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𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

Ryan, Jake und Finn brauchten nur einen Moment um sich unserer Geschichte anzupassen und mitzuspielen. Vor allem Ryan war ganz in seinem Element, als einer der Matrosen misstrauisch fragte, warum wir als Händler keine Crew hatten.

"Das ist doch jetzt komplett egal, mein Schiff ist weg! Ein wunderschöner Zweimaster, frisch geteert!" jammerte der Pirat und seine Augen waren tatsächlich sogar ein wenig rot. Das lag wohl daran, dass er seinem Schiff wirklich hinterher trauerte. Ihm als Captain musste viel an der Dragonfly liegen.

"Kein Handelsschiff lässt sich mit fünf Leuten steuern und Zweimaster sind die auch nicht!" kam es darauf ungehalten von diesem nervigen Matrosen.

"Unterstellen Sie uns gerade Lügen?" zischte ich ihn angriffslustig an, Fran stimmte sofort mit ein:

"Nicht jeder Händler gehört zu den großen Unternehmen, aber laut ihrer unfreundlichen Reaktion auf uns könnte man fast meinen Sie haben eine Abneigung gegen uns!"

"Ja! Sie würden uns doch am liebsten wieder auf der Insel absetzen, nicht wahr?" fuhr Jake beleidigt fort.

"Und sowas nennt sich die Royal Navy!" meinte nun auch Finn abfällig, der Matrose schien sofort um zwei Köpfe geschrumpft zu sein. Ich konnte nicht anders, als beeindruckt zu grinsen: Die drei regten sich auf einem Schiff der Royal Navy, dem größten Feind der Piraterie, über die Navy auf, und kamen ohne Probleme damit davon.

"Oh bitte, nehmt es ihm nicht übel! Ihr seid unsere Gäste, niemand hier hegt Abneigung gegenüber euch!" lachte Lily charmant.

"Wir nehmen euch sehr gerne bis zum nächsten Hafen mit, wir sollten ihn morgen Früh erreichen. Können wir euch in der Zwischenzeit etwas anbieten? Etwas zu Essen vielleicht?" Besänftigt folgten wir Lily in die Kombüse, wo sie uns eine reichliche Mahlzeit zubereiten ließ.

Während wir aßen, erzählten wir ihr eine etwas abgewandelte Form der Geschehnisse der letzten Tage. Unsere Gastgeberin hörte uns aufmerksam zu, und es schien sie gar nicht zu stören, wie viel Stuss Ryan redete.

"Das ist das letzte Mal passiert als er mit 13 in Lizzie Adams verknallt war!" flüsterte uns Finn leise zu, was ziemlich viel erklärte. Doch überraschender Weise schien auch Lily jedes Mal nervös zu kichern, wenn sie Augenkontakt mit Ryan hatte.

Nach circa einer Stunde hatten wir keine Lust mehr den beiden beim Flirten zuzusehen, und beschlossen an Deck zu gehen. Dort standen wir der fremden Crew jedoch bloß im Weg, weshalb wir uns vorne an den Bug stellten, um auf das Meer hinauszuschauen. So langsam war wieder Küste zu sehen, Finn und Jake schienen die Gegend auch zu kennen. Als Fran fragte, wo wir uns gerade befanden, kam jedoch bloß ein nervöses Lachen und

"Ziemlich weit weg von eurem Hafen!" zurück.

Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich gegen eine Wand. Heute war ein verdammt anstrengender Tag gewesen. Deshalb wunderte es mich nicht, als sich auch Fran neben mich setzte und ihren Kopf an ihrer Hand abstützte. Da waren wir: Auf einem fremden Schiff der Royal Navy, weit weg von zuhause.

Ich wusste immer noch nicht, wieso wir unsere Entführer heute verteidigt hatten. Diese Idioten hatten uns aus unseren Leben gerissen! Naja, aus unseren langweiligen Leben. Was dachte ich da eigentlich? Ich sollte doch einfach so schnell wie möglich wieder nachhause wollen! Verwirrt über mich selbst schloss ich die Augen und keine fünf Minuten später nickte ich schon ein.

Die Sonne ging schon langsam wieder auf, als wir unser Ziel erreichten. Den Rufen der Matrosen nach war es French Harbour, ein Hafen, von dem ich noch nie gehört hatte. Fran und ich richteten uns auf, wir hatten doch tatsächlich hier draußen am Boden übernachtet! Sofort sprangen wir auf und rannten zur Reling, um uns den unbekannten Hafen anzusehen. Doch dort sah ich etwas, das ich sehr wohl kannte.

"Ich glaub's nicht, da ist die Dragonfly!" rief ich verblüfft den anderen zu und deutete auf das Piratenschiff. Es dümpelte friedlich zwischen mehreren größeren Schiffen und sah mit ein wenig Fantasie tatsächlich wie ein kleines Handelsschiff aus.

"Wir müssen sofort Ryan Bescheid sagen!" rief Jake und rannte mit Finn los, um ihren Freund zu holen.

"Warum zur Hölle freuen wir uns eigentlich über das Schiff?" murmelte mir Fran alarmiert zu, was mich ebenfalls misstrauisch machte. Doch es blieb keine weitere Zeit darüber nachzudenken, denn plötzlich standen Finn, Ryan, Jake und Lily vor uns.

"Wir holen euer Schiff zurück, keine Sorge!" meinte Lily grimmig und lief los um sich mit ihrer Mannschaft zu besprechen. Etwas verblüfft hob ich die Augenbrauen: Sie kannte uns gar nicht und war trotzdem dazu bereit, uns unser Schiff zurück zu erobern.

"Sie hat so einen starken Gerechtigkeitssinn!" schwärmte Ryan und sah ihr hinterher. Ungeduldig schnipste ich zweimal mit den Fingern vor seiner Nase, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

"Was genau hat sie vor?" fragte ich, woraufhin er sich räusperte:

"Sie schickt ein paar Männer auf das Schiff, wir kommen selbstverständlich mit. Es ist noch zu früh für den Pub, deshalb sind sie sicher noch an Bord. Ihr bleibt hier, sie haben ja unsere Waffen." Mit einem Nicken signalisierten Fran und ich, dass wir verstanden hatten und wollten gerade gehen, als Finn Fran an ihrem Arm zurückhielt:

"Ihr stellt euch vorne an den Bug, der ist von der Dragonfly gut sichtbar. Solltet ihr fliehen wollen, sehen wir das und holen euch zurück, dann sind wir aber nicht mehr so nett zu euch wie bisher. Wir haben keine Ahnung warum ihr uns hier gedeckt habt, doch wenn ihr denkt wir vertrauen euch, das tun wir nicht!"

Wir waren so verwirrt von der plötzlichen Strenge in seiner Stimme, dass wir einfach nickten und taten, was er sagte.

"Das sind leere Drohungen, wir könnten sehr wohl fliehen wenn wir wollten." stellte ich leise fest, als ich mich zum Bug stellte und die Arme verschränkte.

"Grundsätzlich wäre ich auch dafür zu fliehen, doch um ganz ehrlich zu sein: Ich habe mich noch nie so frei gefühlt wie in den letzten Tagen!" antwortete mir meine Freundin und wir sahen uns besorgt an.

Gerade als das Beiboot mit den Männern zu Wasser gelassen wurde und auf die Dragonfly zusteuerte, stellte sich Lily neben uns.

"Es war ein hartes Stück Arbeit meine Leute dazu zubringen für völlig Fremde zu kämpfen." meinte sie und sah besorgt auf das Boot hinab. Das waren genau die Worte, die ich gebraucht hatte, um ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Wir hatten Lily angelogen. Sie hatte keine Ahnung, dass sie ihre Leute für drei Piraten in den Kampf geschickt hatte!

"Ihr hättet das nicht tun müssen, gerade deshalb sind wir dir so unendlich dankbar." antwortete ihr Fran. Es war uns beiden nicht recht, unsere Gastgeberin so zu benutzen. Lily verabschiedete sich wieder um etwas mit einem ihrer Offiziere zu besprechen, während wir unsere Blicke starr auf die Dragonfly gerichtet hatten.

Der Wind pfiff durch die Segel und wir schwiegen, der Kampf begann.

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt