𝐹𝑟𝑎𝑛𝑐𝑒𝑠
Erst als mein Vater halb bewusstlos war, ließ Finn von ihm ab und schüttelte seine eigene Hand. Ich sah auf den erbärmlichen Mann, der sich mein Vater nannte, herab, ehe ich meinen Blick von ihm abwandte und Finn noch einen erleichterten Kuss auf die Lippen drückte.
"Die in Plunderbay werden nicht zimperlich mit ihm umgehen, wenn sie ihn in die Finger bekommen. Darf ich, Fran?", fragte Jake leise und deutete auf die Pistole in seiner Hand. Ich schluckte, doch dann fiel mein Blick auf die Verletzungen meiner Freunde, allen voran Finns Schusswunde am Arm. Er musste so schnell wie möglich zu Sam und dort verarztet werden. Mein Vater hatte schreckliche Dinge getan, ein schneller Tod wäre das gnädigste, was er hier in Plunder Bay bekommen würde.
"Ja.", antwortete ich entschlossen, worauf Jake seine Waffe lud und auf den Kopf meines Vaters zielte.
"Noch irgendwelche letzten Worte?", fragte er kalt. Dad schaute zu mir hoch und sah mich flehend an:
"Frances, lass das bitte nicht zu." Ironisch, das war das erste Mal, dass er zu mir "Bitte" sagte. Mein Blick verfinsterte sich:
"Mein Leben war dir nie wichtig, wieso sollte ich mich um deines kümmern?"
In seinen Augen spiegelte sich purer Hass- von mir aus, wenn er so sterben wollte. Ich trat zurück und ließ Jake abdrücken. Er hatte sein Versprechen also wahrgemacht. Der Knall ließ mich nicht einmal zusammen zucken, trotzdem spürte ich einen leichten Schmerz im Herz.
Ich ignorierte ihn und griff nach Finns Hand, ehe wir zu viert aus der Kapitänskajüte gingen und das Schiff verließen.-
Wenig später saßen wir etwas abseits des Hafens und verarzteten die Verletzten unserer Crew am Strand. Sam eilte die ganze Zeit zwischen den Piraten umher und kümmerte sich um sie mit seinem kleinen Verbandskoffer. Wir waren alle lebend davongekommen, Finn hatte es mit seiner Schusswunde definitiv am schlimmsten getroffen. Als Sam ihm die Kugel entfernt hatte und seinen Arm verbunden hatte, setzten er, Jim, Jake, Carrie und ich uns auf zwei alte Baumstämme und sahen hinaus auf's Meer.
"Wie machen wir jetzt weiter?", fragte Carrie, die sich ein Tuch gegen ihre blutende Wange drückte.
"Der Gouverneur hat die Dragonfly als Trophäe mitgenommen. Ich bin dafür, dass wir sie vom Hafen holen und damit schnellstens nach Ryan suchen gehen."
"Und was, wenn Ryan-", ich sprach nicht weiter, denn alle wussten, auf was ich hinaus wollte. Finn schüttelte den Kopf:
"Ich weiß, es wirkt nicht immer so. Aber Ryan weiß, was er tut. Meistens zumindest." Ich nickte wenig überzeugt. Ich kannte Ryan nun schon ein paar Wochen lang und bis jetzt hatte er sehr selten so gewirkt, als wüsste er, was er tat.
"Ein Problem hätten wir da aber noch... Die Dragonfly ist zu beschädigt, um damit zu fahren.", warf Carrie ein. Jim lehnte sich nach vorne und ein vielsagendes Grinsen stahl sich auf seine Lippen:
"Zum Glück kenne ich da jemanden, der uns helfen kann und hier auf dieser Insel wohnt."
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"Darf ich vorstellen, das ist meine reizende Schwester Jolene.", sagte Jim stolz und zeigte auf das Mädchen neben ihm. Sie hatte kurze, blonde Locken und ihre grünbraunen Augen, die denen von Jim so ähnelten, funkelten uns an. Sie war fast gleich groß wie Jim und trug weite Handwerkskleidung. Wenn ich sie von weitem sehen würde, würde ich denken, dass sie ein Junge wäre. Ob das wohl Absicht war?
"Unser Schiff ist wirklich stark beschädigt und wir müssen so schnell wie möglich wieder in See stechen. Könnt Ihr uns dabei helfen?", fragte Finn und nickte hinüber zur Dragonfly, die wir mit viel Mühe in ihre kleine Bucht transportiert hatten. Jolenes Augen zuckten nur kurz zu dem Schiff, dann lächelte sie leicht:
"Kein Problem für mich." Erleichtert gingen Jake, Finn, Jim, Carrie und ich mit Jolene zur Dragonfly, damit sie den Schaden begutachten konnte, während die Crew zurück nach Plunder Bay stapfte um dort ein paar Besorgungen zu machen.
So spazierten wir auf dem Deck herum, während Jolene sich jeden Schaden genauer ansah. Sie machte sich keine Notizen, offensichtlich merkte sie sich alles auswendig. Als sie fertig war, verschränkte sie ihre Arme und meinte:
"Ich kann sie euch gerne in Ordnung bringen, aber das wird teuer. Vorallem wenn ich es gleich machen soll, ich habe nämlich noch ein paar andere Schiffe zu reparieren." Ich biss mir auf die Lippen, denn wir hatten so gut wie kein Geld mehr und mussten so schnell wie möglich aufbrechen, um nach Ryan zu suchen. Auch die anderen sahen etwas verzweifelt aus, denn Jim lehnte sich an den Mast des Schiffes und setze ein schwaches Lächeln auf:
"Aber Schwesterchen, gibt es keinen Rabatt für deinen Bruder?"
"Außerdem haben wir gerade viele Verluste erlitten!", warf Finn ein, doch Jolene schüttelte den Kopf:
"Alle Schiffe die ich reparieren muss haben Verluste erlitten, sonst wären sie jetzt nicht bei mir."
Kurz herrschte nachdenkliche Stille, dann stahl sich ein triumphierendes Grinsen in Jakes Gesicht und er sagte:"Wir sind gerade auf der Suche nach einem Schatz, laut Jim ist die Prophezeiung dazu vielversprechend." Jim nickte eifrig, ehe Carrie sich Jake anschloss:
"Wenn du uns hilfst, darfst du mitkommen und auch einen Teil des Schatzes haben."
Ich konnte sehen, wie Jolene nachdachte und schließlich nickte:"In Ordnung, aber ihr müsst mir dabei helfen."
Natürlich stimmten wir zu und wenig später waren Carrie und Jake schon auf dem Weg nach Plunder Bay, um dort ein paar Materialien für die Reparatur zu kaufen. Der Rest von uns blieb bei Jolene, um ihr zu helfen. Jim starrte währenddessen nachdenklich Löcher in die Luft, ich wollte ihn aber nicht darauf ansprechen.
Trotzdem war ich irgendwann so neugierig, dass ich seine Schwester nach dem vermeintlichen Grund fragte. Sie zuckte mit den Schultern und nahm den Schraubenzieher entgegen, den ich ihr aus ihrem Werkzeugkasten reichte.
"Vermutlich will er nicht, dass ich mitkomme.", meinte sie. Ich hob verblüfft die Augenbrauen:
"Wieso nicht?"
"Naja, ich glaube, er findet die Reise zu gefährlich für mich." Etwas irritiert sah ich ihr dabei zu, wie sie an unserem Schiff herumschraubte. Ich hatte Jim nicht so eingeschätzt, dass er sich große Sorgen um irgendjemanden machte - Jolene musste ihm wohl wirklich wichtig sein.
"Ironisch, denn ursprünglich hätte ich die Piratin von uns werden können.", sprach Jolene weiter, mehr zu sich selbst, als zu mir und Finn.
"Wie meinst du das?", fragte Finn interessiert.
"Eigentlich hätte Jim die Werkstatt übernehmen sollen und ich laut unseren Eltern mit irgendeinen Idioten eine Familie gründen sollen - dabei war von Anfang an klar, dass ich das sicher nicht machen und abhauen werde. Als sich aber herausgestellt hat, dass mein Bruder diese komische Gabe hat, durfte ich das Geschäft weiterführen."
Den letzten Satz sagte sie mit einen leichten Lächeln auf den Lippen. Das Handwerken war ihre Leidenschaft und ich war mir sicher, dass sie darin auch definitiv talentierter als Jim oder sonst irgendein Mann auf dieser Insel war. Vielleicht kleidete sie sich auch deshalb eher männlich, denn in ihrer Branche hatte man es schwer als Frau. Wir sahen ihr noch weiter beim Arbeiten zu und ich hoffte, dass Jake und Carrie bald wiederkommen würden. Komisch, dass sie schon so lange weg waren.
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Hallo! Was sagt ihr zu unserem neuen Charakter, Jolene? Und wo sind Ryan und Lily? Ihr habt inzwischen drei Viertel es Buches hinter euch gebracht, aber ich kann euch ein spannendes Finale versprechen!
Eure Fiffi <3
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Die Dragonfly-Chroniken
Humor„Ladys, willkommen an Bord der Dragonfly. Fühlt euch wie zuhause!", verkündete der Braunäugige und klatschte triumphierend in die Hände. Dann sagte er an die anderen beiden gewandt: "Finn, Jake, bindet sie an den Mast." - Carrie und Frances kennen...