Kapitel 20

1.2K 56 0
                                    

Jane hatte sich darauf vorbereitet, sich immer wieder in Gedanken gerufen, was sie in der Vorlesung erwarten würde. Jedoch traf sie es härter als zuvor angenommen, ihr Körper spannte sich komplett an, alle Muskeln verkrampften sich und ihr Herz mit dazu. An Mauras Pult stand ein älterer Herr mit grau meliertem Haar, faltiger Stirn und einer krummen Nase. Sein grüner Strickpulli stand im Kontrast zur lilafarbenen Satinhose, die ihm um einiges zu groß schien und zudem noch aussah als wäre sie bereits 100 Jahre alt. Ihr Herz hämmerte während sie seine Details in sich aufnahm, wie er Mauras Platz einnahm und ihrem Pult verschandelte mit seinem Antlitz. Kein Lächeln entrann seinen Lippen, eisig blickte er in der Runde umher, verwies die Studenten dazu sich hinzusetzen. Keiner traute sich ihm zu widersprechen, seine Präsenz war furchteinflößend, auch wenn Jane sich davon nicht beeindrucken ließ. Sie beunruhigte eher sein bohrender Blick, der immer wieder in ihre Richtung geworfen wurde. Wer Fragen stellte wurde abgewimmelt, selbst Susie schien nicht sein Interesse zu wecken, dabei übernahm sie die Assistenz von Dr. Isles. Dr. Isles. Wieder zog sich Janes Herz krampfhaft zusammen. Ja...ein kleiner Teil, ein verdammt kleiner Teil hatte gehofft Maura hier zu sehen. Nicht in Italien, sondern in Boston, an der BCU, in diesem doofen und tristen Vorlesungssaal. Sie musste den älteren Professor wie einen Geist anstarren, sie bemerkte anfangs nicht einmal das Zupfen an ihrem Pulli. Frost zog sie sanft hinter sich her zu ihrem alten, gemeinsamen Platz. Es fühlte sich gut an Frost an ihrer Seite zu wissen, sein Verständnis, seine Freundschaft zu haben. Auch nachdem was vorgefallen war, sie brauchte Frost, dessen ist sie sich vollkommen bewusst. Sie schluckte einige Male schwer, der ältere Herr stellte sich als Mister Hoyt vor. Allein seine knarzige, alte Stimme ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen, sie wünschte sich so sehnlich Maura herbei. Es würde ihr vollkommen reichen sie nur zu sehen, ihre weiche und warme Stimme zu hören, auch wenn sie dann nur mehr oder weniger ein stiller Beobachter sein würde. Sie könnte darauf verzichten sie zu küssen, zumindest für eine Weile. Jane würde sogar darauf verzichten ihr nah zu sein, nur um sie hier haben zu können. Nah und doch fern. Jane mutmaßte wie Maura sich dazu entschieden hatte, überlegte ob es ihr schwergefallen ist, oder ob sie ohne zu zögern die Koffer gepackt hat. Das Schlucken fiel ihr immer schwerer, der Kloß in ihrem Hals erschien ihr unerträglich riesig. Die Atemnot schlich sich langsam an, etwas was Jane noch nie zuvor erleben musste und doch bemerkte sie, wie ihr das Atmen immer schwerer fiel. Anfangs fühlte es sich an wie ein Stück Stoff im Mund, welches immer größer wurde. Nach einer Weile glaubte Jane Finger um ihren Hals zu spüren, unsichtbare Hände die sich immer fester um ihren zarten Hals legten und zudrückten. Professor Hoyt beobachte sie ausdruckslos, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Panisch zog Jane am Kragen ihres Pullis, versuchte so mehr Luft zu bekommen, sich zu beruhigen. Frost bemerkte, dass etwas nicht mit Jane stimmte, flüsterte ihr leise zu: „Jane? Alles in Ordnung? Es ist alles gut, niemand schaut her. Es interessiert sie bestimmt nicht einmal mehr, was gestern vorgefallen ist."

Selbst in diesem Moment erkannte Jane die Güte und Hochachtung ihres besten Freundes für sie, er glaubte sie reagiere panisch wegen ihrer Kommilitonen, was in ihren Augen sogar Sinn ergeben würde, doch nur sie kannte den wahren Grund. Das Fehlen von Mauras Anwesenheit. Mauras Fehlen. Das unverkennbare, gleichmäßige Klackern ihrer High Heels auf dem gefliesten Boden des Saals, ihr Duft, ihre Silhouette. Einfach alles. Sie vermisste diese unverkennbaren Augen, in denen sie die Liebe für sie sehen konnte. Liebe...? Was dachte Jane da gerade nur. Sie stand auf, fächerte sich mit Blättern Luft zu, konnte Frost keine Antwort liefern. Jane stolperte Richtung Tür, eine raue und kühle Stimme ließ sie innehalten: „Wo gedenken Sie hinzugehen, Misses...?" „Rizzoli, Sir", presste Jane hervor, „zur Toilette, Sir." Seine stahlblauen Augen durchdrangen Jane, sie fühlte sich augenblicklich nackt und bloßgestellt. Er trat nach vorne, stand nun nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt. Sie nahm wahr wie er einige Male tief ein- und ausatmete und dann die Liste vor sich studierte: „Janeeeeee." Alles in ihr erzitterte als sie ihren Namen aus seinem Mund, mit seiner Stimme betont, hörte. Es schüttelte sie und sie rannte einfach durch die Tür hinaus auf den Flur. Dort presste sie die Hände gegen ihre Oberschenkel, um sich selbst Halt zu geben, einige tiefe Atemzüge zu nehmen und dann Richtung Toiletten zu fliehen. Gerade als sie die Tür aufstieß, hörte sie ein lautes, gleichmäßiges Geräusch hinter sich, doch sie konnte diesem keine Beachtung schenken. Die Kabinentüren knallten hinter ihr zu, geräuschvoll verschloss sie die Tür, um sich kurz danach dagegen zu pressen und ihren Pulli über den Kopf zu reißen. Ihre Atmung beruhigte sich nicht und Jane japste unkontrolliert vor sich hin, rang nach Luft und ihrer Beherrschung. „Leg deine Hand auf deinen Bauch und atme kontrolliert dagegen. Lenke deinen Atem zum Bauch hin, Jane. Denk an etwas Schönes, beruhig dich und atme kontrolliert ein und aus", hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf sagen. Jane schluchzte verzweifelt auf, der Klang dieser Stimme in ihrer Nähe, sie schien schon zu halluzinieren. Der Luftmangel schien schon seinen Tribut zu zollen. „Mach die Tür auf, Jane! Ich helfe dir!", sagte die Stimme nun etwas energischer. Mit letzter Kraft öffnete Jane die Tür, vergaß eigentlich allein zu sein und nur mit Hose und BH bekleidet dazustehen und sank dann in die Arme einer Frau. Dieser einen Frau. Dieser Duft, diese Silhouette. Eine Hand legte sich auf Janes nackten Bauch, presste leicht gegen ihre Bauchmuskeln, die andere Hand strich dabei sanft über ihren Rücken: „Atme gegen meine Hand. Spürst du sie? Atme gegen meine Hand, Jane. Hörst du? Versuch dich darauf zu konzentrieren. Es spielt gerade nichts anderes eine Rolle."

Jane versuchte sich zu konzentrieren, sie versuchte es wirklich, doch anstatt sich zu beruhigen entwich ihr ein hysterisches Lachen. „Ve-r-sch-verschw-verschwinde", presste Jane hervor, „Du kannst nicht hier sein!" „Ich bin hier, du fühlst doch meine Hand, oder? Allein das sollte dir zeigen, dass ich kein Geist bin. Außerdem gibt es keine Geister, das weißt du doch wohl! Jane. Ich bin hier. ICH bin HIER, bei DIR! Ich...ich konnte nicht mit nach Italien, auch wenn ich es gewollt hätte, ich konnte nicht. Ich...schau mich an...", die Maura Halluzination leistete ganze Arbeit. Jane wollte lachen, verächtlich schnauben, doch sie entschied sich dazu, auf die Erscheinung vor sich zu hören. Sie hob langsam ihren Kopf, dabei fielen ihre lockigen Haare in ihr Gesicht, aber als sie in Mauras wunderschönen Augen blickte, normalisierte sich ihre Atmung. Maura strich ihr vorsichtig die Haare aus dem Gesicht und legte einen Finger unter ihr Kinn, damit Jane auch mit Sicherheit nicht wegeschaute, wenn sie diese Worte sagte. „Jane...ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll. Ich weiß nicht einmal, ob du das genau so siehst und vielleicht ist es sogar naiv von mir daran zu glauben, es zu hoffen....aber mit dir fühle ich mich frei, wundervoll, wunderschön und...geliebt zugleich...Ich... Jane...ich habe mich in dich verliebt, auch wenn ich nicht in der Position stehe, um solche Gefühle zuzulassen. Ich habe Familie, einen Mann und zwei wundervolle Kinder, aber ich kann nicht ignorieren, was ich in deiner Anwesenheit spüre und fühle. Was ich in deinen Augen sehe und was dein Blick, deine Berührungen in mir auslösen. Das ist etwas, was ich nie zuvor erfahren habe, erfahren durfte....", murmelte Maura. Jane schaute Maura sprachlos an, glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können. Offenbarte Maura ihr gerade ihre Gefühle? War Maura wirklich hier und nicht in Italien? Ihre Gedanken überschlugen sich, mit einer Hand hielt sie sich an Maura fest, um nicht wieder an der Tür hinunter zu rutschten. „Ich weiß, ich mute dir viel zu mit diesem Geständnis und ich kann verstehen wenn du es nicht erwiderst, immerhin bin ich auch um einiges älter, aber ich...", murmelte Maura verlegen. Jane zog Maura ruckartig an sich und unterbrach ihre Rede mit einem gefühlvollen und liebevollen Kuss. Nachdem Maura nach Atem rang, aus komplett anderen Gründen als zuvor Jane, erhob Jane ihre Stimme. Sie wirkte zerbrechlich, so kannte Jane sich selbst nicht, doch sie wusste Maura würde darin erkennen, wie sehr sie sie liebte: „Maa-aura. Das Alter spielt überhaupt keine Rolle und ich kann dir mit Sicherheit sagen, das was ich fühle ist echt. Alles was zwischen uns passiert ist, alles was noch passieren wird, ist echt. Maura...Ich...ich weiß du bist verheiratet und hast Kinder. Zwei wundervolle Kinder, die ich sehr in mein Herz geschlossen habe. Ich habe wirklich versucht meine Gefühle zu ignorieren, mich abzulenken, mir weiß zu machen, ich habe mich nicht in meine Dozentin und zugleich Chefin verliebt, aber ich bin es leid es zu versuchen. Ich bin es leid mir etwas einzureden was nicht wahr ist, Maura! Ich habe Gefühle für dich und das schon eine Weile und ich bin gottverdammt froh dich hier zu sehen. Ich weiß nicht wie ich die Zeit ohne dich durchgestanden hätte, du bist meine Stütze, meine...Zuflucht..."

Mauras Augen wurden wässrig und nach Janes letzten Worten entrannen ihren Augen zwei kleine, aber zuckersüße Tränen. Diese Worte von ihr zu hören, zu hören, dass Jane diese Gefühle wirklich erwiderte, machte sie unheimlich glücklich. Doch trotz allem fühlte sie tief in sich drinnen eine Leere, eine unbeschreibliche Leere. Sie konnte ihren Mann nicht betrügen, sie konnte nicht ihre Kinder und sich selbst belügen: „Jane. Ich...das, was auch immer das zwischen uns ist, kann so nicht weitergehen, dessen bist du dir bewusst, oder?" Die Worte rollten ihr nicht von der Zunge, sie lagen taub und leblos in ihrem Mund, wurden von keinerlei Wärme oder Überzeugung geprägt, so wie sie es eigentlich wollte. Jane blickte sie fassungslos an, was etwas in Maura zum Zerbrechen brachte. „Jane, nein! So ist das nicht gemeint. Ich möchte einfach vorher meine Verhältnisse klären, kannst du das verstehen? Ich möchte mit Ian reden, mit meinen Kindern. Ich muss Dinge regeln, das geht nicht so einfach. Ich bin kein junges Mädchen mehr, was keinerlei Verpflichtungen hat. Ich habe eine Familie, Kinder die auf mich angewiesen sind und einen Mann...einen Mann, dem ich vor einigen Jahren ein Eheversprechen gegeben habe...ich habe es schon gebrochen, Jane. Ich habe mein Versprechen in dem Moment gebrochen, als du durch die Tür in meinen Saal gestolpert bist. Ich habe es gebrochen in dem Moment, in dem sich unsere Augen trafen und erst Recht habe ich es gebrochen, als sich unsere Lippen das erste Mal berührten. Ich bereue keinen dieser Momente, Jane. Keinen. Ich liebe jeden dieser Momente, durchlebe sie immer wieder wenn ich dich sehe, oder wenn ich mich allein fühle und dann unwiderruflich an dich denken muss... Aber ich muss...ich muss das vorher regeln... Kannst du mir diese Zeit, dieses Verständnis geben?", stellte Maura klar und blickte die schwarzhaarige Frau erwartend an. Jane musterte Maura, prüfte innerlich den Wahrheitsgehalt dieser Worte. Einerseits erkannte sie hinter den Worten, wie ernst Maura es meinte und doch enttäuschte es sie. Es enttäuschte sie warten zu müssen, dass Maura verlangte, Jane warten zu lassen. Jane schaffte es kaum ihre Hände von ihr zu lassen...aber andererseits hatte Maura vollkommen Recht. Wieso dachte Jane immer wenn es Maura betraf so egoistisch? Jane hatte absolut kein Recht dazu, so etwas von Maura zu verlangen. Zu verlangen ihre Familie hinten anzustellen, sich aufopfernd für Jane zu entscheiden und einen splitternden Scherbenhaufen hinter sich zu lassen. Das konnte Jane nicht mal in Gedanken zulassen, sie dachte allein an Mattheo und Scarlett, diese zwei kleinen Menschen, die im Sturm ihr Herz erobert hatten und ihre eigene Familie. Sie wollte mit Maura eine Familie gründen, mit Mattheo und Scarlett. Sie wollte so vieles und sie wollte vor einem eines, nicht so sein wie ihr Vater Frank. Frank der Entscheidungen nicht akzeptieren konnte und sich Rechte herausnahm, die ihm nicht zustanden.

From Elephants and Tortoises (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt