Kapitel 13

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Zwei Jahre zuvor

Es war der erste Schultag nach den Osterferien. Auf dem Schulhof war es voll wie immer, sodass man hätte meinen können, die Ferien hätte es überhaupt nicht gegeben, sondern es hätte lediglich jemand auf die Pausentaste gedrückt und alles eingefroren. Als ich mein Fahrrad grade an seinem gewohnten Platz abgeschlossen hatte, wurde ich sogleich lautstark begrüßt. Ein Aufschrei drang von der gegenüberliegenden Ecke an meine Ohren und gleich darauf stürmte Louisa auf mich zu und warf mir ihre Arme mit solcher Wucht um den Hals, dass ich aufpassen musste, nicht nach hinten zu kippen.

„Da bist du ja endlich! Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich dich vermisst hab", nuschelte sie in meine Schulter und ich schlang lachend meine Arme um sie.

„Ich freu' mich auch, dich zu sehen, Lou", versicherte ich ihr leicht nach Atem ringend. Bevor sie mich jedoch vollends zerquetschen konnte, meldete sich eine andere Stimme zu Wort.

„Hey, Lou, lass mir auch noch was von ihr übrig!"

Kichernd befreite ich mich aus Louisas Schraubstockgriff und nahm nun Jolina ins Visier. Sie war kaum wiederzuerkennen mit ihren von der Sonne gebleichten Haaren und der braunen Haut. Als ich in ihr Gesicht sah, lächelte sie und streckte die Arme aus, um mich ebenfalls an sich zu drücken.

„Also", sagte ich schließlich und sah die beiden neugierig an. „Dann lasst mal hören, wie waren eure Ferien?"

Louisa ließ sich die Frage nicht zweimal stellen und schwärmte in den höchsten Tönen von ihrem Familienurlaub in Bayern. Ich hörte ihr lächelnd zu, doch Jolina seufzte nur tief. Als ich mich daraufhin fragend zu ihr umdrehte, wandte sie sich schnell ab. Mir entging nicht, dass ihr Blick ein wenig trüber aussah, als vor ein paar Sekunden noch.

Louisa schien davon nichts zu bemerken, sondern plapperte munter weiter. Als sie ihren Bericht beendet hatte, blickte sie zufrieden in die Runde.

„Und, Lina? Wo warst du in den Ferien? So, wie du aussiehst, muss es dort ja sehr warm gewesen sein."

Jolinas Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Der trübe Ausdruck verschwand dabei jedoch nicht aus ihren Augen.

„Ich war mit meinen Eltern in Italien.", erklärte sie und zuckte mit den Schultern. „Nichts Besonderes."

Louisa und ich tauschten einen Blick.

„Nichts Besonderes?" Lou verzog den Mund. „Also ich würde ja viel darum geben, mal Urlaub in Italien machen zu können."

„Und ich erst", fügte ich hinzu. „Italien ist doch toll."

„Ja schon...", meinte Jolina dann. Schließlich seufzte sie noch einmal tief und nun schien es, als würde sie ihre Fassade einfach fallen lassen und es aufgeben, uns was vorspielen zu wollen.

„Ihr habt ja Recht.", seufzte sie. „Italien war toll. Aber wenn die eigenen Eltern sich pausenlos streiten, wenn man am Strand liegen oder man einfach eine schöne Zeit mit ihnen verbringen will, dann ist das alles andere als toll."

Aha, schoss es mir durch den Kopf und an Louisas Gesicht konnte ich sehen, dass sie dasselbe dachte, wie ich. Daher wehte also der Wind.

Lou und ich wussten natürlich beide, dass es zwischen Jolinas Eltern alles andere als harmonisch verlief. Nur war die Sache die, dass sie uns über ihre Probleme zu Hause so gut wie nichts erzählte. Jolina war ein Mensch, der sowas gern in sich hineinfraß. Nur manchmal - in äußerst seltenen Verzweiflungsausbrüchen - wurde man dann wieder auf den neuesten Stand gebracht.

„Ich hab echt keinen Plan, was bei denen wieder falsch läuft", schnaubte Jolina und schien sich nun richtig in Rage zu reden. „Die kriegen es einfach nicht hin, sich wie normale Eltern zu benehmen. Immer gibt's irgendeinen Grund zum Streiten. Da reicht es schon, wenn einer von beiden zu irgendeinem Mist einen falschen Kommentar abgibt. Ich hab die zwei so satt, das glaubt ihr nicht." Dann schwieg sie und schüttelte den Kopf, als wolle sie das Ganze so schnell wie möglich abschütteln.

WOLVES - the lies we use to tell || BAND 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt