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𝐹𝑟𝑎𝑛𝑐𝑒𝑠

Schnell fegten wir über die Dächer hinweg. Unter uns hörten wir hin und wieder erschrockene Aufschreie, aber es war uns egal. Jake und Jim hatten sogar ein großes Grinsen im Gesicht, immer, wenn uns von unten jemand sah. Glücklich schaute ich zu Carrie, die gerade von einem Dach auf das andere sprang. Wir hatten es geschafft, die beiden waren endlich wieder bei uns! Diese Freude hielt aber nur so lange, bis wir das letzte Hausdach erreicht hatten.

"Und jetzt?", fragte ich nervös in Jims Richtung. Ich hatte immer noch keine Ahnung, warum er uns überhaupt half, aber das war ja auch gerade egal. Ohne ihn hätten wir es vermutlich niemals bis zum Stadtrand geschafft.

"Wir müssen wieder runter und dann sofort in den Wald. Wo ankert denn die Dragonfly?", antwortete Jim, worauf ihm Finn die kleine Bucht beschrieb.

"Und Ryan und Tiger?", fragte Carrie verwirrt. Ich wechselte kurz Blicke mit Finn, dann zuckten wir kollektiv mit den Schultern. Unser Plan war so schlecht durchdacht, dass es mich wunderte, dass wir überhaupt so weit gekommen waren. Ryan würde das schon schaffen.

Also kletterten wir eine andere Leiter hinunter und wollten im Wald verschwinden, als plötzlich hinter uns ein Schuss ertönte. Wir fuhren erschrocken herum und sahen Ryan, der gerade mit Tiger um die Ecke bog. Meine Mundwinkel zuckten triumphierend nach oben, doch dann hörte ich Ryan panisch rufen:

"Schnell, wir müssen abhauen, die haben uns gleich!" Das nächste, was ich spürte, war Finns Hand, die mich in den Wald zog. Ryan und Tiger hatten uns bald erreicht und so kämpften wir uns tapfer durch das Gestrüpp. Ein Ast nach dem anderen Schlug mir ins Gesicht und das Dickicht zerriss mein Kleid und meine Haut. So hatten wir alls unzählige Kratzer, als wir vor Erschöpfung stehenblieben.

"Ich glaube, wir haben sie abgehängt.", stieß ich schnaufend hervor und lehnte mich gegen einen Baumstamm.

"Wir müssen trotzdem weiter. Die Bucht, in der die Dragonfly ist, ist eine bekannte Piratenbucht. Sie werden wissen, wo sie nach uns suchen müssen.", erklärte Jim. Das musste er uns nicht zweimal sagen, denn wir waren schon wieder auf den Beinen und rannten los.

Zu unserem Glück hatten wir unser Beiboot bald erreicht. Wir sprangen hinein und fingen wie wild an zu rudern. In dem Moment, in dem wir die Dragonfly erreicht hatten, hörten wir die Pistolenschüsse der Wachmänner.

"Kommt sofort zurück!", schrie uns einer zu, doch wir dachten nicht daran und kletterten die Leiter hoch.

"Holt den Anker ein! Segel setzen!", befahl Ryan und setzte die Crew in Bewegung.

-

Wenig später waren wir weit genug von der Küste entfernt, doch verloren trotzdem nicht an Tempo. Diese Menschen hassten uns so sehr, es war sehr sicher, dass sie uns verfolgen würden. Daran dachte ich gerade aber nicht, sondern drehte mich zu Carrie um, die ich in eine feste und lange Umarmung zog. Ich hatte verdammt nochmal gedacht, sie wäre tot!

"Danke!", sagte sie und wir ließen uns los. "Aber wie habt ihr uns gefunden?" Ich lächelte verlegen und kniete mich hinunter zu Tiger, um ihn zu streicheln:


"Glück. Wir wollten bei Jim eigentlich nach einer Meerhexe suchen, die uns helfen kann. Jim sagte dann aber, wir müssen sofort zum Hafen."

"Genau, wie hast du das eigentlich gemacht, Jim? Seit wann kannst du Dinge vorhersagen?", mischte sich Ryan ein. Jim zuckte mit den Schultern:

"Manchmal versuche ich es, habe es aber bis jetzt noch nie geschafft. Es hat mich selbst gewundert, dass ich damit wirklich Recht hatte."

"Und was machst du jetzt bei uns?", fragte Johanna falsch lächelnd. Sie war die Erste in der Crew, die überhaupt etwas sagte. Sie hatten alle nicht schlecht gestaunt, als wir statt zu dritt zu sechst zurückgekommen waren. Mit dieser Frage hatte sie aber zur Abwechslung einmal Recht: Wieso war Jim da? Dieser grinste und legte den Kopf schief:

"Das ist die erste Prophezeiung seit langem, die vielversprechend wirkt. Da ich euch geholfen habe, wäre es nur fair, wenn ich auch mitkommen darf." Er deutete auf seinen Reisebeutel. Wir wechselten alle irritierte Blicke, doch dann nickten wir. Er hatte Recht, er hatte ein Anrecht auf den Schatz. Und so wurde Jim ein Teil unserer Crew.

"Oh, wer ist denn diese Schönheit?", fragte er nun und ließ den Beutel fallen, um auf Lily zuzugehen. Diese sah ihn verwundert an.

"Ich... Ich bin Lily.", antwortete sie perplex und wusste offensichtlich nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte.

"Muss er jetzt ernsthaft auch noch mit unserer Gefangenen flirten?", murmelte Finn Jake zu, der düster nickte. Jim jedoch hörte die beiden nicht, sondern wandte sich fragend an Ryan:

"Und wieso habt ihr so eine Schönheit an den Mast gefesselt?" Wir sahen ihn verständnislos an, dann erklärte Carrie:

"Na wegen der Prophezeiung natürlich." Wir nickten zustimmend. Jim jedoch verdrehte die Augen und schlug seine Hand gegen die Stirn. Er ging wieder von Lily weg und auf uns zu. Niemand verstand gerade so richtig, was sein Problem mit Lilys Entführung war.

"Dürfte ich kurz mit euch reden? Alleine?", presste er hervor. Wir warfen uns irritierte Blicke zu, dann gingen Ryan, Finn, Jake, Carrie und ich mit Jim in unseren Schlafraum unter Bord. Kaum hatte Jim die Tür hinter sich zugeworfen, begann er:

"Bitte geht das nächste Mal sofort zu mir, wenn ihr eine Prophezeiung hört... Mit den roten Segeln war einfach nur die Dragonfly gemeint, NICHT DAS MÄCHEN DA DRAUẞEN!"

Einen Moment lang sagten wir alle nichts. Jake war der Erste, der ein kleines "Upsi." hervorbrachte.

"Was machen wir jetzt mit ihr?", fragte ich verzweifelt. Verdammt, wir hatten die Arme total umsonst entführt!

"Wir könnten sie gleich zurückbringen. Ihre Leute sind sicher noch am Hafen.", meinte Finn. Ryan schüttelte den Kopf:

"Kommt nicht in Frage. Wir sind ihrer Mannschaft jetzt schon dreimal entkommen und mit jedem Mal hassen sie uns mehr. Wenn wir ihre Freilassung nicht genau planen, bringen die uns um."

"Also nehmen wir sie mit?", fragte Carrie. Die Jungs nickten. Jake wandte sich an Ryan:

"Und wo geht's jetzt hin?" Ein triumphierendes Grinsen schlich sich auf Ryans Lippen:

"Zu den Schwarzen Strömen."

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt