58|CHAPTER FIFTY-EIGHT|Lias

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Wir hatten unsere Hoffnung bis zu Letzt bewahrt. Wir hatten gehofft, gebangt und zu den Göttern gebeten.
Und jetzt musste ich hier stehen, umgeben von den letzten Mitgliedern dieser Familie, und mir bewusst sein, dass Alexis nun von uns gegangen war.

Der Sonnenuntergang lag schon etwas zurück. Der Horizont wurde nur noch schwach von orangeroten Strahlen erhellt.
Das dunkle blau riss den Himmel immer mehr an sich und ließ diesen Tag ein Ende nehmen.

Das leise Schluchzen Mutters ließ mich die Augen für einen langen Moment schließen.

Ich saß mit dem Rücken an das Bettende gelehnt auf dem Boden. Ich hatte dieses Bild nicht länger ertragen, wie Mutter da neben dem Bett kniete, Vater neben ihr, der sie stützte und dabei versuchte seine eigene Trauer um den Verlust unter Kontrolle zu halten.

Collin war ebenfalls bei ihnen, hielt den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen, während sich Noah zu mir begeben hatte und seinen Kopf mit den Händen stützte. Seine Wangen und insbesondere seine Augen waren von den Tränen gezeichnet. Noch immer kamen ihm ein paar über die Wangen, die er auch gar nicht erst versuchte zu unterdrücken.
Wir wussten alle was hier zu Sonnenhoch passiert war, aber wollte es keiner von uns verstehen, geschweige denn realisieren.

Lexis konnte nicht tot sein. Sie war nicht tot.
Das sagte ich mir die ganze Zeit, unentwegt und immer und immer wieder.
Die Erkenntnis aber war kälter und gnadenloser als man vielleicht annehmen wollte.
Wir hatten heute Alexis verloren.
Wir hatten sie an die Götter und an unsere Ahnen verloren.

Vielleicht sah sie in diesem Moment zu.
Mir war es egal.
Ich wollte sie zurück.
Ich wollte meine kleine Schwester zurück.

Als ich die Augen wieder aufschlug lehnte ich mich mit dem Hinterkopf gegen das Holz des Bettes.
„Du bist ja fast schon wie Vater!" Ihre kindliche Stimme hallte fast als fernes Echo in meinen Erinnerungen wider. Und doch zuckte mein Mundwinkel für den Bruchteil eines Augenblicks hoch.
Ich würde mich an jede Erinnerung klammern, nicht zulassen, dass sie mir entglitten.

Meine Augen richteten sich auf die geschlossene Tür, vor der sich Kohr niedergelassen hatte.

Wir hatten ihm nicht verboten sich hier drinnen aufzuhalten. Im Gegenteil. Er sollte ebenso trauern können wie wir.
Aber anstatt, dass er hier war, bei seiner ältesten Freundin, saß er dort hinten, allein und zusammengekauert wie ein verängstigtes Kind.
Ich hatte den Heerführer noch nie so erleben dürfen.
Er hielt alles unter Verschluss, zeigte niemandem was ihn ihm vor sich ging, es sei denn er vertraute seinem Gegenüber und wollte es so.
Ich hatte ihn auch noch nie so niedergeschlagen, so in den Boden getrampelt gesehen wie heute.
Es nahm ganz neue Ausmaße an.

„Das ist alles nur ein schlechter Traum. Wir träumen und morgen ist es schon wieder vergessen.", sprach Nico leise neben mir her und atmete dann tief ein.
Ich reagierte darauf nicht, behielt ihm stattdessen schweigend im Auge.
Er hatte es auch damals nach Hiras Tod gemacht. Es schien als würde es ihm irgendwie helfen mit sowas besser klarzukommen.
In den nächsten Tagen würde er sich dann von uns abschotten, und ich würde versuchen ihn dazu bewegen sich wieder zu uns zu begeben, um wenigstens bei der Beerdigung dabei zu sein.
Ein Gedanke der mir nicht in den Kopf sollte.

Wir hatten heute unsere jüngste Schwester verloren, Mutter und Vater ihre letzte Tochter und das Volk ihre Thronerbin.

Mit ihrem Tod war ich nun auch dazu verpflichtete den Thron zu erben.
Die Thronerbin war heute gestorben und hinterließ damit ein klaffendes Loch bei den Hinterbliebenen.
Sie war noch so jung gewesen, hatte noch das gesamte Leben vor sich gehabt. Sie hatte ja nicht einmal die Stadt richtig erkunden können.
Sie war gestorben, ohne zu wissen wie ihre Heimatsstadt eigentlich aussah. Sie war von uns gegangen, ohne ihr Element richtig kennenzulernen.
Stattdessen hatte sie dieselbe Krankheit aufgefressen wie schon jeden anderen Feuerbändiger vor ihr.
Selbst Ashen war ihr damals erlegen.
Diese Krankheit war uralt, aber gleichzeitig so selten, dass man nie eine Heilung gegen sie finden konnte.
Sie ließ einem einfach zu wenig Zeit.

Ich hatte sie für mich selbst den eiskalten Atem getauft. Ein spontaner Einfall der mir in diesem Moment auf einmal sehr passend vorgekommen war.
Jegliche Wärme war ihr sehr schnell entwichen, ihre Haut hatte fast gänzlich an Farbe verloren, sodass sie fast weiß war, ihr Feuer war erloschen und mit ihm auch das Leben in ihr.

Mein Blick glitt wieder zu Kohr.

Er saß in Hemd und Hose da, hatte die Rüstung abgelegt als er kurz verschwunden war, bevor er wieder hier auftauchte, um mit uns zu trauern.

Er hatte die Arme über seine Knie gelegt und den Kopf auf darauf gestützt. Seine Augen lagen auf seiner alten Freundin. Er schien als wäre er in Trance, oder so in Erinnerungen oder der Trauer versunken, dass er die Welt um sich vergaß.

Die Totenwache war ein großes Ritual. Jeder der mit dem Toten in engerer Verbindung gestanden hatte, musste bis zum nächsten Morgen bei ihr wache halten, damit ihre Seele ungestört zu den Göttern aufsteigen konnte.

Das Volk würde morgen die Gelegenheit bekommen sich von ihr zu verabschieden. Wir hatten die Boten bereits mit der Nachricht ihres Todes losgeschickt.
Etwas, das wir lieber nicht getan hätten, aber sein musste.

Morgen würde Alexis in die große Kirche an der Schlucht gebracht werden, wo der Wind vom Meer aus ungebremst über das kurze Gras fuhr.

Sie würden sich dort verabschieden können, bevor am nächsten Tag die Beerdigung stattfinden würde.
Ein langer Zug durch die Straßen der Stadt, hin bis zu dem Friedhof, an dem die Mitglieder der Königsfamilien bestattet wurden.
Der Gedanke trieb mir die Tränen noch aggressiver in die Augen.

„Warum habt ihr mir sie genommen!" Bei der Lauten Stimme zuckten Nico und ich ungewollt zusammen. Doch drehte ich mich nicht um.
Mutter hatte angefangen lautstark ihre Trauer rauszulassen, ihre Wut gegen die Götter, die sie viel zu früh zu sich geholt hatten.
„Wieso habt ihr mir meine letzte Tochter genommen? Was habe ich euch getan?"
„Clea ...", hörte ich Vaters leise Stimme, wie er begann zu versuchen sie zu beruhigen.
„Sie haben uns unsere Tochter genommen Ulysees, s-sie haben sie uns genommen ..." Vater antwortete nicht. Es hätte auch nicht gegeben was er hätte sagen können, ohne Mutter noch weiter in die Verzweiflung zu jagen.

„Sie war noch so jung ..." Ihre Stimme zitterte stark, sie war von Tränen erstickt.
„Sie war erst sechzehn!", rief Clea auf einmal aus und ließ uns damit ein weiteres Mal zusammenzucken.

Ich hörte das wilde Rascheln von Kleidern und drehte den Kopf dann doch hinter mich, und sah wie Vater sie ganz fest von hinten in seine Arme schloss und partout nicht mehr losließ. Sie wollte sich befreien, brach dann aber in seinem Griff zusammen und begann bitterlich zu weinen.

Zaor müsste ihr wie auch damals nach Hiras Tod etwas geben, damit sie schlief, bevor sie wieder nächtelang nicht schlafen würde.

Ich konnte mich an die Zeit damals erinnern.

Sie war hart gewesen, unheimlich hart und kräftezehrend, besonders da Alexis keine Ruhe mehr gefunden hatte.
Sie hatte damals alle Hilfen von Zaor abgelehnt, hatte sich in ihrem Zimmer verkrochen. Es hatte an ein Wunder gegrenzt, dass sie mich noch zu sich gelassen hatte.
Ich war froh über unsere enge Bindung gewesen.
Jetzt aber war all das vorbei.
Ich würde nie wieder mit ihr reden können.
Ich würde nie dazu kommen ihr die Stadt zu zeigen, würde ihr nie beim Training helfen können.
Ich würde sie auch nie wiedersehen.
Nein.
Diese Zeit hatte heute ein Ende gefunden.
Sie wurde uns aus den Händen gerissen, von einer Krankheit, so selten wie das Feuer selbst.
Ab heute nach würde ein weiterer Stern am Himmel scheinen, sich zu all den anderen Seelen dort oben gesellen, um mit ihnen gemeinsam über uns Verbliebende zu wachen.
Denn sie würde ich nicht allein lassen.
Nicht einmal dort oben.

Und damit ist die Lesenacht auch schon wieder vorbei.
Wir sehen uns dann im nächsten Kapitel

xoxo
Ash

Legend ~ High Queen {Band I}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt