Kapitel 43

126 4 1
                                    

Carolines Sicht:
Roman hat das ganze Wochenende versucht, mich zu erreichen. Aber ich bin nicht darauf eingegangen. Ich hab das ständige Klingeln meines Handys durch Stummschalten ersetzt, hab seine Nachrichten still und heimlich gelesen, ohne zu antworten. Es wollte einfach nicht aufhören, wehzutun. Es wollte nicht aufhören, in meinem Kopf rumzugeistern. Jedes Mal, wenn ich an Roman gedacht habe, hallten nichts als seine Schreie in meinem Kopf. Ich sah nur sein wutentbranntes Gesicht vor mir. Da war nichts mehr von dem süßen Lächeln, in das ich mich verliebt hatte. Da war nur noch der Teufel in Roman...
Als Roman vorbeikam, um mein Kleid abzugeben, hab ich mich im Zimmer eingesperrt. Ich wollte und konnte ihm einfach nicht begegnen. Stattdessen hab ich Leni angerufen und stundenlang mit ihr telefoniert. Wir haben über Gott und die Welt geredet, bloß nicht über Roman. Das konnte ich nicht.
Heute ist der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. Es sind tatsächlich schon wieder fast zwei Monate vergangen. Wahrscheinlich war es die beste Zeit meines Lebens und wahrscheinlich wird das auch immer so bleiben.
Sobald ich den Klassenraum betrete, fällt mir auf, dass etwas anders ist. Ich kann nur nicht sagen, was es ist. Es ist merkwürdig... Dann wird es mir bewusst. Roman sitzt nicht auf seinem Platz - das kommt selten vor.
„Hey, hast du Roman heute schon gesehen?", frage ich Leni. Ich sollte doch mal mit ihm reden...
„Nein, aber ich soll dir sagen, dass du mal in deinen Spind gucken sollst. Wieso hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass ihr Str...", ihre Stimme wird immer leiser, denn ich bin schon auf dem Weg zu meinem Spind.
Ich gebe den Code ein und reiße die Tür fast raus vor Eile. Im Spind liegt eine rosafarbene Rose mit einem Brief. Ich nehme beides raus und schließe die Spindtür vorsichtig. Man könnte meinen, ich sei gerade ausgewechselt worden - so ruhig bin ich auf einmal. Die Schulklingel ertönt und ich gehe zurück in die Klasse. Drei Stunden lang liegen sowohl die Rose als auch der Brief auf meinem Tisch. Drei Stunden lang höre ich meiner Klassenlehrerin zu und warte eigentlich nur darauf, nach Hause gehen zu dürfen und den Brief zu lesen. Drei Stunden lang liegen neugierige Blicke auf mir und dem Brief. Neugierige Blicke meiner Klassenkameraden, die endlich mal mehr in mir sehen als eine krebskranke Siebzehnjährige. Und neugierige Blicke meiner besten Freundin, die ich auch noch auf den neusten Stand bringen muss. Wann ist mein Leben so interessant geworden? War ich schon vor dem Krebs und vor Roman so interessant für andere? Eigentlich nicht...

The Destiny in your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt