Kapitel 8

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Ohne auf irgendetwas oder -jemanden zu achten, rennen wir alle in halsbrecherischem Tempo die Treppen zum Foyer nach unten und raus auf den Hof. Während wir zu elft über das Kopfsteinpflaster rennen, hat mein Hirn immer noch Schwierigkeiten, das zu verarbeiten, was ich grade mit eigenen Augen gesehen habe. Und ich kann den anderen an der Nasenspitze ansehen, dass es ihnen ebenso geht. Wie konnte das bloß passieren? Doch in mir drin herrscht immer noch eine alles lähmende Kälte, die es mir unmöglich macht, dieser Frage weiter nachzugehen.

Wenig später befinden wir uns direkt unterhalb des Fensters von Zimmer 34 – und bleiben einmal mehr schockiert stehen.

Das kann nicht sein, schießt es mir durch den Kopf. Was soll das alles? Die anderen sehen sich ebenfalls ratlos und mittlerweile regelrecht verstört um, doch niemand hat nun noch eine Antwort auf das, was hier vor sich geht.

Denn da ist niemand mehr.

Dort auf den Steinen, wo vorhin noch Vivians Körper lag, ist lediglich ein unverkennbarer dunkler Fleck zu sehen.

„Wo ist sie hin?", fragt Nele schließlich weinerlich und starrt wie paralysiert auf den Blutfleck zu unseren Füßen.

„Weg", flüstert Michelle und ihre Unterlippe bebt verdächtig. „Sie ist einfach weg!"

„Was ist denn überhaupt passiert, Michelle?", fragt Jolina leise und streicht Michelle beruhigend über den Arm. Dabei kann sie noch nicht mal das Zittern ihrer eigenen Hände kontrollieren.

„Ich...ich weiß es nicht" Michelle fährt sich durch die Haare. „Ich bin aufgestanden, hab das Fenster zum Lüften aufgemacht und dann...dann...dann hab ich sie da liegen sehen." Sie schüttelt sich. Jolina legt tröstend einen Arm um sie und mustert die anderen vier. „Und ihr wisst auch nichts?"

Mattes Kopfschütteln ist die Antwort. „Wir sind erst durch Michelle darauf aufmerksam geworden", erklärt Emma.

Nachdenklich nickt Jolina. Nach ein paar Sekunden kniet Louisa sich zaghaft neben die Stelle, wo Vivian gelegen hat und betastet mit einer Hand das Kopfsteinpflaster.

„Es ist noch warm", stellt sie fest und zieht die Hand schnell wieder zurück, als hätte sie sich verbrannt. „So, als hätte sie grade noch dort gelegen."

„Hat sie doch auch!", zischt Hannah. „Wir haben sie doch alle gesehen, oder? Wir haben uns das nicht eingebildet."

„Aber, wenn sie nun...vielleicht doch nicht tot ist?", fragt Louisa zögernd und wirft einen Blick in die Runde. „Wenn sie einfach aufgestanden ist und sich irgendwo anders hingeschleppt hat?"

„Nein!", meldet sich Michelle da mit überraschend fester Stimme. „Sie war tot, da bin ich mir sicher. Einen Sturz aus der Höhe kann man nicht überleben." Sie deutet zu dem Fenster über uns.

Das glaube ich allerdings auch. Dieser Blutfleck sagt in meinen Augen alles. Aber wo zum Henker ist Vivian dann?!

In diesem Moment hören wir Schritte hinter uns und fahren herum. Die beiden Mädchen aus der 10b, die vorhin auch in Vivians Zimmer waren, sind wieder da, nun mit einer leicht genervten Frau Weiland im Schlepptau. Bei ihrem Anblick macht sich ein wenig Erleichterung in mir breit.

„Also, was ist hier los?", fragt sie und wirft einen skeptischen Blick in die Runde. „Jemand ist aus einem Fenster im zweiten Stock gestürzt, wurde mir erzählt."

Wir alle nicken einstimmig.

„Ja, wir haben Vivian heute Morgen hier gefunden", erklärt Hannah hastig. „So, wie das aussah, muss sie hier runtergefallen sein."

Frau Weiland zieht eine Augenbraue hoch und sieht sich im Innenhof um. „Und – wo ist sie jetzt?"

„Das...das wissen wir auch nicht", erwidert Hannah. „Wir haben sie von unserem Zimmerfenster aus ganz eindeutig da liegen sehen, aber als wir runterkamen, war sie weg."

WOLVES - the lies we use to tell || BAND 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt