6. Der Nebel

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Viola

Der erste Tag war mehr als anstrengend,....für SIE, ......und auch  für mich.
Nachdem ich mir sämtliche Wunden angesehen und Verbände weitestgehend gewechselt hatte,.... was natürlich mit erheblichen Schmerzen verbunden war,.... fiel SIE stöhnend in die Kissen zurück.
Meine Kleine hatte ich in der Zwischenzeit in ihr Zimmer,  zum Spielen geschickt....ihre kleinen "helfenden" Hände konnte ich gerade nicht gebrauchen und SIE fühlte sich mit der, wenn auch geringen Privatsphäre bestimmt wohler.
Ich betrachtete SIE nachdenklich, ......während Schmerz und Erschöpfung ihren Tribut forderten und SIE einschlafen ließ,...
Wer bist du nur?
Und von wo bist du hergekommen?
Vorsichtig tupfte ich mit einem feuchten Tuch die restlichen Verschmutzungen aus IHREN langen blonden Haaren....die ziemlich stumpf und gerupft aussahen......im Grunde so, als wäre SIE durch eine dichte Dornenhecke gezerrt worden.
Was um Himmelswillen war dir nur passiert?

Später als sie kurz wach war, flößte ich ihr vorsichtig etwas Hühnersuppe zwischen ihre aufgesprungenen Lippen, ein....
"Auch wenn es dich sicherlich sehr schmerzen wird, du brauchst jedes bisschen Energie zum heilen.......es tut mir sehr sehr leid, aber.....es...es geht leider nicht anders."

SIE sah mich aufmerksam an und ließ sich wortlos weiterfüttern.
Ich lächelte SIE ermutigend an und musste mich sehr zurückhalten, nicht.....hier kommt das Flugzeug...... zu trällern.......
Auch wenn zu essen, SIE doch sehr angestrengt hatte....konnte ich sehen wie ihre Lebensgeister langsam zurückkehrten, ihre sehr blasse Haut, eine Spur rosiger wurde und ihre Atmung kräftiger. Alles seeeehr gute Zeichen, wie ich erleichtert feststellte....SIE fing an zu heilen,....was ich jedoch mit IHR anstellen sollte sobald SIE wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, war mir ziemlich schleierhaft....aber mit dieser Situation würde ich mich zum gegebenen Zeitpunkt befassen und der lag noch in weiter Ferne.

*******

Ein bisschen albern kam ich mir irgendwie schon vor, wie ein Kleinkind gefüttert zu werden.....aber ich war tatsächlich selbst nicht in der Lage dazu, wie ich frustriert feststellen musste.
Mir fehlte es an Kraft und Hand Augenkoordination, .......wovon ich aber jedoch mehr als ausreichend hatte, waren Schmerzen!
Tiefes Luftholen....Schmerz!
Bewegen....Schmerz!
Selbst sehen war mit Schmerz verbunden!
Warum war ich nicht einfach draufgegangen, bei was auch immer mir passiert war, woran ich mich nicht erinnern konnte.
Tief in mir spürte ich eine Leere, die sich aber sonderbarerweise nicht neu anfühlte, die schon länger existierte, sogar einen großen Teil von mir auszumachen schien.
Niedergeschlagen starrte ich auf die hässliche Bettdecke.....
Als mir.....wie hieß sie noch gleich.....?
Leah.....ja richtig Leah.....als mir Leah anbot zu helfen wollte ich rundheraus ablehnen...
Warum sollte ich überhaupt etwas essen..?
Für wen....?
Wozu......?
Wen würde es denn scheren?
Mich beschlich das dumpfe Gefühl, das es tatsächlich niemanden gab dem ich fehlte, der sich um mich sorgte, dem ich etwas bedeutete,.....
Wem lag denn etwas daran ob ich wieder gesund wurde....?
Ich sah auf und in ihre Veilchenblauen Augen.......
IHR lag etwas daran!

Natürlich, ....so würde sie mich schnell loswerden können...dachte ich bitter.
Aber selbst mit nur einem funktionstüchtigen Auge, konnte ich ihr Mitgefühl erkennen und es berührte die innere Kälte in mir, auf eine sonderbare Art und Weise die mich zusätzlich verwirrte....
Aufseufzend fügte ich mich einfach den Gegebenheiten und öffnete zaghaft meinen Mund.
Sie lächelte mich freundlich, aufmunternd an und flößte mir vorsichtig die Suppe ein.
Mochte ich überhaupt Suppe?
Wenn ja,...welche?
Permanent gingen mir solch banale Fragen durch meinen ohnehin brummenden Schädel, auf die ich natürlich keine Antworten hatte...es frustrierte mich immer mehr....und so gab ich es resignierend auf, weiter zu raten.
Im Hier und Jetzt schmeckte sie mir, ich hatte Hunger und ich wollte mehr.

Viola

Ich beobachtete SIE noch einen Augenblick  bis ich sicher war das SIE wirklich tief und fest schlief und zog die Decke bis zu IHREM noch arg lädierten Kinn hoch.
Unter all den Kratzern, blauen Flecken und Abschürfungen verbarg sich eine verletzte, traurige Seele....und das war meiner Meinung nach nicht nur ihrer Amnesie geschuldet,....das hatte ich in ihrem Blick gesehen und es gab mir einen Stich ins Herz.
Sie tat mir unglaublich leid....sehr sogar....aber ich durfte meine angeborene Gutmütigkeit nicht die Oberhand gewinnen lassen, also nicht permanent....ich war der Typ Mensch der jeden Streuner mit Freuden aufnahm, ......
Aber erstens, war SIE kein Streuner und zweitens,galt meine Priorität meiner Tochter, für deren Sicherheit und Wohlergehen ich die Verantwortung trug....und drittens....drittens....ach Scheiß drauf ich würde es nicht über's Herz bringen SIE irgendwo einfach  "abzugeben" zumal ich ja Schuld war an ihrer Misere, zumindest teilweise.
Ich seufzte.....ich war ein verdammter, unbelehrbarer Softy.

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Ich driftete rücklings in der Dunkelheit, in kaltem, schwarzen Wasser.....
Bewegungsunfähig, kein Gefühl für Raum und Zeit, umgeben von dröhnender Stille....
Lediglich mein Gesicht befand sich über der Wasseroberfläche......aber warum?
Vielleicht wenn ich mich genügend konzentriere.....vielleicht würde ich einfach versinken, absinken bis zum Grund,....nicht mehr denken , nicht mehr fühlen müssen einfach aufhören zu existieren. ..ja das schien mir sehr erstrebenswert.....
Auf dem dunklen Wasserspiegel bildete sich dichter, wabernder Nebel.....hüllte mich ein, kroch mit seinen kalten Finger über mein Gesicht, drohte mich zu ersticken.
Von nackter Angst erfüllt, versuchte ich dem furchterregenden Nebel zu entkommen, aber meine Bewegungsunfähigkeit ließ dies nicht zu.
Ich wollte dort weg, ich wollte nicht so enden,.....
Ich wollte  LEBEN!
Ich wollte  LEBEN!!!!
Verdammt!!!
Ich schrie,....schrie um Hilfe....schrie um nicht unterzugehen in der Dunkelheit.
Wer würde mich hören?
Von unten griffen kalte Hände nach mir, zerrten und zogen...mein Gesicht versank....mein Schrei würde verstummen, ich würde verschwinden....!
Durch das aufgewühlten Wasser sah ich wie der Nebel aufriss und zwei warme Hände nach meinen griffen, mich sanft wieder emporzogen.....
Weg, von der Dunkelheit...
Weg, von der Verzweiflung....
Weg, von dem Nichts....
Zurück ins Leben!

Zweite Chancen.....  BAND 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt