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𝐹𝑟𝑎𝑛𝑐𝑒𝑠

"Kommt, steigt an Bord!", winkte Jake uns zu sich. Ausgeschlafen und zufrieden nickten Carrie und ich ihm zu und gingen von der Terrasse der kleinen Hütte wieder hinüber zum Schiff. Es war die erste richtig ruhige und angenehme Nacht gewesen, seit wir entführt worden waren. Außerdem hatten Carrie und ich uns wieder etwas frisch machen können - Folglich fühlten wir uns heute wie neu geboren.

Meine hellbraunen Haare waren endlich wieder etwas ordentlicher und auch Carrie sah viel besser aus. Ihre dunkelbraunen Haare fielen ihr über die Schultern und betonten die blauen Augen perfekt. Unsere Entführer hatten inzwischen unsere Vorräte aufgefüllt und einen groben Plan über die Erpressung meines Vaters erarbeitet, ihnen stand also nichts mehr im Wege.

Carrie und ich jedoch stachen nur sehr widerwillig wieder in See, wir wollten beide nicht wirklich wieder in unsere Heimatstadt. Zwar waren wir dort frei und hatten wieder unseren üblichen Luxus, trotzdem wollte irgendetwas in uns so weiterleben, wie wir es gerade taten.

Vielleicht war es, weil wir uns hier trotz allem freier als am Festland fühlten oder wir uns hier nicht verstellen mussten und auf Gepflogenheiten scheißen konnten. Eine Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir, dass auch die Gesellschaft hier besser war, ich verwarf den Gedanke jedoch sofort. Das waren gesetzlose Piraten die uns entführt und bedroht hatten, natürlich freuten wir uns, bald weg von ihnen zu sein!

Als wir schon fast am Schiff waren warf ich doch einmal einen Blick zurück auf die idyllische Insel. Da sah ich Tiger, der traurig zu uns hoch blickte.

"Wollen wir ihn nicht mitnehmen?", fragte Carrie und sah zu den Piraten. Diese schauten sich ratlos an, doch dann schüttelte Ryan den Kopf:

"Ein Hund am offenen Meer? Sicher nicht."

"Aber er will unbedingt mit!", jammerte ich. So knuffige Hundeaugen ließen mich echt schwach werden. Wieder wechselten die Jungs ratlose Blicke, bis Finn schließlich seufzte:

"Na gut, aber ihr kümmert euch um ihn." Carrie und ich nickten begeistert, dann bestiegen wir schon etwas glücklicher das Schiff.

Die Fahrt dauerte insgesamt drei Tage. Uns wurde oft langweilig, weshalb wir die gesamte Vorratskammer und den Raum, in dem wir schliefen, aufräumten. Carrie fand in dem Gerümpel einen alten Piratenhut, der ihr wirklich gut stand. Als Jake sie sah, nickte er nur anerkennend, doch mir fiel an diesem Tag noch oft auf, wie er heimlich zu ihr hinüber schielte.

Auch Tiger wirkte wie ein Wundermittel gegen Langeweile, wir spielten oft mit ihm "Fang-das-Stöckchen". Einmal stolperte Ryan über den Hund, worauf wir Ärger erwarteten. Zu unserer freudigen Überraschung lachte er aber nur und streichelte Tiger am Kopf. Ich fragte mich, woher die Piraten den Hund hatten, doch als ich sie darauf ansprach, meinten sie nur: "Von ganz früher, er hat uns mal den Arsch gerettet." Am letzten Abend erlaubten sie mir und Carrie sogar, ganz kurz das Steuerrad anzufassen.

Am dritten Tag am frühen Nachmittag sahen wir endlich den Hafen unserer Heimatstadt. Carrie und ich warfen uns kurz vielsagende Blicke zu, sagten aber nichts. Es interessierte sowieso niemanden, was wir von der Sache hielten. Die Piraten wollten ihr Lösegeld. Als wir wieder an der versteckten Bucht angelegt hatten, drehten wir uns erwartungsvoll zu Finn um.

"Was macht ihr jetzt?", fragte ich. Finn sah uns entschuldigend an und deutete auf das Seil in seiner Hand.

"Nicht euer Ernst.", platzte es aus Carrie heraus. In diesem Moment kam Jake unter Deck hervor und warf Finn und Ryan jeweils eine Pistole zu.

"Wir bringen euch jetzt zum Gouverneur und verhandeln über euer Lösegeld.", erklärte er, während Finn schon auf uns zu kam und uns mal wieder die Hände zusammen band. Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut, versuchte dies aber zu verstecken, als er uns leicht vorschubste und wir widerwillig von Bord gingen. Sie würden uns wahrscheinlich kein Haar krümmen, trotzdem machten die Pistolen sie um einiges furchteinflößender, sodass wir nicht protestierten.

Es dauerte nicht lange und wir waren fast bei meiner Villa angelangt. Seufzend sah ich mich in der vertrauten Umgebung um, als ich Rufe hörte:

"Da vorne sind sie!" Sofort packte Finn meinen Arm und drückte mir die Pistole an den Hinterkopf. Binnen weniger Momente waren mehrere Soldaten bei uns, die alle ihre Waffen auf die Piraten gerichtet hatten.

"Lasst sofort die Mädchen frei!", befahl einer von ihnen und trat vor.

"Wir wollen mit dem Gouverneur sprechen. Wenn einer von euch schießt, sind sie beide tot.", hörte ich Ryan hinter mir sagen. Kurz wechselte der Soldat nachdenkliche Blicke mit den anderen, meinte dann aber:

"Folgt mir."

Auch wenn ich wusste, dass mir nichts passieren würde, zitterte ich leicht und spürte sogar mein Herz, wie es schnell gegen meine Brust schlug. Ein Blick nach rechts verriet mir, dass es Carrie nicht viel anders ging. Wieso auch immer fühlte ich mich von den Jungs verraten: Wir hatten mit ihnen jetzt schon so viel durchgestanden und trotzdem drückten sie uns die Pistolen an den Kopf, als wären wir stinknormale Geißeln. Nur die Mittel zum Zweck.

Bald waren wir in meinem Garten angelangt, wo uns schon mein Vater entgegen lief. Als er mich sah, schaute er sofort wieder weg und zu den Piraten.

"Was wollt ihr für ihre Freilassung?", fragte er kühl. Die Kälte in seiner Stimme war anscheinend nicht nur mir aufgefallen, denn ich sah einen Funken von Verwirrung in Ryans Augen aufblitzen, bevor er antwortete:

"3000 Galleonen."

"Wollten wir nicht mehr?", flüsterte Finn verdutzt und erntete einen zustimmenden Blick von Jake.

"Ähh gut, wir wollen 5000 oder wir bringen sie vor Euren Augen um." Ich musste mich wirklich bemühen, nicht loszuweinen. Wir hatten für sie gelogen, waren mit ihnen fast gestorben! Ziemlich unbeeindruckt blinzelte sie mein Vater an:

"Niemals."

"5000 oder Ihr könnt Euch von ihnen verabschieden." Jake funkelte ihn mit seinen sturmgrauen Augen, die mich noch nie mehr an ein gefährliches Unwetter auf See erinnert hatten, an. Scheinbar rücksichtslos drückte er Carrie an sich und hielt ihr die Kanone an die Schläfe. Nachdenklich legte mein Vater den Kopf schief, kein bisschen Unruhe war in seinem Blick zu sehen, ehe sich plötzlich ein dreckiges Grinsen in sein Gesicht stahl.

Er ging langsam auf mich zu und lehnte sich zu mir hinunter. Der Druck von Finn erhöhte sich, was mir aber nicht richtig auffiel, denn meine ganze Aufmerksamkeit hatte mein Vater. Dann flüsterte er, sodass es nur Carrie, ich und die Piraten hören konnten:

"Ich zahle, aber unter einer Bedingung: Du heiratest Kapitän Tomlinson."

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt