Kapitel 7

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Pünktlich um sieben werde ich von meinem Handywecker aus dem Schlaf gerissen und öffne die Augen. Die Sonne wirft ein unwirkliches Licht durchs Fenster und zuerst weiß ich überhaupt nicht, wo ich mich befinde; erst, als ich die anderen Betten sehe, in denen sich ebenfalls etwas bewegt, sickern die Ereignisse des gestrigen Tages und der letzten Nacht in mein Bewusstsein: Das Schloss, die Klassenfahrt, unser Spiel. Ich seufze und setze mich schwerfällig auf, die Decke fest um mich gewickelt. Aus dem Bett links von mir flüstert Louisa mir hinter einem Buch hervor ein „guten Morgen" zu, dann legt sie es zur Seite, um aufzustehen. Ich hingegen brauche noch ein Weilchen, um richtig wach zu werden und stütze den Kopf auf die Knie.

Das Gefühl, das in meinen Gliedern sitzt, ist eigenartig. Es ist, als wäre ich aus einem Alptraum erwacht, in dem ich vor irgendwas auf der Flucht gewesen und nur ganz knapp dem Tod entronnen wäre. Und das, obwohl ich mich an keinen einzigen Traum erinnern kann. Aber im nächsten Moment muss ich auch schon an den gestrigen Abend denken und mein Hirn entwickelt zumindest eine ungefähre Ahnung, warum ich so komisch drauf bin:

Die Begegnung mit meinem Verliebten.

Mit neu erwachender Fassungslosigkeit stoße ich einen tiefen Seufzer aus. Als ich gestern Abend unter der Treppe der Person gegenüberstand, mit der ich nun für die kommende Woche zusammenarbeiten soll, war ich erstmal schlichtweg sprachlos gewesen. Ich war mir ziemlich sicher gewesen, im falschen Film gelandet zu sein oder in einem schlechten Traum, anders konnte ich mir das nicht erklären. Doch diese Annahme wurde augenblicklich durch die Tatsache zunichte gemacht, dass auch mein Gegenüber einen roten Zettel bei sich hatte, den gleichen, der auch mich an diesen Ort beordert hatte: Die Situation war real. So verdammt real, dass es mir sogleich einen schmerzhaften Stich versetzt hatte. Und leider, so fürchte ich, gibt es auch jetzt keinen Zweifel – Alex ist mein Partner.

Wütend schüttle ich den Kopf. Wieso musste ausgerechnet er dort aufkreuzen? Er war wirklich der Letzte an den ich gedacht hatte! Was zum Kuckuck soll das?! Nun ja, ob ich das erfahren werde, ist eigentlich egal, aber eins soll mal gesagt sein: Sollte ich jemals herausfinden, wer Amor ist, wird dieser Jemand sein blaues Wunder erleben.

Keine Ahnung, wie ich nach diesem Schock die Nacht überstanden habe. Geschlafen habe ich nämlich kaum, die Gedanken in meinem Kopf waren zu einnehmend, als das ich sie irgendwie hätte abstellen können. Selbst mein kleiner Ausflug zu den Werwölfen – meine erste Spielnacht – habe ich mir dadurch vermiesen lassen.

Wieder kann ich mir ein frustriertes Seufzen nicht verkneifen – womit ich mir natürlich postwendend forschende Blicke von Louisa und Jolina einhandle. Ich verdrehe die Augen und wende mich ab. So gerne ich ihnen auch alles erzählen würde – ich darf nicht. Die Regeln verbieten es. Der Einzige, dem ich mich anvertrauen darf ist ironischerweise Alex. Es ist zum Heulen!

Was soll ich denn jetzt machen? Mich in mein Schicksal ergeben und mit Alex zusammenarbeiten? Niemals! Eher springe ich von der Schlossmauer.

Aufgebracht atme ich tief ein und aus und kann nicht verhindern, dass sich bei dem Gedanken an die kommende Woche ein regelrecht beklemmendes Gefühl in meiner Brust breitmacht. Es mag sich albern anhören, aber ich habe Angst. Angst davor, dass allein seine Anwesenheit meine halbwegs aufgebaute Selbstbeherrschung wieder zum Einsturz bringen wird. Alex zu sehen ist grade das, was ich nicht ertragen kann. Wenn ich ihn sehe, sehe ich Erinnerungen und die kann ich absolut nicht gebrauchen. Es reicht mir vollkommen, dass mir schon dieser Vorfall vor vier Wochen den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

Ich hatte so gehofft, auf dieser Klassenfahrt den ganzen Mist mal vergessen zu können, von der Sache mit Alex endlich Abstand zu gewinnen. Und jetzt bin ich ihm doch so nah, wie seit Wochen nicht mehr.

WOLVES - the lies we use to tell || BAND 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt