Pure Erleichterung machte sich in mir breit, als ich Jake und Carrie aus dem Wald kommen sah. Ich ließ Jolenes Hammer fallen und rannte auf die beiden zu.
"Wo seid ihr so lange gewesen? Geht's euch gut?", fragte ich und legte besorgt den Kopf schief. Für einen kurzen Momenr herrschte Stille und ich könnte schwören, dass die beiden kurz Blicke gewechselt hatten, ehe Jake meinte:
"Der letzte Verkäufer wollte die Ware nicht rausrücken, weil Carrie laut ihm eine Hexe war."
"Wir haben sie uns trotzdem geholt und eben anders bezahlt.", fuhr Carrie stolz fort und spielte mit der Pistole in der Hand. Ich hob die Augenbrauen, sagte aber nichts dazu. Für einen kurzen Moment herrschte eine unangenehme Stille zwischen uns, bis Jake sich durch die Haare fuhr und sich an Finn neben mir wandte:
"Äh ich geh' dann Mal zu Sam und bringe ihm den Desinfektionsalkohol. Finn, kommst du?" Mein Freund nickte und folgte Jake zu Jolenes Hütte, um die sich unsere Crew inzwischen ein kleines Lager aufgebaut hatte.
"Jolene hat gesagt, dass sie in ein paar Tagen mit den Schiff fertig ist, wenn wir alle-"
"Ich muss dir etwas erzählen!", unterbrach mich Carrie und zog mich vom Waldrand weg hinüber zum Ufer. Dort huschten ihre Augen schnell prüfend über die ganze Umgebung, dann atmete sie tief ein:
"Jake und ich haben uns geküsst." Obwohl es mich nicht sonderlich überraschte, klappte mir trotzdem der Mund auf:
"Was?!" Sie nickte und sah mich abwartend an, als erwartete sie, dass ich noch mehr dazu sagte. "Ähm, das freut mich für euch! Seid ihr jetzt zusammen?"
"Ich denke schon.", murmelte Carrie unsicher. Es vergingen wieder ein paar Sekunden, dann hob sie amüsiert die Mundwinkel: "Andere Frauen rebellieren gegen ihre Eltern, indem sie unpassende Kleider tragen, wir verknallen uns in Piraten!" Wir konnten es uns nicht verkneifen, also lachten wir laut los.
Die nächsten Tage vergingen ereignislos und friedlich. Am Tag halfen wir Jolene beim Reparieren der Dragonfly und am Abend saßen wir um ein Lagerfeuer und lauschten dem Rauschen des Meeres. Obwohl die Ruhe gut tat, konnte ich es nicht abwarten, wieder in See zu stechen und nach dem Schatz zu suchen. Carrie und ich hatten uns inzwischen an ein aufregendes Leben und das Meer gewöhnt, hier am Land gab es nicht viel mehr als Langeweile. Die einzigen "Highlights" waren ein paar kleine Außeinandersetzungen zwischen Jim und Jolene, denn Jim wollte nicht, dass sie sich in Gefahr begab. Nach den ersten Tagen hatte er sich aber geschlagen geben müssen, seine Schwester blieb stur.
Unseren Kameraden ging es mit der Langweile wohl genau so, denn man konnte die Euphorie förmlich riechen, als wir nach einer Woche endlich in See stachen.-
"Müssen wir jetzt wirklich alle Inseln hier in der Nähe abfahren?", fragte Sam unmotiviert und warf einen letzten Blick auf das inzwischen weit entfernte Plunder Bay.
"Ryan ist unser Captain, natürlich müssen wir das!", zischte Elias, ehe er seinen Kopf wieder in sein kleines, in Leder gebundenes Buch steckte und fleißig mit der Feder weiter auf das Papier kratzte. Ich fragte mich, was er wohl die ganze Zeit schrieb, denn er wollte es keinem von uns zeigen.
Die fehlende Motivation steckte aber mit der Zeit große Teile der Crew an, als wir nach der siebsten Insel immer noch keine Spur von Ryan gefunden hatten. Finn, Jake und Jim ließen es sich zwar nicht anmerken, Carrie und ich konnten aber spüren, wie sie genau wie wir immer nervöser wurden. Eines stand jedoch fest: Wir würden erst zu den Schwarzen Strömen aufbrechen, wenn wir wussten, was mit Tiger, Lily und Ryan passiert war.
"So viele Inseln gibt es hier nicht, das kann doch nicht sein!", fluchte Finn, der sich über unsere Karte gebeugt hatte, sich ratlos durch die hellbraunen Haare fuhr und sie damit total zerstrubbelte. Es war früh am Morgen, die Sonne kletterte gerade den Himmel hoch, als auch Jake aus der Kajüte stapfte und sich zu uns an Deck gesellte. Nur Carrie, Finn, Jonah, Jake und ich waren schon wach.
"Neuigkeiten?", fragte er und gesellte sich zu Carrie, die ihre Arme verschränkt hatte und sich gegen die Reling lehnte.
"Nein.", gab sie ihm knapp als Antwort und biss sich nachdenklich auf die Lippen.
"Aber wir müssen doch-"
"Leute, schaut!", unterbrach mich Jonah, die oben am Mast stand und ihr Fernrohr in die Richtung einer kleinen Insel richtete. Aufgeregt folgten wir ihrem Blick. Zuerst sah ich nur den weißen Sand vor den Palmen, doch dann fiel mein Blick auf die zwei kaum sichtbaren Figuren, die wild mit den Armen fuchtelten und nach uns riefen. Meine Miene erhellte sich sofort: Lilys roten Haarschopf würde ich überall erkennen.
-
Wenig später hatten wir ihre Insel erreicht und halfen den beiden, an Bord zu klettern.
"Wieso hat das so lange gedauert?", fragte Ryan grinsend und beutelte sich den Sand von seinem weißen Leinenhemd. Es war wegen der Hitze oben nicht ganz zugeknöpft und seine Ärmel hatte er zurück gekrempelt. Seine schwarzen Haare standen unordentlich in alle Richtungen und er schien etwas abgenommen zu haben, doch der Stolz in seinen Augen war immernoch derselbe wie der, als er Carrie und mich entführt hatte. Auch Lily hatte die Ärmel ihres Kleides abgerissen und ihre feuerroten Haare zu einem unordentlichen Zopf gebunden, ihre Wangen waren wegen der Sonne etwas gerötet.
"Wir mussten zuerst Frans Vater umbringen und die Dragonfly reparieren.", antwortete Jake ebenfalls grinsend, als er Tiger auf das Schiff hob. Dieser winselte glücklich und sprang Carrie und mir sofort in die Arme. Ryan nickte anerkennend:
"Der Typ war sowieso nur nervig, das hat er verdient. Ist sonst noch etwas passiert, während ich weg war?"
"Ähh...", kam es peinlich berührt von Carrie, Jake, Finn und mir. Nicht nur Ryan und Lily waren sich in den letzten Tagen näher gekommen. Unser Captain runzelte kurz die Stirn, ehe er es begriff und belustigt die Augen verdrehte:
"Da lässt man euch einmal kurz alleine und dann das?"
"Als ob du besser wärst- immerhin warst du mit der rothaarigen Schönheit alleine auf der einsamen Insel!", hörten wir auf einmal Jims Stimme hinter uns. Lily lief sofort rot an, während Ryan sich verlegen lächelnd durch die Haare fuhr.
Zum Glück wechselten wir sofort das Thema, denn Jim schloss Ryan genau wie wir ein paar Minuten vorher glücklich in die Arme. Nach der Umarmung sah uns Ryan entschlossen an und setzte sich seinen Hut wieder auf:
"Also, finden wir endlich diesen beschissenen Schatz."
Die Fahrt zu den Schwarzen Strömen dauerte insgesamt nur ein paar Tage. Von Tag zu Tag wurde unsere Stimmung jedoch angespannter. Die Legenden, die sich um diesen Ort woben, machten uns allen zu schaffen. Das Meer unter uns wurde immer dunkler und dicke Wolken sammelten sich am Himmel über uns.
"Wir sollten eigentlich schon da sein.", murmelte Jim nachdenklich. Ich wechselte ängstliche Blicke mit Carrie und Lily, die sich seit dem Inselaufenthalt mit Ryan frei an Bord bewegen durfte. Ich ging hinüber zu Finn, der angespannt an der Treppe saß und ließ mich neben ihm fallen. Sofort verschränkten sich unsere Finger ineinander.
Als wir noch weit entfernt von dem Strömen gewesen waren, hielten wir es alle für eine gute Idee, hierher zu fahren. Doch nun sah ich in den Augen jedes einzelnen Mitglieds der Crew, dass wir einfach nur wieder wegwollten.
"Ähm kommt es nur mir so vor oder fahren wir schneller als vorher?", fragte Jolene und zog nervös die Augenbrauen zusammen. Sofort sprangen wir auf und lehnten uns über die Reling. Und tatsächlich, wir bewegten uns schon viel schneller als davor.
Wir waren da.
Ryan reagierte am schnellsten:
"Sucht euch alle etwas zum Festhalten! Wir müssen uns treiben lassen, sonst überleben wir das nicht! Ich schneide jedem persönlich die Hand ab, der es wagt, das Steuerrad anzufassen!"
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Die Dragonfly-Chroniken
Humor„Ladys, willkommen an Bord der Dragonfly. Fühlt euch wie zuhause!", verkündete der Braunäugige und klatschte triumphierend in die Hände. Dann sagte er an die anderen beiden gewandt: "Finn, Jake, bindet sie an den Mast." - Carrie und Frances kennen...