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Chloe Prentiss

"Und hier sehen wir das berühmte Impression, soleil levant", gab meine Mutter bekannt und zeigte begeistert auf das Kunstwerk, das neben ihr an der Wand hing, "Es stammt aus dem Jahre 1872 und ist von Claude Monet - ist es nicht überwältigend?"

Es kam nicht oft vor, dass meine Mutter pure Begeisterung zeigte, doch sobald sie über etwas sprach, das sie von ganzen Herzen liebte, begannen ihre Augen zu strahlen und ihre Mundwinkel zuckten verräterisch nach oben. Sie hatte schon immer diese Begeisterung für die Kunst verspürt. Als ich noch jünger war - ein Teenager, der sich nach Aufmerksamkeit sehnte - hatte ich mir gewünscht, sie würde ebenfalls so glücklich aussehen, wenn sie über mich sprach, doch mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, dass ich niemals dieselben positiven Gedanken in ihr hervorrufen konnte wie irgendwelche Kunstwerke.

Ehrlich gesagt begeisterte mich das Bild des Sonnenaufganges vor uns kein bisschen. Es sah beinahe genauso aus wie die Bilder, die rechts und links daneben aufgehangen waren, doch Zayn schien total vernarrt in das Kunstwerk des Franzosen zu sein.

"Ja, das ist es." Sein Blick glitt beeindruckt über das Bild, während er mit seinem Daumen geistesabwesend über seine Unterlippe fuhr.

Ich war ziemlich glücklich, als auf einmal ein junger Franzose zu uns stieß und mich aus den stummen Gedanken der Kuntsfanatiker riss, indem er mit lauter, hoher Stimme sprach:

"Ah, la famille Prentiss (dt.: "die Familie Prentiss")! Hallo, Miss Prentiss. Und Sie sind Zayn Malik, schätze ich mal?"

"Ganz genau. Schön, Sie kennenzulernen, Mr-"

"Mathieu Blanc. Willkommen in Paris."

Ich nickte ihm mit einem schüchternen Lächeln zu, da ich bemerkte, wie sein Blick über meinen Lippenstift und über meine Kleidung glitt, und senkte anschließend unsicher meinen Blick, während Zayn noch sagte:

"Merci beaucoup, Herr Blanc" (dt.: "Vielen Dank")

Meine Mutter zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, als Zayn den Nachnamen des Mannes leider ziemlich eigenartig aussprach und es sich somit so anhörte, als würde er das französische Wort für "Kochwäsche" benutzen, doch Herr Blanc schmunzelte nur und meinte schließlich, wir könnten ihn einfach Mathieu nennen.

"Wie dem auch sei, Mathieu wird Sie im Laufe Ihres Praktikums beschäftigen, Mr Malik. Und nun wünsche ich Ihnen gutes Gelingen.", meinte meine Mutter schließlich und rieb sich eifrig ihre Hände, während Mathieu locker einen Arm um Zayns Schulter schwang und mit ihm zusammen begann, in Richtung Aufhenthaltsraum für Angestellte zu laufen.

"Na dann, tschüss und viel Spaß" Überrumpelt winkte ich den beiden hinterher, da ich nicht gedacht hätte, dass Zayn sofort anfangen würde, doch sie waren schon beinahe komplett aus meinem Sichtfeld verschwunden.

Ich beobachtete, wie Mathieu Zayn eine Tür offen hielt, und kurz bevor mein Freund in den mir fremden Raum trat, warf er mir mit gespitzten Lippen einen Kuss zu. Für ein paar Sekunden legte sich ein Lächeln auf meine Lippen und beinahe hätte ich ihm einen Kuss zurückgeworfen, bis mir einfiel, dass meine Mutter noch immer neben mir stand. Und diese wirkte auf einmal gar nicht mehr so abgelenkt von den vielen Kunstwerken, sondern starrte mich einfach nur mit einem strengen Gesichtsaudruck an.

"So, und wir führen jetzt erstmal ein ernstes Gespräch, mein Fräulein."

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Meine Mutter hatte mich in ein kleines Café gegenüber des Hotels geführt und ich musste zugeben, dass es mir dort sehr gut gefiel. Ich würde unbedingt noch einmal mit Zayn hierherkommen müssen, dachte ich mir, während der Geruch von frischem Kaffee und Kuchen in meine Nase stieg. Die Sonne fiel durch die gigantischen Fensterscheiben in den großen aber dennoch gemütlichen Raum und warf einen goldigen Schimmer auf die Leckerein, die in einer Vitrine zur Schau gestellt wurden, und Wortfetzen aus mehreren Sprachen drangen in meine Ohren.

The Girl On The CanvasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt