↬17↫

29 7 0
                                    

𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

"So, den ersten Teil der Prophezeiung haben wir schon einmal erfüllt." freute sich Ryan und nahm sich seinen Hut ab. Diese Freude wurde ihm jedoch von Finn genommen, als dieser anmerkte:

"Jetzt fehlen nur noch alle restlichen Verse."

Fran nickte und machte ein langes Gesicht:

"Und wir wissen nicht einmal, was die bedeuten sollen! Wer vertraut dem Sturm soll Glück erfahren... Welchem Sturm sollen wir bitte vertrauen und wieso sollte uns das Glück bringen?"

Ihre Worte versetzten uns alle in grübelndes Schweigen. Niemand von uns sagte etwas, bis plötzlich Jake begann, zu schmunzeln:

"Zum Glück kennen wir da jemanden, dessen Geschäft es praktisch ist, solche Gedichte zu deuten."

Auf der Stelle erhellten sich Finns und Ryans Miene, Fran und ich schauten sie nur verwirrt an.

"Meinst du etwas, dass wir zu Jim fahren sollten?" fragte Ryan. Finn nickte:

"Natürlich, das ist doch klar! Niemand versteht die Meerhexen besser als Jim!"

"Das war eine Meerhexe?!" unterbrach ich den Piraten, auch Fran sah interessiert auf.

"Ja, genau. Eigentlich sind es bloß alte Frauen die jahrelang auf See waren und mittlerweile ein bisschen wirr im Kopf sind. Wir nennen sie Meerhexen, weil sie angeblich die Stimmen der Götter im Rauschen der Wellen hören können." erklärte Finn, woraufhin Jake grinsen musste:

"Jim versteht sie viel besser als andere. Man munkelt, dass es die Götter Leid waren, missverstanden zu werden und ihm so die Gabe gegeben haben, ihre Botschaften zu entschlüsseln." Fran und ich lachten, dieser Jim klang in der Tat sehr interessant.

"Es könnte jedoch nicht allzu leicht werden ihn zu finden. Wer weiß schon, wo der sich wieder rumtreibt! So viel ich weiß hat er eine Hütte in Green Bay, aber er ist ja so gut wie nie zuhause. Wenn ich Jim wäre, wo würde ich mich aufhalten...?" grübelte Ryan und begann unruhig umherzulaufen.

Sein Denkprozess wurde plötzlich von einem Blitzschlag und dem darauffolgenden Donner unterbrochen. Nur einen Moment später begann der Regen auch schon auf die Dragonfly zu prasseln.

Sofort sprang er mit den Worten "Scheiße, Lily!" zur Tür und lief an Deck.

"Ich habe gerade ein deja vu, und ihr so?" kam es sarkastisch von Finn, während wir Ryan hinaus folgten. Die restliche Crew verzog ich währenddessen unter Deck. Augenverdrehend stellte ich fest, dass Allan bei jedem Donner zusammenzuckte und sich ängstlich an einen genervten Sam klammerte.

"Tiger sollte besser rein gehen, am Ende fällt er noch vom Schiff!" meinte Fran und reckte den Hals, jedoch ohne das braune Fell des Hundes in dem Wolkenbruch zu erblicken. Selbst im Rettungsring, unser provisorisches Hundebett für ihn, lag er nicht.

"Ihr könntet ja mal im Beiboot nachschauen!" kam es plötzlich von Johanna an Fran und mich gerichtet, die gemeinsam mit Louise Schutz unter einer Decke suchte. Misstrauisch machten wir uns auf den Weg zu dem kleinen Holzboot, irgendetwas an diesem Tipp kam uns komisch vor.

"Sollten die nicht schon längst unter Deck sein? Was gibt es hier oben so Spannendes zu sehen, dass es sich lohnt, komplett nass zu werden?" fragte Fran und wischte sich eine feuchte, inzwischen dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Außerdem würden die uns doch niemals helfen!" stimmte ich ihr zu, was sie jedoch nicht weiter kommentierte. Fran hatte es noch nie gemocht, wenn ich die finstere Wahrheit über andere aussprach. Doch sie widersprach mir nicht, worin ich nur die Bestätigung sah, dass ich recht hatte. Bis jetzt waren Louise und Johanna uns keine besonders große Hilfe gewesen.

"Habt ihr ihn gefunden?" fragte plötzlich Jake und holte uns gemeinsam mit Finn ein, die beiden hatten wohl am Heck nach Tiger gesucht. Sie waren völlig durchnässt, genau wie wir.

"Nein, aber wir wollen im Beiboot nachschauen!" rief Fran durch den Sturm, einen Moment später hatten wir das kleine Holzboot auch schon erreicht. Es war Finn, der die Abdeckplane fortzog und einen völlig vollgefressenen Tiger enthüllte, der schnarchend auf dem Boden des Boots lag.

Mit einem Seufzen stieg Jake zu Tiger hinein, zog ihn auf die Plane und machte sich bereit, darauf den Hund aus dem Boot zu heben. Ich beschloss ihm zu helfen und ergriff gerade die beiden anderen Ecken der Plane, als eine besonders große Welle sich am Bug der Dragonfly brach. Ich stolperte vorne über in das Rettungsboot, als ein Reißen ertönte, gefolgt von einem lauten Rumpeln. Das letzte, was ich weiß, ist Frans entsetzter Blick und das Gefühl zu fallen.

Der Aufprall des Bootes auf die schäumende und tobende Meeresoberfläche war furchtbar, der Hund heulte, ich hatte Salzwasser in den Augen und wusste nicht wo oben und unten war. Die Wellen schleuderten das kleine Boot herum. Der Ozean zeigte wieder einmal, dass wir keinerlei Macht über ihn hatten. Würden wir leben oder sterben? Es lag schon lange nicht mehr in unserer Hand.

Jake hatte den Hund und mich auf den Boden gezerrt, wo wir zumindest so etwas wie eine Illusion von Schutz fanden. Tiger hatte gekotzt, ich hatte ihn würgen gehört. Ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen, roch das nasse Hundefell und spürte, wie Jake neben mir zitterte. Das einzige, worauf ich mich konzentrierte, war das Gewitter. Zwanghaft zählte ich die Sekunden zwischen Blitz und Donner, redete mir verzweifelt ein, dass es vorbei wäre, wenn wir nur weit genug von diesem Sturm entfernt waren.

Ich hatte das Gefühl, selbst meine Gedanken nicht mehr hören zu können, die Wellen schienen mein Gehirn geflutet zu haben. Also begann ich laut zu zählen, Jake hörte mir erst eine Weile zu bis er mich fragte, was ich da tat. Es wirkte so als wäre ihm gerade jede Ablenkung recht, also erklärte ich ihm meine Gewittertheorie. Schon beim nächsten Blitz begann er mitzuzählen. Jedes Mal, wenn wir ein bisschen länger zählen mussten, freuten wir uns. Es war beruhigend Jake wieder lächeln zu sehen, auch wenn sein Grinsen ziemlich schwach war.

Der nächste Morgen war lächerlich sonnig und die See so unverschämt glatt, dass ich fast daran zweifelte, ob die letzte Nacht geschehen war. Doch nach nur einem Blick in Tigers traumatisierte Augen war kein weiterer Beweis mehr nötig.

"Scheiße, wir haben echt ein Problem!" meinte ich und versuchte in der Ferne etwas zu erkennen, doch alles, was ich sah, war Wasser.

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt