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𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

"Also, was genau tut er jetzt?" fragte ich und schielte interessiert zu Ryan hinüber. Er stand gerade an der Bar des Wirtshauses und war mit einem alten Mann in eine Diskussion verwickelt, in der sich beide offensichtlich nicht besonders wohl fühlten. Jake zuckte mit den Schultern und nippte an seinem Getränk:

"Er ist ein alter Geschäftspartner, ihm verdanken wir einen großen Teil unserer Ausstattung auf der Dragonfly." Es war schwer, ihn durch den Lärm des Gasthauses zu hören.

"Wir haben schon ein Schiff, Waffen und eine Kiste voll Gold. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist eine Crew. Für die Dragonfly braucht es mindestens drei Leute, aber umso mehr, desto besser." sprach Finn weiter. Fran runzelte die Stirn:

"Und ihr vertraut darauf, dass ihr von ihm wirklich gute Männer bekommt?" Jake und Finn wechselten kurz Blicke, dann nickten sie entschlossen. Leider taten sie das zu oft, als dass ich ihnen diese Sicherheit noch abkaufen konnte. Das konnte ja noch was werden. Kritisch beäugte ich das ominöse Getränk, das vor meiner Nase stand und komisch roch. Auch Fran sah nicht so aus, als hätte sie schon einen Schluck aus ihrem Becher getrunken.

Schließlich hatte Ryan sein Gespräch beendet und ging siegessicher auf uns zu. Auch diesen Blick kannte ich inzwischen zu gut, um ihm voll und ganz zu vertrauen. 

"Wir können los, er hat ein paar gute Leute für uns.", meinte er mit leuchtenden Augen. Jake und Finn sahen ihn glücklich an, Fran jedoch hob kritisch eine Augenbraue:

"Ihr wollt wirklich jetzt noch eine Crew anheuern? Es ist  sicher schon nach halb zwei Uhr morgens."

"Und schlafen wir überhaupt?" warf nun auch ich ein. Die Dragonfly war am anderen Ende der Stadt und ich hatte definitiv keine Lust dazu, dort allein mit Fran hinzustiefeln. So kam es, wie es kommen musste, denn Finn zuckte mit den Schultern und schlug vor:

"Wenn ihr wollt, könnt ihr auch hier bleiben. Sie vermieten hier Zimmer."

"Und das ist sicher?" fragte Fran ungläubig.

"Ja klar, wir waren schon oft hier und es ist nichts passiert." meinte Ryan selbstsicher. Meine beste Freundin und ich wechselten kurz zögerliche Blicke. Sie waren drei halbwegs kampferfahrene Piraten, Fran und ich nur zwei Mädchen aus Green Harbour. Was für sie sicher war, war noch lange nicht für uns gefahrenlos.

"Wir sind auch bald wieder zurück.", beschwichtigte uns Ryan.

"Na gut, aber passt auf euch auf." sagte Fran, die immernoch etwas unsicher aussah. Unsere Piraten verabschiedeten sich von uns und verließen vorfreudig das Wirtshaus. Ich sah ihnen hinterher, zog meine Augenbrauen in der Mitte zusammen.

Kaum waren die drei aus der Tür getreten, fühlten wir uns beobachtet und unsicher. Jeglichen Blickkontakt vermeidend gingen wir also zurück zu Bar und warteten darauf, dass sich der alte Mann uns zuwandte.

"Was braucht ihr?" krächzte er mehr oder weniger freundlich.

"Wir hätten gerne ein Zimmer für eine Nacht!" antwortete ich und versuchte dabei einen weiteren Pistolenschuss zu übertönen.

"Einmal links, drei mal rechts, Treppe hoch, durch das Loch im Boden steigen, AUF KEINEN FALL AN ZIMMER 15 KLOPFEN, im Zimmer 19 seid ihr. Bezahlt wird im Voraus!" kommandierte er, woraufhin ihm Fran einen kleinen Beutel mit Münzen hinschob. Mit einem zahnlosen Lächeln warf er ihr in Gegenzug einen rostigen Schlüssel zu und widmete sich wieder anderen Gästen.

"Na dann mal los." seufzte Fran und so begaben wir uns auf die Suche.

-

Erst eine Viertelstunde später hatten wir endlich das Zimmer 19 gefunden und wollten uns nur noch ins Bett fallen lassen als...

"Ich hatte früher mit euch gerechnet!" rief uns die Stimme einer alten Frau entgegen, die mitten im Zimmer auf einem Sitzkissen saß, ein Set Karten vor sich ausgebreitet.

"Bitte was?" fragte ich verschreckt, aber nicht verwundert. Das war definitiv nicht unser Zimmer. Bei diesem bruchreifem und chaotischem Gebäude war es klar gewesen, dass wir uns verlaufen würden.

"Setzt euch bitte, ein kleiner Blick in die Zukunft gefällig?" murmelte sie geheimnisvoll und ich hörte wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, es war wohl nicht unsere Entscheidung ob wir bleiben würden.

"Wie hat sie das gemacht?" kam es verwirrt von Fran, die noch einen letzten Blick zu der verschlossenen Tür warf. Ich zuckte mit den Achseln und setzte mich mit einem misstrauischem Blick vor die alte Dame, Fran nahm neben mir Platz. Mir stieg ein seltsamer Geruch nach Kräutern in die Nase. Das ganze Zimmer war vollkommen abgedunkelt, nur die Kerzen auf dem Tisch der alten Frau spendeten schwaches Licht.

"Nur ein Tropfen Blut..." raunte sie weiter und zog ein kurzes, silbernes Messer hervor. Fordernd streckte sie ihre Hand nach Fran aus, die nahm ihr jedoch das Messer ab und schnitt sich selber in den Finger. Im Nachhinein betrachtet war es unverantwortungslos, einfach zu tun, was die Alte sagte. Aber in diesem Raum fühlte es sich so an, als wären die Sinne benebelt.

Die blutige Klinge reichte meine Freundin dann an mich weiter, woraufhin ich es ihr gleich tat. Die Wunde schmerzte, doch es war mir unangenehm das unter dem Blick dieser alten Frau zu zeigen. Mit einem Lachen, das wie das Kreischen einer alten Elster klang, hielt sie das Messer über einen Messingkessel, aus dem es dampfte. Mit jedem Tropfen Blut, der in die Flüssigkeit fiel, zischte es laut auf.

Ich schaute zu Fran hinüber und sah, dass ihr die ganze Sache genauso komisch vorkam wie mir. Dann nahm die Frau einen alten, silbernen Kelch zur Hand und tauchte ihn in den Kessel ein. Ich runzelte die Stirn, als sie den Silberkelch wieder heraus nahm und die ganze Flüssigkeit darin austrank. Für einen kurzen Moment war es komplett still im Raum, sogar das Blubbern des Kessels hörte auf.

Doch plötzlich spannte sich der ganze Körper der alten Frau an, sie schloss ihre Augen und umklammerte den Tisch. Fran und ich wichen erschrocken zurück, doch dann beruhigte sie sich und öffnete ihre Augen wieder, die nun nur noch schneeweiß waren. Dann sagte sie mit einer rauen Stimme:

"Euer feuerrotes Segel in der Flut
Euch ist es schon bekannt
Und ein großes Schiff, bemannt
Um es zu finden braucht es Mut

Sonne und Mond haben es nie erblickt
Vom Anfang bis zum Ende nicht
Viele Männer sahen nie wieder das Licht
Denn auch sie hat man danach geschickt

Wer sucht kann es nicht finden
Wer vertraut dem Sturm wird Glück erfahren
Wer glaubt dem Strom bei dem wird sich das Gold in Massen scharen
Wer flucht wird in den Wellen schwinden"

Im nächsten Moment spannte sich die Frau noch einmal an, doch dann beruhigte sie sich endlich und atmete schnell aus und ein. Hinter uns hörte ich das Klicken eines Türschlosses. Ich wechselte kurz einen Blick mit Fran, dann sprangen wir auf und rannten nach draußen.

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt