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Dann passiert alles gleichzeitig. Cole öffnet die Tür. Mila beißt in ihren Cupcake. Ich versuche die näherkommenden Stimmen zu erkennen.

Schritte, die sich nähern. Mila, die schreiend ihren Cupcake ausspuckt. Cole, dessen schuldbewuste Miene mir begegnet. Zwei bekannte Gesichter, die sich an ihm vorbei drängeln und auf mich zustürmen.

"Scheiße", hauche ich, während Tränen in meine Augen treten. "Da sagst du was!" Toni und Liss werfen sich so schwungvoll in meine Arme, dass wir nach hinten taumeln, das Gleichgewicht verlieren und fallen.

Ich spüre nichts von dem Aufprall. Ich spüre nur wie Liss Schultern zucken und Toni mich leise beschimpft. Ich grinse nur und halte die beiden ganz fest. "Glaub nicht, dass wir dich je wieder loslassen", schimpt Toni, als ich mich rege, um etwas Luft zum Atmen zu erkämpfen. Liss nickt eifrig, ohne meine Umklammerung nur eine Sekunde zu lösen. "Nie wieder", bestätigt sie schniefend.

Ich wische mir die Tränen weg und sehe verschmierte Mascara Spuren auf meinem Handrücken. Von wegen wasserfester Mascara! Was für ein Scheiß. Aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie Mila aufsteht und auf Cole zuschlendert. Ihr Grinsen ist irgendwie besorgniserregend fröhlich.

Kaum ist sie bei ihm angekommen, zaubert sie einen Cupcake hinter ihrem Rücken hervor und patscht ihn Cole ins Gesicht. Sie zieht ihn von einer Wange, quer über seinen Mund, zur anderen. "Hoffentlich schmeckt es dir! Senf und Erdnussbutter ist nämlich nicht so mein Ding." Dann dreht sie sich unberührt um und setzt sich zurück auf ihren Platz.

Wir sind alle still. Selbst Toni und Liss haben sich soweit gedreht, dass sie Cole ansehen können. Coles Blick ist so fassungslos und er scheint überhaupt nicht klar zu kommen. Er schnaubt und wischt sich die Creme von den Lippen. Da kann ich nicht anders. Ich lache. Total laut. Und dreckig. Und boshaft. Und ich genieße es so richtig, wie er mich böse anfunkelt.

Auch die anderen drei können sich nicht mehr zurück halten. Toni und Liss rollen sich tatsächlich von mir runter, um aus vollen Hals lachen zu können. Mila grinst einfach schadenfroh und ich halte mir meinen Bauch, dessen Muskel sich vom ganzen Lachen schon schmerzhaft zusammen ziehen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Cole auf Mila zugeht, dann ändert er seinen Kurs. In einem Moment steht er vor Mila, im nächsten über mir. Was dann geschieht kann man nur als Überfall bezeichnen. Er presst seine Lippen auf meine. Dann auf meine Wange. Erst die rechte, dann die linke, und ehe ich kreischend reagieren kann, ist auch mein ganzes Gesicht mit der Creme beschmiert.

Als mir der Geruch in die Nase steigt, muss ich ein Würgen unterdrücken. "Senf? Ernsthaft? Warum?"

Cole grinst. "Es ist Silvester. Irgendwer musste doch den schlechten bekommen. Es hätte jeden treffen können", fügt er mit einem hämischen Blick in Milas Richtung zu, den man nur als hat-es-aber-nicht einstufen kann.

"Oh", sage ich nur.

"Es ist Silvester? Heute?" Vergessen ist die Creme in meinem Gesicht. Mila, der es ähnlich zu gehen scheint, wie mir, checkt irritiert ihr Handy. Dann wirft sie mir einen bestätigenden Blick zu. Upps, formen ihre Lippen lautlos. Ich zucke mit den Schultern und stehe auf. Liss und Toni befinden sich augenblicklich links und rechts von mir. Ihre hochgezogegen Augenbrauen sagen so etwas wie: Du willst einen Moment für dich? - Kannst du knicken.

Cole lächelt mir aufmunternd zu, als ich mit den beiden im Schlepptau das Wohnzimmer verlasse. Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie Mila Cole von der Seite fotografiert. Wenn ein Emoji zu ihr passt, dann ist es auf jeden Fall der lilafarbene mit den Teufelshörnern und dem fiesen Grinsen.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, grinst sie mir verschwörerisch zu und lässt sich dann wieder auf dem Boden vor dem Sofa sinken. Liss und Toni nehmen auf dem Rand der Badewanne und dem Toilettendeckel Platz.

Ich wische mir die Creme vom Gesicht und versuche vergeblich meine zitternden Hände zu verstecken. Ich räuspere mich in dem Moment, in dem Toni anfängt zu reden und Liss auffordernd mit der flachen Hand auf ihre Schenkel klopft. Mein unsicheres Lächeln verrutscht, als ich mich umdrehe und mir auf die Lippe beiße. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", bringe ich hervor und rupfe an den Ecken des Handtuchs in meiner Hand.

"Tate, wir..." Toni, die selbstbewussteste Person, die ich kenne, gerät ins Stocken. "Ehrlich gesagt", beginnt sie nochmal. "Wir hassen dich nicht", platzt Liss hervor. "Tun wir nicht", bestätigt Toni. "Wir sind sehr sehr sauer und auch ein bisschen enttäuscht, aber", fügt sie schnell hinzu, als sie meine aufgerissenen Augen erkennt, "wir sind einfach nur froh, dich jetzt wieder zu haben."

"Wir wären für dich da gewesen. Wir wollten für dich da sein. Ich will dir kein Versprechen abnehmen, dass du nicht halten kannst. Aber kannst du zur Kenntnis nehmen, dass wir deine Freundinnen sind? In guten und in schlechten Zeiten? Wie in einer Ehe nur viel besser?" Toni und Liss sehen mich gleichzeitig bittend und fragend an.

Ich fluche, bevor ich die beiden an mich ziehe, aufhöre die Tränen zurück zu halten und sie einfach nur ganz fest in den Arm nehme.

"Danke", presse ich hervor. "Ich habe euch so lieb, verdammt. Es kommt nicht wieder vor. Ich... wir kriegen das hin."

"Ja", schluchzt Liss und stellt sich auf die Zehenspitze um mir einen Kuss zu geben. Wir verharren in der Position bis meine Arme taub werden und meine Tränen trocknen.

"So", dirigiert Toni. "Deeptalk in der Badewanne, jetzt!" Ich will widersprechen, aber sie ist schneller. Mit einer präzisen Bewegung ihrerseits lande ich in der Wanne und Liss halb auf mir. Toni platziert sich gegenüber von uns.

"Also, Liss hat uns was zu beichten!", beginnt sie, woraufhin diese mit großen Augen den Kopf schüttelt. "Liiiiiss", ermahne ich sie, woraufhin sie sich mit einem Augenrollen ihrer Situation ergibt.

"Na gut. Ihr seid wahre Quälgeister!", beschwert sie sich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.


Never Falling Deeper | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt