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𝐶𝑎𝑟𝑟𝑖𝑒

Das Seil schnitt in meine Handgelenke, als uns die Männer durch das Unterholz eskortierten. An der Spitze lief Ryan, dem Bolton höchstpersönlich eine Pistole gegen die Rippen presste. Lily ging hinter ihm, der Rock ihres Kleides war stellenweise zerfetzt und in ihrem roten Haar hatten sich Blätter und kleine Zweige verfangen.

Sie starrte stumm auf den Boden, während ihr still Tränen über die Wangen liefen. Hinter ihr kämpfte sich Finn durch das Unterholz, ebenfalls einen der Männer an seiner Seite. Offenbar vermuteten sie, dass die größte Gefahr von den Jungs ausging, denn Sam und Jake wurden auch strenger bewacht. Alle drei sahen so aus als würden sie sich nur deshalb beherrschen können, da sie es Bolton nicht gönnten sie so verzweifelt und wütend zu sehen. Neben mir lief Frances der kleinen Gruppe hinterher, das Gesicht hinter ihren Haaren verborgen. Ich konnte nur ahnen was sie dachte, doch ich vermutete, dass wir beide ähnlich empfanden.

Die feuchte Hitze unter den Bäumen trieb uns und den Männern den Schweiß auf die Stirn, doch wir machten keine Pausen. So langsam erkannte ich den Pfad durch das Unterholz wieder, den wir heute schon einmal entlanggegangen waren. Die stickige Luft brachte erneut den Gestank mit, den Gestank des Raubtiers. Auch die anderen, die ein Teil der Dragonfly waren, sahen unruhig auf. Bolton und seine Männer bemerkten erst ein wenig später, dass es hier nach Verderben roch.

"Was ist denn das für ein Gestank? Wenn ihr vorhaben solltet uns in einem Moor oder dergleichen zu versenken, dann habt ihr euch geirrt." donnerte Bolton und machte einen Schritt auf Lily zu. Ich konnte sehen wie Ryans Hand vorzuckte, doch er hielt sich zurück. Aber als der feindliche Kapitän in Lilys Haar griff und sie zu sich herzog, hätte ich schwören können, dass Ryans Blicke töten konnten.

"Ryan, vielleicht sollte ich nicht dich bedrohen, sondern lieber sie. Du läufst nicht weg, wenn sie sich dafür eine Kugel einfängt." sagte Bolton und grinste dreckig, nur um dann Ryan von sich weg und Lily die Pistole in den Rücken zu stoßen. Doch der Kapitän der Dragonfly ignorierte Boltons Worte und sah nur Lily an. Keiner von beiden sagte ein Wort, aber wir alle wussten, dass sie sich einig waren. Sie würden nicht zulassen, dass man sie trennen würde.

Und so standen wir schließlich vor der Höhle, begrüßt von dem immer schlimmer werdenden Gestank und dem Knirschen von zerbrechenden Knochen unter den Stiefeln der Männer. Der Fliegenschwarm war noch größer als beim letzten Mal geworden und summte wie eine schwarze Wolke über uns.

"Wir sind da." knurrte Finn und sah düster in die Richtung des Höhleneingangs.

"Na gut, ihr da! Ihr kommt mit mir! Die Rothaarige und Ryan natürlich auch! Der Rest passt auf die anderen fünf auf!" kommandierte Bolton und gab Ryan das Zeichen vorauszugehen. Er knirschte daraufhin mit den Zähnen und ging voraus in die Dunkelheit.

Ich hatte den Impuls Lily und Ryan viel Glück zu wünschen, nur damit sie sich vielleicht noch ein letztes Mal umdrehten und wir ihre Gesichter sehen konnten. Doch es wäre zu auffällig gewesen, und so sahen wir der hilflos der kleinen Gruppe hinterher, die Mann für Mann die Höhle betrat.

Ein Rascheln hinter uns ließ mich zusammenfahren, doch wer schließlich aus dem Gebüsch trat, löste etwas völlig anderes als Angst in mir aus.

"Ihr verfluchten, kleinen Ratten! Wir hätten euch ertränken sollen als wir die Chance dazu hatten, so wie man das mit Ungeziefer macht!" entfuhr es mir, als Louise und Johanna auf die Lichtung schlenderten.

"Wieso? Es bekommt doch jeder bloß was er verdient!" antwortete Johanna und lächelte gehässig, woraufhin Louise zustimmte:

"Ihr werdet sterben und wir bekommen unsere Belohnung!"

"Seit wann verdienen Verräter eine Belohnung?" zischte Jake sie wütend an, in seinem Blick brannte die Wut. Louise machte schon den Mund auf um zu antworten, als einer der Männer vortrat.

"Ihr sollt still sein, hat der Captain gesagt!" fuhr er Jake an und entsicherte seine Waffe.

Doch der hatte genug, immerhin würde er, wenn unser Plan schief ging, sowieso sterben:

"Genau genommen hat er das nicht! Aber wenn du zu dumm bist, um dir seine Kommandos zu merken, denkst du wirklich, dass du etwas von dem Schatz abbekommst? Er wird nämlich keine Probleme haben dich um deinen Anteil zu bescheißen! Wahrscheinlich wirst du es nicht einmal merken!"

Mit schreckensgeweiteten Augen starrte ich Jake an, warum verkürzte er die wenige Zeit die er noch hatte? Doch dann erweckte etwas anderes meine Aufmerksamkeit: ich war mir ziemlich sicher aus dem Augenwinkel eine metallische Reflexion gesehen zu haben.

Unauffällig ließ ich meinen Blick nach links gleiten, wo Finn und Frances standen. Ihr Wachmann war derjenige gewesen, der sich nun mit Jake stritt. Verwirrt suchte ich weiter den Wald ab, als die Reflexion erneut da war, um genau zu sein ging sie von Finns Hand aus. Er hatte ein Messer! Sofort verstand ich, dass er nur auf eine Chance wartete um Frances loszuschneiden. Doch dafür brauchte er ein Ablenkungsmanöver. Also holte ich tief Luft und drehte mich zu Louise und Johanna:

"Warum steht ihr eigentlich so auf Bolton? Ist er nicht ein bisschen zu alt für euch? Oder wartet, ist das vielleicht genau das was ihr wollt? War euer Vater nie zuhause und hat sich keinen Dreck um euch geschert? Gaukelt ihr euch deshalb vor er würde euch mögen indem ihr Informationen an ihn verkauft? Seid ihr wirklich so kaputt? Ihr tut mir ja wirklich leid."

"Hör auf zu reden!" kreischte Johanna und Louise wandte sich zornesrot an die anderen Männer:

"Macht das sie aufhört!"

"Wieso? Ist die Wahrheit so schwer zu ertragen? Ihr habt doch gesagt jeder bekommt was er verdient. Vielleicht verdient ihr es ja das alles zu hören. Denn offenbar habt ihr das noch nie!" gab Jake zurück und begann laut zu lachen.

"Halt's Maul!" brüllte einer der Männer Jake an und schlug ihm hart ins Gesicht, doch er grinste einfach nur weiter.

Dann ging der Mann an mir vorbei und entlud warnend seine Pistole, um sich dann wieder auf seinen Posten vor Finn und Frances zu stellen.

"Der Captain hat gesagt ihr werdet sterben, also haltet endlich die-...!"
Weiter kam er nicht, denn da schnellte schon Finns Hand vor und durchschnitt ihm von hinten die Kehle. Noch bevor die anderen Männer reagieren konnten, hatte sich Fran schon die Pistole geschnappt und sprang auf Louise zu. Mit einem Grinsen drückte sie ihr die Pistole an den Kopf und sagte ruhig:

"Waffen fallen lassen!"

Doch genau in der Sekunde erzitterte der Boden von einem markerschütterndem Brüllen aus der Höhle.

Die Dragonfly-ChronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt