Kapitel 9: Rückkehr

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POV Lucinda

Nach endlos vielem Kuscheln und gegenseitigem Austausch über die Geschehnisse, rafften wir uns gegen Mittag dazu auf mal aufzustehen. Den Tag verbrachten wir gemeinsam und auch wenn ich die ganze Zeit ein Lächeln auf den Lippen hatte, waren die Gedanken die ich in mir trug ziemlich düster. Ich wusste nicht ob er es bemerkte, jedenfalls sprach er mich nicht darauf an. Mir war klar, dass ich früher oder später mit Giyuu zurückkehren musste, was an sich ja nicht das Problem war.

Ich hatte Angst.
Ich hatte Angst vor den Reaktionen der anderen wenn sie mich wiedersehen würden. Und tief in meinem Innern verabscheute ich mich selbst für das was ich getan hatte.
All die verschwendeten Jahre, meine Kindheit, meine Jugend, die vielen nutzlosen Opfer... Es kam mir alles immer noch so surreal vor, als wäre ich nach Vaters Tod aus einem langen Traum aufgewacht, doch die Narben an meinem Körper und meiner Seele zeugten von der erbarmungslosen Realität dieser Geschehnisse. Wie hatte ich so emotionskalt und stumpf werden können. Nicht den kleinsten Funken Menschlichkeit hatte ich besessen. Zumindest war ich davon fest überzeugt.
Und auch wenn der Tod meines Vaters gut für uns gewesen war... ich konnte nicht triumphieren. Immerhin hatte ich meinen eigenen Vater, den einzigen Mensch den ich... mein gesamtes isoliertes Leben lang kannte, einfach getötet. Dadurch, dass er eine solche Distanz zu mir aufgebaut hatte, erlebte ich ihn nie als richtigen Vater. Nachdem ich einmal etwas Essen in einem der nahen Dörfer gestohlen hatte, sah ich eine Familie. Der Vater trug seine Tochter auf den Schultern und lachte mit ihr. Da lernte ich zum ersten Mal wie es in einer richtigen Familie mit einem richtigen Vater zuging.

Allein schon die Erinnerung daran deprimierte mich zutiefst und ich seufzte unwillkürlich auf. Mit einem besorgten Blick sah Giyuu zu mir.
„Ist irgendwas? Du wirkst schon die ganze Zeit irgendwie anders als sonst.", sagte er und ich schüttelte mit einem aufgesetzten Lächeln den Kopf. „Oh, nein, nein, das musst du dir einbilden. Mir gehts gut.", antwortete ich, doch allein sein Blick verriet mir, dass er mir nicht glaubte. „Achja... wir werden sicherlich doch bald... wieder zurückgehen, nicht wahr.", wechselte ich ungeschickt das Thema. „Ja, ich habe bis zum Ende der Woche keine Aufträge, wegen meiner Verletzung... bis dahin sollten wir aber auf jeden Fall zum Schmetterlingsanwesen gehen, damit deine Wunden richtig versorgt werden." Besorgt warf er einen Blick auf die ziemlich verdreckten Verbände während ich stumm wegsah. Ich würde auf keinen Fall drumrum kommen zumindest Shinobu zu begegnen...
Ich spürte Giyuus Blick auf mir ruhen als er meine Hand nahm und mir fest in die Augen sah. „Ich weiß, dass du Angst hast nach dem was passiert ist den anderen zu begegnen, aber ich schwöre dir, dass ich hinter dir stehen werde, egal was passiert. Während du weg warst, habe ich gemerkt wie sehr ich dich liebe und brauche. Mir ist deine Vergangenheit egal, wichtig für mich ist, dass du daraus gelernt hast und richtig handelst..."
Mit großen Augen sah ich ihn an. Dass er so viel redete war selten... ein kleines Lächeln erschien auf meinem Gesicht. „Danke...", flüsterte ich leise, nicht wissend was ich anderes dazu sagen sollte.
„Du hast mir... auch unglaublich gefehlt. Tut mir leid, dass ich einfach so verschwunden bin." Giyuu antwortete nicht darauf und umarmte mich einfach stumm. Ich war zwar immer noch ängstlich, aber zumindest wusste ich jetzt, dass jemand hinter mir stehen würde...

Wir warteten noch den nächsten Tag ab, bis ich mir sicher sein konnte, dass Giyuu, trotz seiner Verletzung, wieder normal laufen konnte. Ich hatte noch vor Sonnenaufgang während er noch schlief meine wenigen Sachen zusammengepackt. Kurz darauf wachte er auch auf und wir brachen zu den ersten Sonnenstrahlen des Tages auf.
Während unserer Reise zurück überlegte ich verzweifelt was ich tun sollte wenn ich erstmal auf die anderen traf. Klar, ich hatte ihnen das Leben gerettet, aber eigentlich hatte ich das ganze selbst ausgelöst... vertrauen würde mir wohl niemand mehr, das konnte ich gleich abhaken. Wie sollte es überhaupt jetzt noch weitergehen? Auch wenn Vater tot war, gab es immer noch die Mondsteinteufel und Kibutsuji, der immer stärker wurde. Wie sollten wir diese jemals besiegen.
Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke. Was wenn Giyuu gar nicht hergekommen war, weil er mich zurückholen wollte, sondern um mich den anderen auszuliefern. Hatten sie vielleicht schon ein Urteil gefällt für den Fall, dass ich überlebt hatte.
Einerseits fühlte ich mich schlecht, dass ich ihm so misstraute, aber andererseits könnte ich es ihm nicht verübeln. Immerhin hatte ich ihn sehr verletzt auch wenn es nur war um ihn zu schützen...
Verflucht, ich wollte so etwas nicht denken, doch dieser Gedanke steckte in mir fest wie ein Bienenstachel.
Ich verscheuchte diese Gedanken aus meinem Kopf, wenn ich mir jetzt irgendwelche Szenarien ausmalte, würde es sich auch nicht bessern oder ändern. Insgeheim ärgerte es mich, dass ich vor und während dem Kampf gegen Vater solch eine Schwäche an den Tag gelegt hatte. Ich beschloss fürs Erste wieder äußerlich eiskalt zu werden... auch gegenüber Giyuu. Innerlich seufzte ich frustriert auf. Egal wie man es drehte und wendete, ich steckte ganz schön in der Tinte. Und meine derzeitige Erscheinung machte das nicht gerade besser.
Je weiter der Tag verging, wurde ich nervöser, auch wenn ich mir versuchte das nicht anmerken zu lassen. Giyuu und ich hatten kaum gesprochen und waren ungewöhnlich distanziert zueinander gewesen, was meinen vorherigen Verdacht nur bestätigte, obwohl ich diesen versuchte zu verdrängen.
Wären wir nur damals nicht aufeinandergetroffen dann wären wir alle nicht an diesem Punkt. War es ein Unglück gewesen. Vielleicht, aber selbst dann wäre es immer noch Glück im Unglück, denn sonst hätte ich wahrscheinlich niemanden wie Giyuu getroffen.
Am späten Abend kamen wir beim Hauptquartier an. Mir wurde bei dem vertrauten Anblick mulmig. Insgeheim hoffte ich, dass niemand von den anderen Säulen hier war. Plötzlich fiel mir etwas ein und ich runzelte nachdenklich die Stirn. Bevor wir damals in diesen seltsamen schwarzen Raum zu Vater teleportiert worden waren, hatte sich Oyakata in einen Teufel verwandelt. Es war eindeutig ein Gestaltwandler gewesen, doch was war mit dem richtigen Oyakata passiert. Und warum hatte Giyuu ihn mit keinem Wort bisher erwähnt. Überhaupt wunderte es mich auch noch, dass die Säulen, damals die Präsenz des Teufels nicht wahrgenommen hatten.
Energisch vertrieb ich die Gedanken und Fragen aus meinem Kopf und fokussierte mich auf die Gegenwart. Die Zeit schien quälend langsam zu verstreichen als wir das Anwesen betraten. Mein Herz machte einen nervösen Satz als wir vor Oyakata standen. Immerhin schien es ihm gut zu gehen. Sein ruhiger Gesichtsausdruck machte mich unruhig. Wie konnte er nur so aussehen während ich vor ihm stand. Zum ersten Mal in meinem Leben erwies ich freiwillig jemand anderem als meinem Vater Respekt und kniete mich auf den Boden. Ich konnte ihm nicht in die blinden Augen sehen und senkte deshalb nur den Kopf.
„Willkommen zurück, Lucinda."

Frozen Blossom Band 2 ||•Kimetsu No Yaiba•||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt