WOLVES - the lies we use to tell || BAND 1

Kapitel 26

Ich weiß nicht, ob ich die Einzige bin, aber ich persönlich habe schon ein paarmal erlebt, dass man kurz vorm Aufstehen am allerschönsten schläft. Es passiert nicht häufig, aber wenn, dann ist es so entspannend, dass man am liebsten bis in alle Ewigkeit in diesem Zustand verweilen möchte. Man träumt Träume, die man sonst nie träumt – schöne Träume, die einen alles um sich herum vergessen lassen; oder man schläft plötzlich so tief, dass man das Gefühl hat, man wacht nie wieder auf.

In genau so einem Zustand befand ich mich heute Morgen, kurz bevor mein Wecker klingelte. Es war befreiend, leicht und schön und als ich aufgewacht bin, hatte ich zunächst Angst, dass sich dieses Gefühl sofort verflüchtigen würde. Aber es war geblieben und ich bin mir sicher, dass der Zustand in dem ich mich befunden habe, nicht der einzige Grund dafür ist.

Meine Laune ist an diesem Morgen tatsächlich so gut, wie schon lange nicht mehr. All die Gedanken und Ereignisse, die mich bedrückt haben, sind mit einem Mal wie weggefegt. Oder sie haben sich zumindest so weit entfernt, dass sie sich nicht pausenlos in mein Bewusstsein drängeln und mich runterziehen. Lächelnd stehe ich auf und stelle gleichzeitig fest, wie lange es her ist, dass ich ohne einen ersichtlichen Grund gelächelt habe. Fast schon eine Ewigkeit. Dass meine Mundwinkel nach all der Zeit überhaupt noch wissen, wie das geht, ist mir ein Rätsel und nur, um ganz sicher zu gehen, dass das grade kein Zufall war, versuche ich es gleich noch einmal. Und es klappt schon viel besser.

Während ich mich fertig mache, begegne ich immer wieder Louisas Blick. Auch sie lächelt beinahe ohne Unterlass und ihre Augen leuchten. Sie scheint sich wirklich mit mir zu freuen und das macht mich noch glücklicher. Ich weiß, dass sie vollkommen hinter mir steht. Nicht, dass ich das nicht schon vorher gewusst hätte, doch nun wird mir einmal mehr bewusst, warum sie meine beste Freundin ist. Louisa hat die ganze Zeit mit mir mitgefühlt und mir beigestanden, als alles aussichtslos schien. Ich konnte mich hundertprozentig auf sie verlassen. Genauso, wie auf Jolina. Ohne die beiden hätte ich das alles nicht halb so gut durchstehen können.

Als ich zu Jolina schaue bemerke ich, dass auch sie mich beobachtet, doch im Gegensatz zu Louisa scheint sie irgendwas zu beschäftigen. Nachdenklich runzle ich die Stirn. Seit gestern ist sie so merkwürdig drauf, sieht mich immer mit diesem unsicheren Ausdruck im Gesicht an.

Leise seufzend wende ich den Blick ab. Das Verhältnis meiner beiden Freundinnen hat sich nach meiner Nachricht von gestern Abend meinem Gefühl nach noch verschlimmert. Hat es am Ende wirklich etwas mit mir zu tun? Oder vielleicht, wie mir in diesem Moment durch den Kopf schießt, mit Alex und mir?

Wie dem auch sei. Ich zucke die Schultern und beginne, mich wieder anderen Dingen zu widmen. Ich hoffe jedenfalls, ich werde es irgendwann erfahren.

Als es an der Zeit ist, zum Frühstück zu gehen, machen wir drei Mädels uns auf den Weg zum Speisesaal. Während wir die Treppen nach unten gehen schweifen meine Gedanken zum Spiel und ich bin erleichtert, dass wir, wenn schon nicht bei der Dorfversammlung (die ich wie durch ein Wunder mit meiner in Watte gepackten Wahrnehmung doch ein wenig mitverfolgen konnte), so zumindest in der letzten Nacht noch den Richtigen erwischt haben. Alex hatte sich mit ein paar anderen Wölfen darum gekümmert und da Paul schon vorher einige im Verdacht hatten, war es nicht schwer gewesen, den Rest zu überzeugen. Ich muss grinsen. Ich weiß absolut nicht, wie es kommt, aber irgendwie scheint es, als müsste ich Alex' Namen nur denken und schon hängen meine Gedanken ausnahmslos bei ihm. Es scheint wirklich, als seien all meine Probleme in weite Ferne katapultiert worden, seit wir uns ausgesprochen haben.

Ich atme durch. Vielleicht wird das heute ja endlich mal ein ganz normaler Tag, so wie er auf einer Klassenfahrt sein sollte.

Kaum, dass ich das gedacht habe, knalle ich in Jolina rein, die vor mir auf der Treppe plötzlich stehen bleibt.