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𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

Zufrieden vor mich hinsummend kickte ich einen Stein ins Wasser. Sofort spritzten ein paar Tropfen auf meine Schuhe, die in der warmen Nachmittagssonne gleich vertrockneten. Auf das achtete ich jedoch nicht. Ich folgte einfach dem mir schon viel zu gut bekannten Weg, so wie ich es immer tat.

Es war ein normaler Nachmittag in Green Harbour, als ich zum Haus meiner Freundin Frances spazierte. Ich genoss den kühlen Seewind in meinem Gesicht und dachte darüber nach, was wir wohl heute anstellen würden. Frances war die Tochter des Gouverneurs und wohnte somit im größten Haus der Hafenstadt, jedoch etwas abseits und auf einem Hügel.

Dies war auch einer der Gründe, wieso ich sie so gerne besuchte. Dort oben hatte man den perfekten Ausblick auf die See und man wurde nicht ständig vom Lärm am Hafen gestört. Die komplette Familie war massig reich, weshalb ich ziemlich überrascht war, als sie sich mit mir angefreundet hatte und nicht mit einem der anderen Mädchen aus der Oberschicht.

Meine Pflegeeltern waren zwar auch nicht arm, jedoch auch nicht reich. Sie waren normale Handwerker und ich hatte Fran nur kennengelernt, weil sie vor Jahren zufällig einen Auftrag von ihrem Vater bekommen hatten. Ich hatte dem Gouverneur sein bestelltes Stück auf sein Anwesen gelieftert. Doch zu meiner Überraschung hatte mir nicht irgendein Diener, sondern die Tochter des Gouverneurs selbst die Tür geöffnet. Wir kamen ins Gespräch und so wurde es zur Tradition, dass ich jeden Mittwoch zu ihrem Anwesen stiefelte, um Kuchen zu essen und mit ihr den restlichen Tag zu verbringen.

Die salzige Seeluft wehte mir die Haare ins Gesicht, weshalb ich die drei jungen, fremden Typen zuerst gar nicht wahrnahm, die an der Straßenecke zum Dorfplatz an der Wand lehnten. Fremde Leute bedeuteten meist Ärger in unserem kleinen Hafen, doch noch viel eher bedeuteten sie Geschichten von der Welt fernab unserer Stadt. Und nichts liebte Green Harbour mehr als eine gute, alte Seefahrererzählung. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass ich bald selbst Teil dieser Geschichten werden würde, wäre ich wohl stehen geblieben und hätte mir diese Männer noch einmal genauer angesehen.

Grundsätzlich sprach ich die ganzen Seefahrer, Reisenden und Händler jedoch nie persönlich an, sondern bekam die Erzählungen erst aus zweiter Hand mit, nachdem sie der tosenden und alkoholisierten Menge in unserer Stadtschenke erzählt worden waren. Alle gierten immer so sehr auf Neuigkeiten, dass die Geschichtenerzähler nur selten ihr Bier selbst zahlen mussten. Als ich im Vorbeigehen zu den jungen Männern blickte, wusste ich ziemlich sicher, dass für deren Bier das Geld der Damenwelt in die Kasse wandern würde.

Der Größte von ihnen hatte wuschelige, braune Haare und trug, wie jeder der Drei, eines dieser weißen Leinenhemden. Quer über seine rechte Wange konnte ich eine helle, feine Narbe erkennen, die nur knapp seine braunen Augen verfehlt hatte. Neben ihm lehnte sein Freund, er hatte dunkle, etwas längere Haare und graue Augen. Aus irgendeinem Grund grinste er dreckig, weshalb ich nur noch einen letzten Blick auf den Dritten warf, bevor ich zielstrebig weiterlief. Er hatte kurze, dunkle Haare und braune Augen, seine Arme hinter dem Kopf verschränkt und blinzelte in die Sonne.

Als ich bei Fran ankam, hatte ich die drei jungen Männer schon längst wieder vergessen. Wir setzten uns in ihren Garten und diskutierten über unser Lieblingsbuch, während wir Obsttörtchen aßen.

"Weißt du, mittlerweile habe ich wirklich keine Lust mehr, mit meinem Vater darüber zu streiten, ob ich diesen komischen Kapitän Tomlinson jetzt heiraten soll oder nicht. Der ist sicher doppelt so alt wie ich!" beschwerte sich Fran und spielte mit einer ihrer hellbraunen Haarsträhnen zwischen ihren Fingern. Ich wandte meinen Blick von der See ab und nickte bestätigend.

"Er sieht nicht mal besonders gut aus!" steuerte ich bei und dachte an Kapitän Tomlinson, der mehr Haare in der Nase als auf dem Kopf hatte. Ich hatte sein Gesicht einmal mit dem eines Mopses verglichen, was mich immer noch zum schmunzeln brachte.

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