𝐹𝑟𝑎𝑛𝑐𝑒𝑠
Zum ersten Mal seit Plunder Bay spürte ich Festland unter meinen Füßen. Zügig band Ryan unser kleines Beiboot an einen Pfahl an, dann warf er einen letzten besorgten Blick auf die Dragonfly mit unserer Mannschaft an Bord. Sie ankerte in einer versteckten Bucht einen kurzen Fußmarsch entfernt von der kleinen Hafenstadt Green Bay. Luise hatte verwirrt gefragt, warum wir nicht gleich am Hafen anlegten, worauf Finn ihr leicht genervt erklärt hatte, dass die Leute nicht gerne ein Piratenschiff vor ihrer Haustür sahen.
Wir hatten im Moment nichts Böses vor, trotzdem mussten wir unbedingt unerkannt bleiben. Deshalb hatten Ryan, Finn und ich weitgehend normale Kleidung an und ich trug wieder ein Kleid. Als wir uns durch das Gestrüpp kämpften, stolperte ich mehrmals über seinen Saum. Ryan hatte darauf schadenfroh gegrinst, womit er aber auf der Stelle aufhörte, als sein Hosenträger an einem Ast hängenblieb. Trotzdem waren wir nicht unbewaffnet, nur die auffälligsten Schwerter hatten wir auf der Dragonfly gelassen.
Ungefähr eine Viertelstunde später sah ich die Gebäude der kleinen Hafenstadt.
"Jim lebt in einer Hütte im Wald hinter der Stadt. Wir gehen zuerst zu ihm, er kann uns dann sagen, wo wir eine Hexe finden.", erklärte Finn nervös, Ryan und ich nickten. Bei dem Gedanken an Carrie, Jake und Tiger bekam ich einen Kloß im Hals. Mit jeder Minute, die wir hier verblödelten, sank ihre Überlebenschance. Wenn sie die überhaupt noch hatten. Ich schüttelte den Kopf: Ich hatte mir ihre Möglichkeiten schon so oft durchgedacht, es hatte gerade keinen Sinn mich jetzt noch mehr damit zu beschäftigen.
Als wir die Stadt erreicht hatten und den Marktplatz entlanggingen, fühlte ich mich mehr als unwohl. Waren wir auffällig? Merkten die Menschen, dass wir Piraten waren? Genau in diesem Moment bogen wir um eine Ecke und sahen den Galgen. Ich riss vor Angst die Augen weit auf und konnte meinen Blick nicht von dem Strick abwenden. Finn schien das bemerkt zu haben, denn er griff nach meiner Hand und flüsterte:
"Schon gut, die kriegen uns nicht. Das haben sie noch nie." Ich nickte stumm und drückte seine Hand.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten wir den Stadtrand erreicht und kämpften uns nun durch den Wald, bis wir endlich Jims kleine Hütte erreicht hatten. Ich sah mich ängstlich um, alles an diesem Ort strahlte Gefahr und etwas Magisches aus. Ryan deutete mir und Finn, still zu sein, dann klopfte er an die schwarze Holztür. Es dauerte nicht einmal eine Sekunde, da wurde die Tür augeschwungen und Jim stand an der Türschwelle.
Überrascht stellte ich fest, dass er hundert Mal besser aussah, als ich gedacht hatte. Er hatte dunkle Locken, die ihm locker ins Gesicht fielen. Hinter diesen Locken leuchteten zwei braungrüne Augen, die uns aufmerksam ansahen.
"Ryan, schön dich zu sehen!", sagte er freundlich und trat einen Schritt zurück, damit wir hereinkommen konnten. Als sein Blick auf mich fiel, schmunzelte er:
"Wie ich sehe hat dein Vorhaben funktioniert und du bist wirklich Captain. Und das auch noch in ausgesprochen hübscher Gesellschaft."
Als er den letzten Satz sagte drehte er sich in meine Richtung. Ich spürte, wie ich rot anlief und schaute schnell weg. Jim rückte uns drei Stühle, die um einen kleinen Tisch standen, zurecht und setzte sich selbst auf den vierten.
"Ich nehme mal an, ihr besucht mich nicht weil ihr mich so gern habt. Was braucht ihr?", fragte er amüsiert und seine Augenbrauen zuckten nach oben. Ryan kratze sich etwas peinlich berührt am Hinterkopf, sodass seine schwarzen Haare noch unordentlicher wegstanden, dann meinte er:
"Wir brauchen dich, um die letzte Strophe einer Prophezeiung zu deuten." Jim nickte wenig überrascht und sah uns erwartungsvoll an. Ich räusperte mich, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen und sagte das Gedicht auf. Als ich fertig war, runzelte Jim nachdenklich die Stirn und schloss die Augen.
"Es geht um die Schwarzen Ströme. Ihr müsst mit der Dragonfly hindurch fahren und dürft euch nicht gegen die Wucht des Wassers wehren. Wenn ihr es schafft, bringen sie euch zu eurem Schatz."
"Die Schwarzen Ströme?" Finn hob kritisch eine Augenbraue. "Niemand hat sie je überlebt."
"Und genau da liegt das Problem.", erklärte Jim und lehnte sich locker zurück. "Die Meerhexen geben uns aus Prinzp keine leichten Aufgaben. Entweder ihr sterbt, oder ihr erweist euch als würdig und werdet mit dem Schatz belohnt." Wir nickten und dachten stumm nach. Dann hob ich den Kopf und sah Jim direkt in seine leuchtenden Augen:
"Wir brauchen noch etwas. Weißt du, wo die nächste Hexe ist? Jake und eine Freundin von uns sind seit Tagen verschwunden, wir müssen sie finden!" Er nickte wissend und sah kurz so aus, als wäre er vollkommen in Gedanken verloren, dann antwortete er:
"Geht zum Marktplatz, aber beeilt euch!" Schnell sprangen wir auf und Ryan wollte ihm einen Beutel mit Münzen zuwerfen, doch Jim schüttelte den Kopf:
"Wir werden uns viel früher sehen als ihr denkt. Und jetzt beeilt euch!"
"Danke!", meinte ich beeindruckt. Als wir schon draußen waren, hörten wir ihn rufen:
"Und passt auf das Mädchen auf! So reizenden Besuch hatte ich schon lange nicht mehr!"
Wieder wurde ich rot und konnte mich kaum auf das Gestrüpp konzentrieren, durch das wir uns den Weg bahnen mussten. Trotzdem hörte ich hinter mir Finn wütend zu Ryan flüstern:
"Natürlich passen wir auf sie auf, was denkt er sich? Als wäre er der Erste, der erkannt hat, wie toll sie ist."
Mir klappte vor Begeisterung der Mund auf und ich lief fast in einen Baumstamm. Ein paar Minuten später hatten wir trotzdem mehr oder weniger unverletzt die Stadt erreicht. Ich wollte gerade wieder um die Ecke biegen um zum Marktplatz zu kommen, da packte mich Finn plötzlich am Arm und zog mich zurück.
"Das da hinten. Das ist doch Lilys Schiff!", flüsterte er und zog mich und Ryan hinter eine alte Kiste als Versteck. Nervös schaute ich hinüber und biss mir verzweifelt auf die Lippen. Ganz in unserer Nähe ankerte wirklich das bekannte Schiff und die Besatzung betrat in diesem Moment den Hafen.
"Verdammt, die kennen uns doch. Wie sollen wir an denen vorbeikommen?", fragte ich, während ich hinter der Kiste hervorlugte.
"Keine Ahnung, vielleicht- Leute, seht ihr das, was ich sehe?", unterbrach Finn sich selbst.
"Das gibt's doch nicht.", kam es nun auch von Ryan und er deutete auf den Steg.
Dort luden ein paar von Lilys Besatzungsmitgliedern gerade die Fracht aus. Doch das meinte er nicht: Sein Blick ruhte auf einem schwarzen Haarschopf, der mit gefesselten Händen auf den Steg geschubst wurde. Er sah so verdächtig nach Jake aus, dass ich die Augen zukniff und wieder öffnete. Jetzt bildete ich mir die beiden sogar schon ein.
Als auch noch ein Mädchen, dass genau so ausschaute wie Carrie, gegen den Schwarzhaarigen geschubst wurde, dachte ich, komplett den Verstand zu verlieren. Das i-Tüpfelchen war Tiger, der den beiden winselnd folgte. Endlich packte mich die Erkenntnis: Das waren wirklich unsere Freunde!
Beide waren gefesselt und waren in diesem Moment auf dem Weg zum Galgen.
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Und somit seid ihr so ziemlich genau bei der Hälfte des Buches...
Wie denkt ihr geht es weiter? Wer sind eure Lieblinge und was haltet ihr bis jetzt von Jim?Ildikoko und ich wünschen euch noch viel Spaß beim Weiterlesen!
Und ein großes Dankeschön an _ceces_moon_, weil sie uns immer unterstützt!!!Eure Fiffi <3
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Die Dragonfly-Chroniken
Humor„Ladys, willkommen an Bord der Dragonfly. Fühlt euch wie zuhause!", verkündete der Braunäugige und klatschte triumphierend in die Hände. Dann sagte er an die anderen beiden gewandt: "Finn, Jake, bindet sie an den Mast." - Carrie und Frances kennen...