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𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

Während alle auf dem Schiff herumzulaufen begannen und ihren Arbeiten nachgingen, machte ich für einen kurzen Moment erst einmal... nichts mehr. Der Ruck, der durch die Dragonfly gegangen war, hatte mich ziemlich überrascht und so war ich vorne über gegen die Reling geknallt.
Peinlich berührt setzte ich mich also auf und bekam Jakes Hand entgegengestreckt, der nicht einmal versuchte, sein Lachen zu verbergen.

Grummelnd ließ ich mir aufhelfen und war ziemlich schadenfroh, als auch er stolperte. Eine besonders große Welle hatte sich gerade am Bug gebrochen und Jake taumelte gegen Ryan, der immer noch das Steuerrad bewachte. Der Captain warf uns beiden einen strafenden Blick zu, woraufhin wir uns schnell an die Arbeit machten.

Um der alten Zeiten Willen lief ich zu den Rettungsbooten und wollte gerade die Seile überprüfen, mit denen sie an Bord fixiert waren, als Fran plötzlich neben mir auftauchte. Sofort war uns klar, dass wir den gleichen Gedankengang gehabt hatten.

Grinsend sicherten wir also die Boote, während immer größere Wellen drohten über uns zusammenzuschlagen. Die Gischt spritzte uns in das Gesicht und die Wellenbrecher übertönten schon lange das Stiefelgetrappel und die gebrüllten Anweisungen, als das Schiff immer mehr beschleunigte.
Eine Mischung aus wilder Freude und Angst machte sich in mir breit, die scheinbar alle auf diesem Schiff mit mir teilten.

Es waren jedoch die immer häufiger auftauchenden, schwarz zerklüfteten Felsen, die uns signalisierten, dass wir einen Schritt näher an unserem Ziel waren.

Immer sanfter schlugen die Wellen gegen das Schiff, während die Klippen langsam so etwas wie ein Labyrinth zu bilden schienen.

Ohne überhaupt Anweisungen dazu geben zu müssen, versammelte sich die Mannschaft aufgrund der neuen Situation um Ryan, der gewichtigt auf seine Crew nieder sah.

"Nun Leute, da wir den Schwarzen Strömen getrotzt haben, können wir wirklich stolz auf uns sein! War ja klar, dass nur wir so schlau sein würden und uns einfach treiben lassen...-"

"Captain, was ist das denn für ein komischer Nebel?" unterbrach plötzlich Jonah die Rede und deutete auf dichte, weiße Nebelschwaden, die zwischen den Felsen auftauchten.

"Das gefällt mir gar nicht." murmelte Finn neben mir, dessen Miene einen besorgten Ausdruck angenommen hatte.

"Auf keiner Karte, die du mir gezeigt hast, war das alles hier eingezeichnet! Was bedeutet das für uns?" fragte Frances ihn und spiegelte seinen Gesichtsausdruck wider.

Mit ein paar Schritten war Finn beim Bug des Schiffes und kniff beim Anblick des Nebels misstrauisch die Augen zusammen:

"Ganz bestimmt nichts Gutes..."
Als Ryan die Dragonfly nun durch die Klippen hindurch manövrierte, hatte er ein sehr konzentriertes Gesicht aufgesetzt.

Selbst Lily, die vor ihm am Mast lehnte und auf die See hinaus sah, konnte ihn nicht ablenken.
Das war aber auch gut so, da der Abstand zwischen der Schiffswand und den spitzen Felsen nicht mehr besonders groß war.

Doch der Nebel machte es Ryan wirklich nicht einfacher, immer dicker und dichter hüllte er das Schiff ein.

Die wenigen Unterhaltungen, die die Besatzungsmitglieder geführt hatten, waren verstummt, fast so als hätten die Nebelschwaden sie erstickt.
Und dann geschah es. Ich war mir ziemlich sicher, dass es Tiger gewesen war, der sie als Erster gehört hatte.
Der Nebel hatte uns nun so undurchdringlich eingehüllt, dass Ryan den Befehl gegeben hatte, den Anker auszuwerfen.

Die Gefahr, die Dragonfly geradewegs gegen einen Felsen zu steuern, war einfach zu groß.
Wahrscheinlich hatte er die schwache Hoffnung gehabt, der Nebel würde sich schon verziehen, wenn wir nur eine Weile warten würden.

Bis dahin hätte man alles auf das Wetter schieben können, doch dann spitzte der Hund seine Ohren.
Unruhig konnte ich hören, wie Tiger, den ich bis dahin zwischen mir und Frances geglaubt hatte, sich mit schnellem Schritt von uns entfernte.

"Tiger! Hierher!" hörte ich Jake irgendwo links von mir rufen hören, doch es klang ziemlich erstickt.

"Leute? Wo seid ihr?" fragte ich, aber meine Hand, die nach der von Fran greifen wollte, erhaschte nur feuchten Nebel.

"Frances?" fragte ich nun etwas nervöser, als ein markerschütternder Schrei ertönte. Es war ganz eindeutig die Stimme meiner besten Freundin.

"FRANCES?" brüllte nun auch Finn ein Stück vor mir und sprach mir damit aus der Seele.

Panisch stürzte ich dorthin, wo ich die Reling vermutete und die Stimme gehört hatte, doch mein Orientierungssinn litt fürchterlich unter dem Nebel. Unerwartet prallte ich gegen einen Körper, der sich als Ryan herausstellte.

Seine Hände griffen nach meinen Schultern und er schüttelte mich:

"WO IST LILY? DU HAST ES DOCH AUCH GEHÖRT! WARUM TUT DENN KEINER WAS?"

Stürmisch ließ er mich wieder los und stürzte nach Lily schreiend davon.

"Fran? Franceees!" rief ich nun wieder und drehte mich suchend, viel zu besorgt um mich zu fragen wie Ryan die beiden Mädchen verwechseln konnte.

Ein Stimmengewirr hatte sich an Bord erhoben, erfüllt von Rufen nach den verschiedensten Personen.
Ich war mir ziemlich sicher Elias' Stimme heraushören zu können, der klar und deutlich nach einer Sally rief, obwohl gar keine Sally auf dem Schiff war.

Doch all das interessierte mich nicht, Fran war in Gefahr!
Ohne Rücksicht auf Verluste stolperte ich weiter über die Holzplanken, die Ohren so gespitzt wie sonst noch nie.
Aber als ich dann Frances' Stimme hörte, war nichts in mir auf den Schmerz darin vorbereitet.

"Carrie, ich bin hier unten! Du musst mir helfen! Warum hilfst du mir nicht, Carrie! Ich dachte, ich kann dir vertrauen! Hilf mir, BITTE!" drang es klar und deutlich aus den Fluten der salzigen See.

Mir gefror das Blut in den Adern und die Tränen rannen mir über das Gesicht als ich versuchte, die Stelle auszumachen, wo sie sein musste.

"Fran, halte durch! Ich werde dir helfen!" brüllte ich verzweifelt von der Reling in den Nebel, doch sie ließ sich nicht beruhigen. Gerade, als ich dachte, dass es nicht schlimmer kommen könnte, gesellte sich eine zweite Stimme zu der von Fran.

"Carrie, wir sind beide hier unten! Du darfst uns nicht alleine lassen! Bitte lass uns nicht allein! Wir schaffen es sonst nicht!" rief Jake angsterfüllt und ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand ein Messer mitten ins Herz gerammt.
Das konnte doch alles nicht sein!

"FRANCES! JAKE!" kam es plötzlich verzweifelt neben mir von jemandem, der nicht ich war.
Finns Augen glänzten panisch und seine Finger verkrampften sich so fest an der Reling, als müsste er gegen alles in sich ankämpfen, um nicht in die Fluten hinabzuspringen.

"Wir müssen ihnen helfen!" schrie ich ihn an und zuckte zusammen, als Frances meinen Namen schrie.

"Fran, ich hole dich da raus!" antwortete ihr Finn daraufhin erstickt und fast so, als würde er ihr antworten.

"Warte, hat sie nicht gerade nach mir gerufen?" fragte ich ihn und für einen Moment stoppten die Tränen, die beständig über meine Wangen liefen.

"Ich dachte, sie hätte meinen Namen gerufen!" antwortete mir Finn und in unserem Blick blitzte gleichzeitig die Erkenntnis auf.

Ohne ein Wort drehten wir uns um und rannten die Reling entlang um das ganze Schiff. Alle paar Meter stand eins unserer Crewmitglieder und sah entsetzt in die Tiefen, doch um sie konnten wir uns gerade nicht kümmern.

Erst nach einigen Minuten, die Angst, dass etwas Schlimmes geschehen sein könnte, stieg stetig in mir auf, rannten wir frontal in zwei Personen hinein.
Kaum hatten wir sie als Jake und Frances erkannt, rissen wir sie schon an uns, eine Umarmung hatte sich noch nie so gut angefühlt, wie in diesem Moment.

Doch für die Wiedersehensfreude war auch später noch Zeit, kaum hatten wir uns alle von einander gelöst, brüllten wir auch schon gleichzeitig:

"SIRENEN!"

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt