestellten und ich bin froh, dass er nicht zu der Sorte Chef gehört, die ihren Mitarbeitern die ganze unangenehme Arbeit überlassen.

Es dauert weniger als 10 Minuten, bis ich mit den letzten zwei fertig bin und mir Jacky und Trude schnappe. Die beiden sind die einzigen von über 50 Hunden, die ohne Leine laufen können. Ich nehme noch Stefan und Damon mit, zwei hüfthohe Schäferhunde, die erst knapp zwei Wochen im Heim sind, und mache mich auf den Weg.

Ein kurzes Stück muss ich an der Hauptstraße nach Harpers Ferry entlang gehen, dann kann ich in den Wald abbiegen. Während Jacky und Trude superlieb neben mir laufen, ziehen die beiden, ziemlich kräftigen Rüden so stark, dass ich mit meinem ganzen Gewicht gegen halten muss.

Auf dem Feldweg fahren keine Autos und ich schaffe es mit vielem guten Zugerede, dass die beiden Rowdys so lange still stehen bis ich die anderen beiden losmachen kann. Sie flitzen gleich auf das Feld, das sich rechts von uns befindet und es ist tatsächlich noch schwerer die beiden jetzt zu halten. Wir können zwei Hunde schwerer zu halten sein als vier?

Ich höre von hinten, dass sich ein Auto nähert und versuche die beiden nach rechts an den Rand zu ziehen. Zum Glück gelingt mir das auch halbwegs. Letzte Woche bin ich auch schon mit den beiden gegangen, aber da waren sie viel braver als heute und überhaupt nicht so wild.

„Na, wer geht da, mit wem spazieren?" Ich lache als Cole neben mir anhält und zucke mit den Schultern. Er fährt sein Auto, einen blauen Audi, links ran und parkt es da. Dann steigt er grinsend aus und hält die Hand offen, damit ich ihm eine der Leinen gebe. Damon beobachtet ihn aufmerksam und sieht nicht allzu erfreut darüber aus, dass ich Verstärkung bekommen habe.

Ich bin überrascht als Cole seine Hand ausstreckt und Damon daran schnuppern lässt. „Ich wusste gar nicht, dass du dich mit Hunden auskennst." Ich ärgere mich, über die Anerkennung in meiner Stimme, doch das verfliegt gleich wieder als er lächelnd zu mir hochsieht. Er krault Damon und hält Stefan die Hand hin. Aus dem Augenwinkel sehe ich die beiden anderen Hunde hin und her rennen und sofort muss ich lächeln, als ich sehe wie Trude hinter Jacky herjagt. Auch die anderen drei folgen meinem Blick und beobachten gebannt, wie die beiden über das Feld fliegen und die Erde aufwühlen.

„Wir hatten dreizehn jahrelang einen Berner Sennenhund, sie hieß Tinka." Cole kramt sein Handy hervor und hält mir wenig später das Bild von einem extrem süßen, größtenteils schwarzem Hund und zwei kleinen Jungs vor die Nase. „Sie sind so schön." Ehrfürchtig zoome ich das breite Gesicht mit den schwarzen Knopfaugen und den niedlichen Ohren, die aufmerksam in die Richtung des Fotografen aufgestellt sind, ran.

„Danke," Cole zwinkert mir übertrieben zu und ich schüttle nur den Kopf wegen seiner albernen Späße. „Du bist der jüngere, oder?" Die beiden kleinen Jungs haben identisches hellblondes Haar, dieselben funkelnden Augen und das auffordernde Grinsen, bei dem man vermuten könnte, dass sie schon wieder den nächsten Streich aushecken.

„Woher weißt du das? Zu dem Zeitpunkt konnte uns so gut wie niemand auseinander halten." Ich zucke nur mit den Schultern. Ich sage ihm sicherlich nicht, dass nur der jüngere diese süßen Grübchen hat, die ich schon das ein oder andere Mal angeschaut habe.

Die Stimmung zwischen uns war nie richtig entspannt, aber es war leichter, als wir so gut wie gar nicht miteinander geredet haben. Während wir mit den beiden Schäferhunden weiter durch den Wald laufen und die anderen beiden sich ordentlich ausrauben, wird die Stille immer angespannter.

Ich mustere ihn immer wieder von der Seite. Er lächelt die ganze Zeit und ich kann dem Anblick seiner Grübchen einfach nicht widerstehen. Damon und Stefan sind ruhiger geworden und irgendwann entspanne ich mich doch ein bisschen. Wir reden über die Uni, über unsere Freunde und die anstehenden Veranstaltungen. Über alles, außer den beinahe Kuss.

„Wo versteckst du die Hunde eigentlich in der Wohnung?" Er mustert Damon, als hätte er die Fähigkeit zu einem kleinen Kuscheltier zusammen zu schrumpfen, wenn er es will. „Hm," ich reibe mir nachdenklich über die Arme. „Meistens in dem Zimmer unserer Mitbewohnerin und ansonsten auch mal im Abstellraum, aber da sind sie nicht so gerne."

„Ja stimmt, sie ist ja eh nicht da. Da freuen sich die vier bestimmt über den Freiraum."

„Definitiv." Er schmunzelt und ich recke herausfordernd das Kinn. „Weißt du Tate, wenn du mich so ansiehst..." Er räuspert sich kurz, während wir stehen bleiben und uns automatisch zueinander drehen. „Machst du mich echt fertig." Beendet er seinen Satz, obwohl ich das Gefühl habe, dass das nicht ganz das ist, was er ursprünglich sagen wollte.

„Wieso?", frage ich grinsend und gehe einen Schritt auf ihn zu. Mal sehen, wie er reagiert, denke ich mir und hebe trotzig das Kinn. Er schluckt und sein Kehlkopf hüpft, aber ich sehe keine roten Wangen oder sonst irgendwelche Zeichen seiner Unsicherheit und das ist nicht gut.

Gerade als ich wieder einen Schrot wegtreten will, schnellen seine Arme vor und legen sich um meine Taille. Wie durch ein Wunder bleiben Damon und Stefan einfach sitzen. Ich werfe ihnen einen verächtlichen Blick zu. Solche Verräter.

„Tate, schau mich an." Er zieht mich näher und die Gänsehaut, die sich auf meinem Körper ausbreitet, hinterlässt ein wohliges Prickeln. Ich sehe in seine blaugrauen Augen und die geweiteten Pupillen, in denen sich die Umrisse der hohen Bäume um uns herum spiegeln.

„Hast du Angst?" Ich kneife die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und lächle ihn herausfordern an. Die habe ich nicht. Doch als seine Lippen meine berühren, wird mir klar, wie falsch ich lag.

Sie sind weich und behutsam und meine Arme schlingen sich ohne mein Zutun um seinen Hals. Das ist der schönste Kuss, den ich je bekommen habe. Meine Finger kribbeln als sie über die weiche Haut an seinen Nacken wandern, meine Lippen beben als er mit seiner Zunge an ihnen entlangfährt und mein Herz rast, als würde ich gerade von einem fahrenden Zug springen. Das Gezwitscher der Vögel, das Rascheln der Tiere und des Windes, es ist alles weg.

Es gibt nur noch ihn, unseren Atem, unsere Hände, unseren Kuss.

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Never Falling Deeper | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt