Zwei Jahre zuvor
Nach unserem gemeinsamen Nachmittag hatte ich bereits mit einer gewissen Enttäuschung erwartet, dass aus einem Treffen mit Alex nichts mehr werden würde, zumal er dieses Thema in unserer Pausenrunde nie ansprach.
Aber im Nachhinein betrachtet wäre es mir glaube ich auch etwas unangenehm gewesen, wenn er das getan hätte - Lina und Lou hätten mir dazu nämlich mit Sicherheit Löcher in den Bauch gefragt. Die zwei warfen sich sowieso schon vielsagende Blicke zu, wenn Alex in unsere Nähe kam. Dass ich ihre Spekulationen noch weiter anheizte, indem ich ihnen erzählte, dass ich mit Alex einen Nachmittag lang allein unterwegs gewesen war, wir uns danach lange unterhalten hatten und er mich dann noch nach einem Treffen gefragt hatte, wollte ich daher tunlichst vermeiden.
Da sich in den kommenden zwei Wochen auch sonst kein richtiges Gespräch mehr mit Alex ergab, war ich folglich extrem überrascht, als er mich an einem Freitagnachmittag auf dem Gang ansprach und mich fragte, ob ich am nächsten Tag Lust hätte, ihn zu besuchen. Ziemlich überrumpelt brauchte ich erstmal eine Weile, um mich zu sortieren, bevor ich dann endlich zusagte.
Nun stand ich also pünktlich um drei mit meiner Geige auf dem Rücken und einem Stapel Notenhefte unter dem Arm vor der Tür eines riesigen Einfamilienhauses, das es meiner Meinung nach mit einer echten Villa aufnehmen konnte.
Allein der tadellos gepflegte, mit einem weißen Zaun eingegrenzte Vorgarten sah aus, als sei er aus einer dieser schicken Gartenzeitschriften original hier rein kopiert worden. Was auch immer Alex' Mutter neben dem Anwaltsberuf für Hobbies pflegte - Gärtnern gehörte mit ziemlicher Sicherheit dazu. Es sei denn, sie beschäftigten so ganz nebenbei noch einen Gärtner; das konnte ich mir durchaus vorstellen.
Das dunkelrote Dach hob sich nur allzu deutlich von der makellos weißen Fassade des Hauses ab und der Kiesweg, der von dem hübsch verschnörkelten Gartentörchen zur Haustür führte, wirkte, als sei er soeben frisch geharkt worden.
All das wirkte innerhalb der ersten paar Minuten auf mich ein und ich konnte nicht verhindern, dass ich mich mit jeder Sekunde mehr fühlte, wie ein Eindringling, dem es eigentlich nicht erlaubt war, mit seinen roten Chucks in dieses schicke Haus zu trampeln. Und das, obwohl alles hier eigentlich einen recht wohnlichen Eindruck machte und ganz und gar nicht so steril wirkte, wie man sich die Häuser von offensichtlich gut betuchten Leuten sonst vorstellte.
Jetzt mach' dir nicht ins Hemd, Mirjam!, dachte ich deshalb und schluckte meine Zweifel runter. Alex hat dich eingeladen - er wird schon seine Gründe haben.
Also wandte ich mich der Tür zu und drückte mehr oder weniger entschlossen auf den Klingelknopf.
Es dauerte einen Moment, bis ich Schritte im Hausflur hörte und mir jemand öffnete. Ein Junge mit schwarzen Haaren und blauen Augen stand mir gegenüber in der Tür - und ich brauchte erstmal ein paar Sekunden und noch zwei eingehendere Blicke, bis ich erkannte, dass das gar nicht Alex war. Auch, wenn das freundliche Lächeln, mit dem er mich empfing, dem von Alex deutlich ähnelte.
„Hey", sagte mein Gegenüber und musterte mich. „Du bist bestimmt Alex' Besuch für heute Nachmittag, oder?"
Ich erwiderte seinen Blick mit einem unsicheren Lächeln und räusperte mich.
„Ähm, ja, ich bin Mirjam. Alex meinte, ich soll um drei Uhr hier sein. Ist er da?"
Blöde Frage, dachte ich gleich darauf. Natürlich ist er da, sonst hätte er mich sicher nicht eingeladen. Der Junge grinste.
„Ja, er ist oben in seinem Zimmer. Aber komm doch erstmal rein." Er öffnete die Tür ganz und machte mir Platz, sodass ich in den Hausflur gehen konnte.
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WOLVES - the lies we use to tell || BAND 1
HorrorBAND 1 der "WOLVES"-Trilogie _________________________________________ Vier Schulklassen. Eine Abschlussfahrt. Ein prunkvolles Schloss im Schwarzwald. Und ein Spiel, das schon bald tödlicher Ernst wird... Ein bekanntes Partyspiel im Großformat - mi...