Kapitel 27

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Julias Sicht:
Mit weit aufgerissenen Augen lauschte Anni Rezos Erzählung, die Angst und der Schock waren ihr ins Gesicht geschrieben. Immer wieder warf mir Anni einen flüchtigen Blick zu, als würde sie sich vergewissern, dass auch alles wahr war, was Rezo erzählte. Schließlich war er fertig und Anni sah ihn ungläubig an. „Und woher weißt du das alles?", fragte sie. Rezo antwortete: „Das hat Ju mir gestern erzählt." Dass er ihn davor zusammengestaucht hatte, lies Rezo aus, das war momentan auch einfach nicht wichtig. „Wir dachten uns, dass du es nicht weißt, deswegen haben wir auch eben nichts erwähnt", erklärte ich. Verständnisvoll nickte Anni, während sie abwesend auf den Boden starrte, als müsste sie das alles verarbeiten, verständlich. „Wenn du willst, kannst du heute bei mir schlafen, im Gästezimmer, dann bis du nicht so alleine", bot Rezo nach einiger Zeit an. Überrascht sah ich ihn an, doch wurde ignoriert. An sich hatte ich nichts dagegen, dass Anni bei uns...äh ihm übernachtete, doch ich hätte mich gefreut, hätte er mich wenigstens bei seiner Entscheidung mit einbezogen. Erstaunt sah Anni hoch, die Angst und der Schmerz standen ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie wischte die Tränen weg und meinte: „Nein danke, das ist lieb gemeint, aber ich komm zurecht." „Ok, aber denk dran, meine Tür ist immer offen", versicherte mein Freund ihr. Noch einmal nickte Anni, als Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte. Dann meinte sie: „Ich will nicht unhöflich sein, ich bin ich sehr dankbar, dass ihr mir alles erzählt habt, aber ich wäre jetzt gerne alleine." Wir beide zeigten Verständnis und ließen sie alleine, dass sie über alles nachdenken und es verarbeiten konnte.
Zu Hause angekommen stürzte Rezo sich direkt auf seine Westerngitarre und begann zu spielen. zwar meinte er nur: „Ich muss noch kurz was erledigen." und verschwand im Aufnahmezimmer. Doch ich hatte dieses Verhalten schon öfter bei ihm beobachtet, als wir befreundet waren, immer wenn er gestresst war, oder ihn etwas beschäftigte, spielte er Gitarre. Diesmal spielte er „Say you won't let go", ein sehr gefühlvoller und schöner Song. Ich lauschte an den
Türrahmen gelehnt seiner klaren, weichen Stimme, die mein Herz höher schlagen lies. Plötzlich bemerkte ich bei der Line „I'm so in love with you, and I hope you know" wie etwas heißes meine Wange herunterkollerte und strich schnell die Träne weg. Schließlich beendete er das Lied mit einem durchgestrummten C-Dur und ich hatte immer noch Tränen in den Augen. Rezo sah von seiner Gitarre hoch, mir direkt in die Augen und legte das Instrument beiseite. Er stieg auf und kam auf mich zu. Da er größer war als ich, musste ich mich etwas auf die Zehenspitzen stellen, um meine Arme um seinen Nacken zu legen und ihn näher an mich heran zu ziehen. Ich spürte seine Hände auf meiner Taille und schloss meine Augen, als ich Rezos Atem auf meinen Lippen spürte. Doch dann klingelte es und in Sekundenschnelle löste er sich von mir, um an die Tür zu gehen. Etwas verdattert stand ich im Flur und blickte ihm ungläubig nach, was war das denn? Als ich an die geöffnete Wohnungstür kam, war Rezo schon fast an der Haustür angekommen. Gespannt beobachtete ich von der Treppe aus, ein paar Meter hinter ihm, wer vor der Tür stand, doch ich war trotzdem etwas sauer auf ihn, dass er mich einfach hatte stehen lassen. Zu meiner Überraschung traf er vor der Tür Anni an, die eine Tasche in er Hand hatte und ein ganz verweintes Gesicht hatte, sofort verflog meine Wut bei diesem bemitleidenswerten  Anblick. „Wenn das Angebot noch steht, würde ich es gerne annehmen. Ich halte keine zehn Minuten alleine aus." „Natürlich, komm rein!", begrüßt Rezo sie. Ich dagegen nickte nur mit einem gezwungenen Lächeln, als sie mich mit ihren traurigen Augen ansah. Einen Arm auf ihren Rücken legend begleitete Rezo Anni nach oben. In der Wohnung angekommen, zog Anni ihre Schuhe aus und bedankte sich abermals: „Ich bin euch so dankbar. Ich will euch echt keine Umstände machen." Rezo entgegnete: „Ach, mach dir mal keine Sorgen, das machen wir doch gerne." Dann sah er mich an, als wollte er, dass ich ihm den Rücken stärkte. Innerlich rollte ich die Augen, aber angesichts Annis Situation wollte ich nicht gemein sein, also meinte ich: „Ja, du würdest dasselbe für uns in so einer Situation machen." Daraufhin warf Anni mir einen dankenden Blick zu. Wir überlegten, was wir den restlichen Tag machen wollten, da es Nachmittag war, hatten wir noch etwas Zeit. Irgendwie wollte niemand irgendwas machen, was Spaß macht, da wir uns alle, und besonders Anni, schlecht dabei fühlten, dass Ju wahrscheinlich irgendwo gefesselt lag und wir uns amüsierten. Also schnitt ich mein Video, während Rezo seine Küche aufräumte, was bedeutete, dass er wirklich mies drauf war, da er es hasste, den Haushalt zu machen. Anni saß auf der Couch und starrte Löcher in die Luft, sie war wirklich traumatisiert. Sie hatte heute so viel erfahren, das war bestimmt wie ein Schlag ins Gesicht. Auf das Schneiden konnte ich mich nicht richtig konzentrieren, also lies ich es nach einiger Zeit ganz und ging an mein Handy. Auf Insta sah ich, dass Ju eine Story von gestern Abend hat, das muss kurz vor seiner Entführung gewesen sein. Langsam spürt ein, wie mir Tränen in die Augen stiegen, doch ich konnte mich gerade so noch zurückhalten. Neben mir hörte ich ein Schluchzen und sah auf. Anni saß da, den Blick fest auf mein Display gerichtet, auf dem Ju irgendwas quatschte. Warum sah sie überhaupt auf meinen Display? Ich hasste solche Leute, die sich nicht um ihren eigenen Kram kümmerten. Aber weil es Anni so beschissen ging konnte ich keine Sekunde sauer auf sie sein, sie hatte heute schon genug Scheiße erlebt, da musste ich sie jetzt nicht auch noch anmotzen. „Oh Anni", seufzte ich und nahm sie in den Arm. Jetzt konnte ich mich nicht mehr beherrschen und auch mir kullerten ein paar Tränen über die Wange. Rezo, der gerade die Spülmaschine einräumte, sah zu uns herüber und kam sofort zur Couch geeilt. „Was ist denn los?", fragte er bestürzt. Da ich kein Wort herausbrachte, hielt ich ihm das Handy entgegen, auf dem noch immer die Story lief. Sofort verkrampfte sich sein Gesicht und er kratzte sich an der Stirn, wie er es immer tat, wenn er den Tränen nahe war und nicht wollte, dass das irgendjemand sah. Schließlich löste ich mich wieder von Anni, die sich sofort die Tränen aus dem Gesicht wischte. So zog sich der Abend wie Kaugummi und niemand wagte es, eine Konversation zu starten. Schließlich gingen wir schlafen. Ich kuschelte mich an Rezo, der auf dem Bauch lag und einen Arm um mich geschlungen hatte. Meine rechte Hand lag auf seinem Brustkorb, genau wie mein Kopf. Nach ein paar Minuten, in denen wir so verharrten, fragte ich mit brüchiger Stimme: „Glaubst du die Polizei findet Ju?" Ein paar Sekunden sagte er nichts, dann antwortete Rezo: „Ich hab keine Ahnung, aber ich hoffe es so sehr, dass es wehtut. Ich kenne Ju einfach schon so lange." Diese Antwort war herzzerreißend, aber ich spürte die Wahrheit, die in seinen Worten lag. Schließlich schloss ich die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.  

Hat wegen Schulaufgaben und so leider etwas länger gedauert, aber hier ist das neue Kapitel.

Rezo x Julia FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt