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𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

Die ganze Nacht über machten wir kein Auge zu, die Angst davor, dass Frans Vater doch nicht nach Plunder Bay segelte, war zu groß. Zwar hatte er keine Wahl, aber ein wenig nervös waren wir trotzdem. Die Zelle war definitiv zu klein für uns alle und auf dem Boden hatten sich Pfützen gebildet. So blieb uns nichts anderes übrig als die Nacht sitzend auf den etwas trockneren Stellen der Holzplanken zu verbringen.

Wir hatten Finn ungefähr erklärt wo wir uns laut der Karte am letzten Abend noch befunden hatten.

"Wenn das Schiff jetzt den Kurs nach Plunder Bay aufnimmt, werden wir wahrscheinlich im Morgengrauen die Küste erreichen." erklärte er mit gerunzelter Stirn.

Seine Worte hatten bewirkt, dass wir alle bereit waren, als das Kreischen der Möwen Land verkündete.
So langsam erwachte die Besatzung des Schiffes wieder, wir konnten das Trampeln der schweren Stiefel und die lauten Kommandos hören. Gespannt sahen wir alle den Gang hinab und warteten auf irgendein Zeichen.

"Scheinbar lassen sie das Schiff in ihren Hafen einlaufen, aber es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit bis sie angegriffen werden." stellte Jim fest, woraufhin ich nickte. Wir konnten hören, wie die Männer an Deck das Schiff anlegten, als plötzlich ein Schuss ertönte.

Das war das Stichwort.

Sofort machte sich Jonah daran, das Schloss an der Gefängnistür zu knacken.

Nur einen Moment später waren wir alle befreit und rannten durch die dunkeln Gänge. Jim, der an der Spitze war, stieß dann die Tür zum Deck auf, wo schon der Kampf zwischen den Piraten aus Plunder Bay und der Schiffsbesatzung tobte. Die Besatzung von Frans Vater hatte wohl nicht wirklich mit einem Kampf gerechnet, was wohl daran lag, dass Plunder Bay nur halboffiziell ein Piratenhafen ist. Wahrscheinlich hatten sie angenommen, mehr oder weniger neutral empfangen zu werden.

"Lass dich nicht umbringen!" rief ich noch Frances hinterher, die schon zwischen den ganzen Kämpfenden verschwunden war. Nun würde sich herausstellen, ob wir in den vergangenen Wochen wirklich gelernt hatten, wie man mit einem Schwert umging.

Schnelle Schritte hinter mir ließen mich aufhorchen, alarmiert drehte ich mich um. Dort rannte einer der Matrosen des Gouveneurs mit gezückter Pistole auf mich zu. Noch bevor er abdrücken konnte, schlug ich ihm die Hand, in der er die Pistole hielt, ab.

Blutend taumelte er nach hinten und fiel schreiend über Bord.
Das Adrenalin pumpte durch meinen Körper, ich hatte das Gefühl viel schärfer zu sehen und mich schneller als sonst zu bewegen.

Plötzlich sah ich Frans rotes Kopftuch hinter 2 Männern aufblitzen, die sich lautstark duellierten. Sofort lief ich auf sie zu, als ich plötzlich stolperte. Verdammtes Kleid! Als ich mich umwandte, stand dort einer der Männer von Frans Vater auf meinem Rocksaum und grinste dreckig. Noch bevor ich mich wehren konnte, tauchte Jim neben mir auf und holte aus. Mit einem hässlichen Geräusch verpasste er dem Matrosen einen Faustschlag ins Gesicht, der daraufhin die Treppe hinabtrudelte.

"So behandelt man wirklich keine Lady!" rief er dem reglosen Mann zu und grinste mich an.

"Das hätte ich auch selber geschafft!" antwortete ich, woraufhin Jim noch breiter grinste.

"Weiß ich doch, also revanchiere dich einfach irgendwann!" meinte er, bevor er wieder verschwand. Wütend säbelte ich mein Kleid auf etwa Knielänge ab und widmete mich, zufrieden über die neue Beinfreiheit, einem weiteren Matrosen des Gouveneurs.

Die ganze Zeit über hatte ich mich hauptsächlich auf dem Heck des Schiffes aufgehalten. Doch da hier sonst niemand war den ich kannte, beschloss ich es weiter vorne zu versuchen. Ich überquerte also das Schiff und sah zum ersten Mal seit dem Anfang des Gefechts Jake wieder. Er war gerade damit beschäftigt verbissen gegen einen großen, sonnengebräunten Matrosen zu kämpfen. Jake machte sich ziemlich gut, trotzdem fiel mir auf, dass er bereits an der Schulter blutete.

Ohne zu zögern zog ich meine Pistole und jagte dem fremden Mann eine Kugel in den Hinterkopf. Ich wartete die Reaktion meines Freundes nicht weiter ab, sondern rannte weiter über die vom Blut verfärbten Planken zur Kapitänskajüte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich dort vor einem Moment noch Finns Haarschopf gesehen hatte.

Doch plötzlich sprang mir ein blutverschmierter Mann entgegen, der einen lauten Schrei ausstieß. Ich war mir ziemlich sicher, dass es nicht sein eigenes Blut war. Ich versuchte auszuweichen, doch die Spitze der Klinge erreichte mich trotzdem. Ein scharfer Schmerz durchfuhr meine Wange und Blut lief mein Gesicht herab. Noch bevor ich meine Waffe ziehen konnte, zuckte der Mann zusammen und begann Blut zu husten.

Kraftlos sank er auf den Boden und keuchte schmerzerfüllt, der Grund dafür war das blutige Messer in Jakes Hand. Er hielt sich zwar immer noch die Schulter, wo der Blutfleck immer größer wurde, grinste jedoch breit.

"Danke!" rief ich und wischte mir die Bluttropfen aus dem Gesicht, die langsam meine Wange hinunterliefen.

"Kein Problem! Hast du Finn und Fran gesehen?" fragte er, worauf ich nickte, ihn an der Hand nahm und in die Richtung der Kapitänskajüte zog.
Die Tür der Kajüte war längst herausgerissen und ich konnte dort mehrere Leichen liegen sehen, scheinbar alle gestorben durch die Pistole in der Hand des Gouveneurs.

Er saß immer noch auf seinem großen Sessel hinter dem Schreibtisch, scheinbar bereit jeden zu töten der sich ihm auch nur nähern sollte.
Doch ich hatte Recht gehabt.
Direkt vor den Augen ihres Vaters kämpfte Fran Rücken an Rücken mit Finn gegen die heranstürmenden Matrosen. Es war einer der letzten Kämpfe der noch an Bord ausgetragen wurde, sonst waren die größten Teile der Männer von Frans Vater bereits tot.

Kaum hatte Finn dem Letzten sein Messer in die Brust gerammt, wandte er sich dem Gouveneur zu. So gefährlich wie jetzt, voller Blut und mit diesem hasserfüllten Blick, hatte ich Finn noch nie gesehen. Er stand genau dort vor der Tür wo ihn Frans Vater nicht übersehen konnte, zog Frances an sich und küsste sie.

Das Laden der Pistole in der Hand des Gouveneurs klang unnatürlich laut, als Finn ohne weiter zu zögern in das Büro trat. Als der Schuss ertönte, zuckte ich zusammen. Nervös liefen Jake und ich zu Frances, doch sie starrte immer noch gebannt in das Büro.

Finns Arm blutete heftig, doch selbst von der Tür aus konnte ich sehen, dass er lächelte.
Hastig versuchte der Gouverneur nachzuladen, doch wir alle wussten, dass es zu lang dauerte.
Mit ein paar Schritten war Finn schließlich bei ihm, holte mit dem unverletzten Arm aus und schlug zu.

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