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𝐹𝑟𝑎𝑛𝑐𝑒𝑠

Diese Nacht schlief ich überraschend gut, obwohl ich von dem Schnarchen von einem unserer Entführer ziemlich lange wachgehalten wurde. Am Morgen wachte ich erst auf, als mir Carrie wiederholt auf die Schulter stupste.

"Was ist?", murmelte ich und öffnete widerwillig meine Augen. Carrie stand über mich gelehnt und sah mich erwartungsvoll an.

"Schau mal, die sind alle weg!", erklärte sie mir ungeduldig und deutete auf die leeren Hängematten neben uns. Müde richtete ich mich auf und schaute mich im Raum um: Weit und breit keiner zu sehen.

"Komm, sehen wir uns mal um!", wisperte Carrie aufgeregt und schon war sie hinter ein paar Kisten verschwunden.

"Nein, warte! Was ist, wenn sie uns entdecken? ", Panisch hob ich die Hände und wollte sie aufhalten, doch bekam von ihr keine Reaktion zurück. Naja, irgendwie interessierte es mich auch, was die Piraten hier alles lagerten. Seufzend zwang ich mich, aufzustehen und ihr zu folgen. Inzwischen kramte meine beste Freundin in einer alten Truhe und sah ziemlich enttäuscht aus, als sie nur einen kaputten Kompass, staubige Bücher und ziemlich viele leere Rumflaschen fand.

"Das sind die schlechtesten Piraten, von denen ich je gehört habe.", stellte sie fest und klappte die Truhe wieder zu. Ich nickte zustimmend, als wir plötzlich draußen Schritte hörten. Wir wechselten panische Blicke, dann stolperten wir so schnell wie möglich zurück zu unseren Hängematten. Genau in dem Moment, indem wir sie erreicht hatten, wurde die Tür schwungvoll aufgerissen und Jake stand vor uns.

"Guten Morgen, Ladys.", begrüßte er uns. "Kommt mit."

Schweigend folgten Carrie und ich ihm hinauf aufs Deck. Dort angekommen sahen wir Finn und Ryan, die über einen Tisch gebeugt waren und offensichtlich ziemlich angespannt diskutierten. Als sie uns sahen, hörten sie auf und winkten uns zu sich hoch.

"Was braucht ihr?", fragte ich, denn ich hatte bereits ein unwohles Bauchgefühl. Finn biss sich auf die Lippen:

"Kennt sich eine von euch gut mit Topographie aus?" Synchron schüttelten Carrie und ich den Kopf und antworteten:

"Nicht wirklich."

Finn seufzte müde und wechselte kurz Blicke mit den anderen. Ich kannte diese Typen nicht, aber so ein Gesichtsausdruck konnte einfach nichts Gutes bedeuten.

"Kann uns einer verraten, was hier los ist?", fragte nun Carrie und sah die jungen Männer abwartend an.

"Es kann sein, dass ...", murmelte Jake.

"Es kann sein, dass?", fragte ich weiter und verschränkte die Arme vor der Brust. Die mussten wohl ordentlich versagt haben, wenn sie sogar Angst davor hatten, Carrie und mir, ihren Gefangenen, davon zu erzählen.

"Eventuell haben wir...", sprach nun Ryan weiter.

"Wir haben unsere Karte während dem Sturm draußen liegen gelassen und jetzt ist sie unlesbar.", beendete Finn den Satz und trat mit Ryan beiseite, damit wir den nun wertlosen Papierfetzen begutachten konnten. Man konnte nur noch verschwommenes Blau mit ein paar roten Punkten erkennen, das allmählich in einen hellen Braunton überging.

"Ernsthaft?", platzte es aus Carrie und mir gleichzeitig heraus.

"Aber ihr wisst doch, wo wir hinmüssen, oder?", fragte ich hoffnungsvoll weiter. Lieber ließ ich mich gefesselt auf eine Insel bringen als orientierungslos auf einem kleinen Schiff im Meer herumzufahren und dort langsam zu sterben. Meine schlechte Vorahnung bestätigte sich aber leider, als Jake den Kopf schüttelte.

"Wieso ist niemand von euch zwei Idioten auf die Idee gekommen, die Karte mit rein zu nehmen?", fragte plötzlich Ryan. Jake sah ihn provozierend an und erwiderte:

"Du hattest sie als letztes, Vollidiot!"

"Ich bin es eben gewohnt, dass Finn immer alles hinter mir wegräumt!"

Finn sah ihn entrüstet an:

"Dein Ernst? Ich soll daran Schuld sein? Ich war mit deinen Geiseln beschäftigt!"

"Meine Geiseln? Nur weil ich die Idee hatte, sie zu entführen, bin noch lange nicht ich allein für sie verantwortlich!"

Die stritten offenbar noch länger. Also nickte ich Carrie zu, dann entfernten wir uns langsam von den dreien.

"Die kriegen es wirklich noch hin, uns versehentlich umzubringen.", stellte Carrie fest. Als wir weit genug von ihnen entfernt waren, lehnte sie sich an die Reling der Schiffs und sah hinaus aufs offene Meer.

"Wenigstens haben wir etwas erlebt, bevor wir sterben.", gab ich ironisch zurück und ließ auch meinen Blick über die See schweifen. Laut der Sonne war es später Vormittag. Sie brannte auf uns hinab und weit und breit war kein Land zu sehen. Gestern um diese Zeit hatte ich gerade Carrie getroffen und über Tomlinson gelästert. Jetzt waren wir gemeinsam in den Händen von drei offenbar komplett hirnlosen Piraten.

"Hey! Ihr könnt nicht einfach so abhauen!", hörte ich auf einmal Ryan hinter uns rufen, als sie ihre Diskussion beendet hatten. Ich verdrehte die Augen und meinte:

"Müssen wir jetzt wieder an den Mast?"

"Ähh...", kam es von Ryan. Ich sah ihn flehend an und hoffte inständig, dass er Nein sagte.

"Sie könnten uns doch nützlich sein.", warf Finn ein, wofür ich ihm zutiefst dankbar war. Irgendwie war er süß. Nun sagte auch Jake:

"Sie können unseren Zwieback zählen, schauen, wie lang er noch reicht." Neben mir verdrehte Carrie kaum merklich die Augen. Welcher Pirat sticht in See, ohne zu wissen, wie viel Essen er an Bord hat? Trotzdem bedankten wir uns bei ihnen, noch einen Tag an diesem Mast hätte ich nicht ausgehalten.

Also brachte uns Jake wieder unter Deck zu ihrer Vorratskammer, wo wir uns hochmotiviert an die Arbeit machten. Die Zeit verging langsam und nach etlichen Malen Nachzählen hatten wir endlich ausgerechnet, dass unsere Vorräte noch für etwa zwei Wochen reichen würden - wenn wir sparten.

"Ich will nicht mehr.", sprach Carrie das aus, was wir uns beide dachten und legte müde den Kopf in ihren Nacken. Ich seufzte erschöpft als Antwort und legte den letzten Apfel zurück in die Kiste.

In diesem Moment hörte ich Jake draußen laut und deutlich "Land!" rufen. Sofort rannten Carrie und ich wieder an Deck und in die Richtung der Piraten. Diese standen alle gemeinsam am Rand des Schiffes und schauten glücklich hinaus aufs Meer. Jake hatte ein großes Fernrohr in der Hand und ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ziemlich weit weg von uns konnte ich die Umrisse einer kleinen Insel erkennen.

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