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Der erste Infizierte war der 55 jährige Lucas Smith. Er war ein magerer hochgewachsener Mann mit lichtem, braunen Haar und dumpfen blauen Augen. Seit fast 10 Jahren arbeitete er beim Militär in der Abteilung der biologischen Waffenforschung und war sich aller Risiken seines Berufes bewusst.

Seit geraumer Zeit arbeitete er bis spät in die Nacht hinein, sein Weg seinem so unheimlich stillen Heim zu entkommen, seit seine Frau Emma Smith vor nun schon 2 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Lucas konnte es einfach nicht ertragen sich am Abend, wenn er noch nicht richtig müde war, in das große Ehebett zu legen und wach liegen zu müssen, weil er mit den Gedanken bei der kalten, leeren Bettseite war, wo SIE früher gelegen hatte. Und wenn er sich nicht gründlich überarbeitete, würde er wach liegen und sich an SIE erinnern, das war so sicher wie auf den Blitz der Donner folgt.

Arbeit war nun das einzige, was ihm noch Freude bereitete, was ihn schützte, vor all dem gefräßigen Kummer in seiner Brust, was seine Gefühle betäubte. So war es auch jene Nacht, in der er das Schicksal der gesamten Menschheit besiegelte.

Wie genau es geschah wird immer unaufgeklärt bleiben, aber als er um halb sieben in der Früh in seinen mitternachtsblauen Mercedes stieg und sich auf den Heimweg machte, war es bereits zu spät.
Die Symptome zeigten sich bereits, in Form eines Helium-ähnlichen Schwindelgefühls und einer kalten Taubheit, die in seinen Fingerspitzen zu kribbeln begann, so dass sie sich bald anfühlten wie Eiszapfen.

Lucas dachte sich zunächst nicht viel dabei, nahm sich einfach nur vor schnellstens nach Hause zu kommen und sich hin zu legen.

~Das hast du jetzt davon, Alter. Das ist der Schlafmangel. ~

Dass er sich mit der Seuche infiziert haben könnte, an der er seit Monaten arbeitete, kam ihm nicht in den Sinn.
Aber selbst wenn er Verdacht geschöpft hätte, wäre nichts mehr zu machen gewesen, es gab nämlich noch kein Heilmittel. Lucas hatte nicht einmal damit gerechnet, dass seine Seuche eine Wirkung hatte.
All die Tierversuche, all die Kaninchen und Affen an denen er sie ausprobiert hatte und nirgendwo auch nur ein Anzeichen von Schwäche oder Schmerzen.

Er hatte ja nicht ahnen können, dass er als erstes menschliches Versuchskaninchen nun der Überträger jener Krankheit war, die er selber geschaffen hatte.

Die Taubheit breitete sich aus, wanderte bis zu seinen Ellbogen und erfüllte jede Faser seines Körpers mit eisiger Kälte.
Sein Gehirn schien sich einem Karussell gleich im Kreis zu drehen, sein Kopf fühlte sich an wie ein mit eisigem Helium gefüllter Luftballon, an den zwei Bleigewichte befestigt waren.

Die Straße vor seinen Augen verschwamm, schien sich wie eine fette Schlange hin und her zu winden,
nach links, nach rechts, wieder nach links, hin und her, hin und her.
Das Brummen des Motors wurde zu einem ohrenbetäubenden Drönen und es viel ihm schwer das Lenkrad fest zu halten. In seinen Zehen war diese kalte Gefühllosigkeit nun auch. Sie kroch weiter, breitete sich aus, wanderte bis zu seinen Knien, zu seiner Hüfte, lähmte seine Muskeln und betäubte seine Sinne.

Bis sie auch in seinem Kopf war.

Lucas merkte nicht wie seine Hände vom Lenkrad glitten und er bemerkte auch nicht wie er von der Straße abkam. Sein Denkvermögen war eingefrohren. Er wusste nichts mehr. Er kannte nichts mehr. Der Kummer über seine tote Frau mit der er fast 11 Jahre lang verheiratet gewesen war, bevor sie starb, versank in der Dunkelheit seiner leeren Gedankenhallen, als wäre eine Türe zur Vergessenheit aufgestoßen worden, die alle Erinnerungen einsog und auffraß.

Hunger.

Lucas wurde in seinem Sitz durchgerüttelt, das Auto raste einfach in die Wiese, neben der Landstraße hinein und kam dann irgendwann mit immernoch laufenden Motor zum Stillstand.

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