"Julie? Julie? Hallo?" Carlotta fuchtelte wild mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. "Was?" Fragte ich verwirrt. Sie grinste. "Träumst du? Es wird langsam ziemlich voll, du sollst bitte nach vorne gehen und helfen." "Ja, klar. Sorry", murmelte ich und machte mich auf den Weg. Es war erst das zweite Wochenende, das ich hier an der Garderobe eines Nachtclubs arbeitete. Eigentlich war ich nach Berlin gekommen, um zu studieren, aber ich hatte es bereits nach zwei Wochen gehasst und mittlerweile ging ich einfach nicht mehr zur Uni. Meine Eltern wussten davon allerdings noch nichts, sie würden ansonsten darauf bestehen, dass in das 1000-Einwohner-Dorf zurückkehrte, aus dem ich kam.
"Wird's bald?" Fragte ein Typ in der Schlange, als ich mir meinen Weg durch die Jacken bahnte, die hier bereits hingen. "Sorry", murmelte ich. Erst als ich direkt vor ihm stand und er seine Lederjacke schwungvoll vor mir auf den Tresen knallte, erkannte ich, dass Valentin Löwenstein vor mir stand - Sohn eines ziemlich erfolgreichen deutschen Schauspielers und Regisseurs. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, nahm mir einen Kleiderbügel, entfernte die Plakette mit der Nummer, die sich daran befand und reichte sie ihm. "Macht zwei Euro", sagte ich. Er gab mir das Geld. "Und pass gut auf meine Jacke auf, die war teuer", zischte er, bevor er sich umdrehte und irgendwo in der Masse verschwand. Ich seufzte, an solche Begegnungen musste ich mich hier wohl gewöhnen. Der Club war ziemlich angesagt und meine Kollegen hatten mir bereits erzählt, dass hier öfters Prominente zum Feiern vorbeikamen, aber es war das erste Mal, dass ich wirklich einem gegenüberstand. Es sollte allerdings nicht das letzte Mal bleiben, denn zwei Minuten später erschien Valentins Bruder Julian vor mir. Ich machte mich darauf gefasst, dass er genauso unfreundlich war, wie sein Bruder, aber das schien nicht der Fall zu sein. Er beugte sich lässig über den Tresen und lächelte mich freundlich an, als er mir seine Collegejacke reichte. Ich nahm die Nummer vom Kleiderbügel und ließ sie sogleich fallen. Na super. Hastig hob ich sie auf und reichte sie Julian. "Tut mir leid! Hier." Er lächelte. "Keinen Stress. Bist du neu hier?" "Ja", gab ich zu, weil sich das wohl sowieso nicht verbergen ließ. Er lächelte noch immer. "Wie viel bekommst du?" "Zwei Euro." Julian gab mir einen zehn Euro Schein. "Stimmt so und sorry, falls Valentin unfreundlich zu dir war, eigentlich ist er ein netter Typ." Das bezweifelte ich. "Falls du zwischendurch Zeit hast, komm doch auf einen Drink rüber, wir sind in der Lounge", er lächelte mir noch mal zu, dann verschwand auch er in der Masse. Verwundert schüttelte ich den Kopf. Wie konnten zwei Brüder so unterschiedlich sein? Sie sahen sich auch überhaupt nicht ähnlich. Während Julian ein typischer Sonnyboy war, glich sein Bruder eher einem Rockstar. Ich hatte jedoch keine Zeit, länger über die beiden nachzudenken, denn inzwischen war wirklich die Hölle los. Wir brauchten fast zwei Stunden, bis alle Gäste im Club waren und wir uns ein wenig entspannen konnten.
"Heute ist es wirklich voll", stellte Carlotta fest. Ich nickte. "Und ich habe zum ersten Mal Promis gegenüber gestanden." Sie grinste. "Wer ist denn da?" "Julian und Valentin Löwenstein, glaube ich." Carlotta nickte. "Ah ja, die kommen ab und zu mal vorbei. Julian ist super süß, sein Bruder ist eher rüpelig, aber auch ganz okay." "Zu mir war er ziemlich unfreundlich." "Warte ab, da gibt es einige, die noch viel schlimmer sind, die glauben wirklich, sie könnten sich alles erlauben." Das konnte ja heiter werden. "Du kannst ruhig mal eine halbe Stunde in den Club gehen und dir anschauen, was dort so los ist, ich komme ja momentan alleine klar", meinte Carlotta dann. "Okay", murmelte ich und dachte darüber nach, ob ich Julians Angebot annehmen sollte. Er war wirklich super nett gewesen und wann hatte man schon mal die Gelegenheit, mit Promis zu feiern? Hier war das vielleicht normal, aber Zuhause würde mir das sicher niemand glauben. Andererseits musste ich dann wahrscheinlich auch seinen arroganten Bruder wiedersehen.
Schließlich siegte allerdings meine Neugierde und ich ging tatsächlich in die Lounge, wo ich Julian auch recht schnell entdeckte. Er unterhielt sich mit irgendeinem Typen, ich straffte die Schultern und ging zu ihnen hinüber. "Hi", sagte ich. "Ach Hi, hast du Pause?" Julian schien sich immerhin noch an mich zu erinnern. "Ja, aber nur eine halbe Stunde, dann muss ich wieder rüber." Julian lächelte. "Okay, das reicht für einen Drink." "Ich kann nicht trinken, wenn ich arbeiten muss. Dann verwechsele ich hinterher die Jacken", meinte ich grinsend. Julian lachte. "Okay, was ist mit Cola?" Ich nickte. "Cola ist gut." "Okay, warte kurz", er ging zur Bar und kam kurz darauf mit einer Cola für mich und irgendeinem Drink für sich wieder zurück. Sein Kumpel hatte sich inzwischen zurückgezogen und auch von Valentin war zum Glück nichts zu sehen, "Hier", Julian reichte mir das Glas, ich bedankte mich und stieß mit ihm an. "Wie heißt du eigentlich?" Fragte er dann. "Juliane, aber alle nennen mich Julie" antwortete ich. "Dann heißt du ja fast wie ich." Julian grinste und ich musste ebenfalls lächeln. "Ja, stimmt." "Kommst du aus Berlin?" Wollte er wissen. "Nein, ich komme aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen und bin erst vor kurzem zum Studieren hergezogen", erklärte ich. "Und ihr?" "Wir sind als Kinder ziemlich oft umgezogen, aber mittlerweile leben wir schon lange in Berlin", erklärte Julian. Ich nickte. Sie hatten sicher eine spannendere Kindheit gehabt als ich. Allerdings war es sicher auch anstrengend, wenn alles was man tat, auf der Titelseite irgendwelcher Klatschzeitungen landete. "Was studierst du?" Fragte Julian über die Lautstärke der Musik hinweg. "Ich studiere nicht mehr. Eigentlich wollte ich Grundschullehrerin werden, aber ich habe schnell gemerkt, dass das Studium nichts für mich ist." Genau genommen waren es meine Kommilitoninnen gewesen, die ich nicht ertragen hatte, aber das musste ich ihm ja nicht erzählen. Er grinste. "Ach so. Naja, du findest sicher noch etwas anderes." Ich nickte. "Hoffentlich." "Hier hast du ja quasi alle Möglichkeiten."
Ich warf einen Blick auf mein Handy, meine Pause war gleich zu Ende, die halbe Stunde war wie im Flug vergangen. "Ich muss leider wieder rüber", sagte ich entschuldigend. "Danke für die Cola und das nette Gespräch." "Kein Ding. Bist du morgen wieder hier?" "Morgen habe ich frei." "Dann geh doch mit uns feiern, wenn du Lust hast." Wow, er lud mich wirklich ein, mit ihnen zu feiern? "Ja, warum nicht?" Julian lächelte. "Super, willst du mir deine Nummer geben? Dann schreibe ich dir, wo wir hingehen." "Ja, klar." Julian zog sein Handy aus der Tasche und reichte es mir, so dass ich meine Nummer eintippen konnte. "Super, dann bis morgen", sagte er und grinste mich gut gelaunt an. Ich nickte, rechnete aber nicht damit, dass er sich wirklich bei mir melden würde.

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Neonliebe
Literatura Kobieca"Du bist so langweilig", raunte Valentin mir zu. „Langweilig, ich?" Er lehnte sich zurück und stützte sich auf seinen Unterarmen ab, während er mich provokant ansah. „Du bist der Inbegriff von Langeweile." Wie mir dieser Typ und seine Überheblichkei...