Kapitel 15

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Unruhig wälze ich mich hin und her. Eine zähe Dunkelheit umgibt mich und ich bin mir nicht sicher, ob ich wach bin oder schlafe. Irgendwie schwebe ich grade dazwischen, jedoch mit der Gewissheit, dass auch nur die kleinste falsche Bewegung mich in eine unendliche Tiefe stürzen lassen wird. Und ohne es benennen zu können, weiß ich auch, dass da etwas ist in meiner unmittelbaren Nähe. Etwas, dass in mir ein eiskaltes Gefühl der Angst aufkommen lässt.

Ich werfe den Kopf herum, doch ich kann nicht erkennen, was um mich herum ist – lediglich ein wirres Durcheinander aus Schatten tanzt in bizarren Gestalten hinter meinen Augenlidern. Trotzdem fühle ich, wie dieses bedrohliche Etwas plötzlich näher kommt. Zwar nur ganz langsam, doch je näher es kommt, desto intensiver wird die Angst und verwandelt sich schließlich in nackte Panik. Ohne groß nachzudenken, wirble ich herum und versuche, vor diesem Etwas wegzulaufen. Aber mit Entsetzen stelle ich fest, dass ich meine Füße kaum bewegen kann. Es ist, als versuche ich, durch eine zähe Masse zu waten, die mit jedem Schritt mehr Widerstand gibt. Was dazu führt, dass die Panik in mir immer weiter steigt und ich umso mehr versuche, meine Beine zu bewegen. Ein Kreislauf, aus dem ich nicht mehr herauskomme.

Plötzlich höre ich einen hohen, durchdringenden Ton. Ich weiß nicht, ob er Realität ist, oder ob ich ihn nur in meinem Kopf höre, aber er wird immer lauter und schriller, mit jeder Sekunde. Als es kaum noch auszuhalten ist, presse ich mir die Hände auf die Ohren, doch es bringt nichts. Es ist nach wie vor so laut, dass es mich beinahe in die Knie zwingt.

Und dann spüre ich, wie ich den Halt verliere und falle und ein fieses Gefühl lässt in mir die Annahme entstehen, dass meine Innereien sich irgendwie selbstständig machen.

Im nächsten Moment durchfährt mich ein Zucken von der Brust bis zu den Zehen und ich schrecke hoch.

Immer noch mit leichtem Unbehagen schlage ich die Augen auf und blinzle. Sanftes Morgenlicht fällt durch das Fenster herein und bildet einen angenehmen Kontrast zu den Schatten aus meinem Traum, dennoch kann es sie nicht ganz vertreiben. Ein Blick durch das Zimmer verstärkt meine Unruhe auch sogleich. Meine Mitbewohnerinnen regen sich verschlafen in ihren Betten, recken die Köpfe und sehen sich verwirrt um. Louisa neben mir sitzt kerzengrade im Bett, genau wie ich. Was ist...?

Erst nach ein paar Sekunden fällt mir auf, dass der hohe Ton aus meinem Traum immer noch zu hören ist. Dieses schrille Geräusch hat etwas Verzweifeltes, über alle Maßen Entsetztes an sich, was in mir wieder ein unerklärliches Gefühl der Angst auslöst. Fast im selben Moment macht es Klick:

Ein Schrei gellt durch das Schloss. Klar und deutlich dringt er nun an meine Ohren und wieder durchzuckt es mich eiskalt.

„Was war denn das?", wispert Louisa, als das Geräusch verklingt und in ihren Augen erkenne ich das gleiche Unbehagen. Ich zucke die Schultern und angle mir mein Handy vom Nachttisch. Wir haben fast halb sieben – in einer halben Stunde hätte mein Wecker geklingelt. Mit gerunzelter Stirn frage ich mich, wer denn so früh schon wach sein könnte, geschweige denn, was denjenigen dazu veranlassen könnte, in aller Herrgottsfrühe so laut zu schreien.

Gleichzeitig ist da jedoch etwas tief in mir. Etwas, das sich hartnäckig weigert, zum Vorschein zu kommen, von dem ich aber eigentlich wissen müsste, was es zu bedeuten hat. Und das verstärkt meine Unruhe noch mehr.

Eine Sekunde später hören wir einen weiteren Schrei – und plötzlich durchzuckt mich die Erkenntnis wie ein Stromschlag und Louisa und ich sehen uns an.

Fast gleichzeitig springen wir aus unseren Betten und auch die anderen machen sich daran, sich notdürftig ein paar Sachen überzustreifen. Wenig später hasten wir alle auf den Flur. Aus den anderen Zimmern sind ebenfalls Geräusche zu hören und einige Mädchen strecken die Köpfe nach draußen. Andere sind, genau wie wir, auf dem Weg zur Treppe. Einen dritten Schrei haben wir nicht gehört, aber wir sind uns auch so alle sicher, woher die Stimme kam. Eilig rennen wir die Stufen nach unten ins Erdgeschoss.

WOLVES - the lies we use to tell || BAND 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt